Skip to main content

Normative Höhe und tiefer Fall

Weimar — der deutsche Symbolort

  • Chapter
  • 58 Accesses

Zusammenfassung

„Heute ist mir danach zumute, Sie zum Ettersberg zu entführen. Die Beobachtung der winterlichen Natur wird uns gewiß manchen Gesprächsstoff liefern“ — dies läßt Goethe an einem sonnig-kalten Dezembersonntag Eckermann wissen. Daß die Spazierfahrt auf den „schönen Hügel” zu einem „Umerziehungslager” führt, „in dem” — so Eckermann verharmlosend — „Missetäter mehrerer Nationalitäten eingesperrt sind“, stört die beiden offenbar nicht.1 Über die Namensgebung des Lagers ist man informiert. Der nationalsozialistische Kulturbund hatte verlangt, daß es nicht den Namen Ettersberg tragen sollte, weil besagter Ort mit Goethes Leben und Werk verknüpft sei. Darüber zeigt sich Goethe „zutiefst gerührt“.2 So fahren denn die beiden auf den nahegelegenen Ettersberg zum KZ Buchenwald. Goethe interessiert sich nicht für die Menschen im KZ, wohl aber für die Tiere im Gehege des nahegelegenen Falkenhofes. Mit Genugtuung bemerkt er ihren vortrefflichen, gepflegten Zustand. Vor allem aber will er mit einem „Gefangenen von höchstem Rang“ diskutieren: mit dem Sozialisten, Staatsmann und Goethekenner Leon Blum. Goethe achtet den französischen Intellektuellen, aber er setzt sich nicht bei der Obrigkeit für dessen Freiheit ein. Warum auch. Denn aus seiner Sicht hat Blum selbstverschuldet Schiffbruch erlitten, weil er sich in die Politik einmischte, statt sich darauf zu beschränken, den Mächtigen lediglich seine Geistesblitze mitzuteilen. Der große Dichter aber verhält sich vorsichtiger. Er habe, so informiert uns Eckermann, gegenüber dem Regime eine „Haltung verständnisvoller Sympathie“ eingenommen, „eine Haltung, die völlig in Übereinstimmung mit der Verhaltensweise während seines ganzen Lebens“ ist.3

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Jorge Semprun, Was für ein schöner Sonntag. Aus dem Französischen von Johannes Piron, Frankfurt a. M. 1981, S. 174.

    Google Scholar 

  2. Peter Merseburger, Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht, Stuttgart 1998, S. 342.

    Google Scholar 

  3. Andreas Dörner, Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos: zur Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 42ff.

    Google Scholar 

  4. Justus Ulbricht, Willkomm und Abschied des Bauhauses in Weimar. Eine Rekonstruktion, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 5–27

    Google Scholar 

  5. Franz Roh, Streit um die moderne Kunst. Auseinandersetzungen mit Gegnern der neuen Malerei, München 1962.

    Google Scholar 

  6. Thomas Nipperdey, Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988, S. 63.

    Google Scholar 

  7. Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a. M. und Leipzig 1994.

    Google Scholar 

  8. Vgl. dazu Georg Bollenbeck, Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945, Frankfurt a. M. 1999, S. 44ff.

    Google Scholar 

  9. Georg Bollenbeck, Die Abwendung des Bildungsbürgertums von der Aufklärung. Versuch einer Annäherung an die semantische Lage um 1880, in: Wolfgang Klein/Waltraud Naumann-Beyer, Nach der Aufklärung? Beiträge zum Diskurs der Kulturwissenschaften, Berlin 1995, S. 151–162.

    Google Scholar 

  10. Ernst Troeltsch, Deutsche Bildung (1918), in: Troeltsch, Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, hrsg. von Hans Baron, Tübingen 1925, S. 169f.

    Google Scholar 

  11. Heinrich von Treitschke, Unsere Aussichten, in: Preußische Jahrbücher 44 (1879), S. 575.

    Google Scholar 

  12. Stefan Breuer, Grundpositionen der deutschen Rechten (1871–1945), Tübingen 1999.

    Google Scholar 

  13. Thomas Mann, Meine Goethereise am5. April 1932, in: Mann, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Bd. 13, Frankfurt a. M. 1974, S. 71.

    Google Scholar 

  14. Harry Graf Kessler, Tagebücher1918–1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M. 1961, S. 682.

    Google Scholar 

  15. Hans Belting, Die Deutschen und ihre Kunst. Ein schwieriges Erbe, München 1993, S. 41.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Georg Bollenbeck Jochen Golz Michael Knoche Ulrike Steierwald

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2001 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Bollenbeck, G. (2001). Normative Höhe und tiefer Fall. In: Bollenbeck, G., Golz, J., Knoche, M., Steierwald, U. (eds) Weimar — Archäologie eines Ortes. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02792-4_13

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02792-4_13

  • Publisher Name: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-7400-1159-8

  • Online ISBN: 978-3-476-02792-4

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics