Zusammenfassung
Goethes Faust wird heute vom gebildeten Bürger wie selbstverständlich als ein Theaterstück angesehen. Das hängt natürlich damit zusammen, daß viele den Faust nicht mehr als Pflichtlektüre in der Schule kennengelernt haben, dem Faust aber immer wieder als Bestandstück des klassischen Repertoires deutscher Theater begegnen. Dies trifft zumindest für Faust erster Teil zu. Hat nicht Goethe selbst diesem ersten Teil den Titel gegeben Faust. Eine Tragödie? Und ist nicht Tragödie ein Genre des Dramas? Wider diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten muß man, wenn sie einem nicht ohnehin als Leser des Faust fraglich sind, an einige historische Fakten erinnern. Der erste Teil des Faust wurde von Goethe 1808 veröffentlicht, aber erst nach vergeblichen Versuchen 1810, 1812 und 1817 in Weimar, 1816 in Königsberg und 1819 in Berlin schließlich in Braunschweig 1829 uraufgeführt: also 21 Jahre später.1 Bei Faust zweiter Teil ist diese Differenz noch größer. Faust II wurde postum 1832 veröffentlicht und erst 1876, d. h. 44 Jahre später, in Weimar uraufgeführt. Dem gingen Versuche voraus, wenigstens Teile auf die Bühne zu bringen. So hatte 1849 Karl Gutzkow in Dresden die Helenaszenen aus dem Ganzen herausgeschnitten und unter dem Titel Der Raub der Helena auf die Bühne gebracht. Durch dieses Verfahren entfielen von den immerhin 7 498 Versen des Faust II fast 6 000.2 Gerade diese Operation zeigt, daß man Mühe hatte, den Text überhaupt als Drama zu fassen, und sich deshalb bemühte, für die Bühne jene Stücke herauszunehmen, die sich durch einen Handlungszusammenhang verbinden ließen.
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Notizen
Christoph Siegrist: Das Lehrgedicht derAufklärung. Stuttgart 1974, S. 26 f.
Alexander Gottlieb Baumgarten: Texte zur Grundlegung der Ästhetik. Übersetzt und hrsg. von H. R. Schweitzer. Hamburg 1983.
Johann Jacob Breitinger: Critische Dichtkunst. Bd. 1 (1740). Nachdr. Stuttgart 1966, S. 88.
Hans-Jochen Gamm: Das pädagogische Erbe Goethes. Frankfurt/M. 1980.
Immanuel Kant: Über Pädagogik. In: Werke in sechs Bänden (hrsg. von W. Weischedel). Bd. VI. Darmstadt 1964, S. 699.
Siehe den Artikel von Ehrhard Bahr: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden. In: Goethe-Handbuch. Bd. 3. Hrsg. von Bernd Witte, Peter Schmidt und Gernot Böhme. Stuttgart/Weimar 1997, S. 220.
Thomas Zabka: Ordnung, Willkür und die „wahre Vermittlerin“.Goethes ästhetische Integration der Natur und Gesellschaftsidee. In: Peter Matussek (Hrsg.): Goethe und die Verzeitlichung der Natur. München 1998, S. 170 f.
Albrecht Schöne: Goethes Farbentheologie. München 1987.
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Böhme, G. (2001). Kann man Goethes „Faust“ in der Tradition des Lehrgedichts lesen?. In: Golz, J., Leistner, B., Zehm, E. (eds) Goethe-Jahrbuch. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02786-3_7
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