Zusammenfassung
Komponisten, die mit dem Anspruch einer historischen Mission antreten, sind selten geworden. Das eigene Werk als »Einlösung« manifester oder verborgener Tendenzen der Geschichte, als notwendige Antwort auf die Forderungen des Tages, als »vorgetriebensten« Stand der Entwicklung hinzustellen, hat den Beigeschmack des Anachronismus. Das Mißtrauen gegenüber »großen« Erzählungen überhaupt, der Verdacht gar, daß Geschichte nur ein »Simulationsmodell«1 gewesen sei, berührt über die zeitgenössische Produktion hinaus die Theorie und Historiographie der Musik. Daß, »wer sich nicht ausreden läßt, dass Kunst etwas bedeutet, […] um geschichts- und sozialphilosophische Spekulation nicht herum [kommt]«2, ist zu Beginn des neuen Jahrhunderts, nach dem Ende einer »Epoche erhitzten geschichtsphilosophischen Denkens«3, nichts weniger als selbstverständlich.
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Notizen
Jean Baudrillard, »Pataphysik des Jahres 2000«, in: ders., Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse, Berlin 1994 [frz. Orig. 1992], S. 9–22, hier S. 18.
Heinz-Klaus Metzger, »Unvollendete Komponisten. Ein Versuch zu Jean Barraqué, Jean-Pierre Guézec, Bill Hopkins (Fragment)«, in: 18. Musik-Biennale Berlin. Internationales Fest für zeitgenössische Musik (Programmbuch), Berlin 2001, S. 10–14, hier S. 11.
Gustav Seibt, »Untergang, Aufstand, Verlust. Geschichtsphilosophien des 20. Jahrhunderts«, in: Berliner Zeitung, 18.2.2000.
So Schönbergs eigene Version im Dankesbrief an die Gratulanten zu seinem 75. Geburtstag, 16.9.1949, zit. nach Arnold Schoenberg, Ausgewählte Briefe, hrsg. von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 4 (dort als Faksimile).
Arnold Schönberg, »Rückblick« [1949], in: ders., Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtěch (Gesammelte Schriften 1), Frankfurt a.M. 1976, S. 397–408, hier S. 403.
Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 1911, S. 19.
Arnold Schoenberg, »Composition with Twelve Tones« [1941], in: ders., Style and Idea, hrsg. von Leonard Stein, London 1975, S. 214–245, hier S. 223; deutsch: Arnold Schönberg, »Komposition mit zwölf Tönen«, in: ders., Stil und Gedanke (wie Anm. 5], S. 72–96, hier S. 79.
Vgl. etwa das bei Hans Heinz Stuckenschmidt, Schönberg. Leben-Umwelt-Werk, Mainz 1974, S. 502 f., aus dem Nachlaß abgedruckte Manuskript »Ein Text aus dem dritten Jahrtausend«.
Vgl. aus methodologischer Perspektive Katherine Bergeron und Philip V. Bohlman (Hrsg.), Disciplining Music: Musicology and Its Canons, Chicago/London 1992;
Lawrence Kramer, Classical Music and Postmodern Knowledge, Berkeley u.a. 1995; Marcia Citron, Gender and the Musical Canon;
zuletzt Anselm Gerhard, »›Kanon‹ in der Musikgeschichtsschreibung«, in: Archiv für Musikwissenschaft 57 (2000), S. 18–30.
Theodor W. Adorno, Philosophie der neuen Musik (Gesammelte Schriften 12), Frankfurt a.M. 21990, S. 69.
Theodor W. Adorno, Minima moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (Gesammelte Schriften 4), Frankfurt a.M. 1980, S. 170 f.
Anton Webern, Weg zur neuen Musik, hrsg. von Willi Reich, Wien 1960; Taruskin spricht von einem »old sectarian viewpoint« (»Revising Revision«, in: Journal of the American Musicological Society AG [1993], S. 114–138, hier S. 132), dessen Fortschreibung er konkret Joseph N. Straus (Remaking the Past: Musical Modernism and the Influence of the Tonal Tradition, Cambridge/London 1990) anlastet.
Vgl. Rudolf Stephan, »Schönberg und der Klassizismus« [1978], in: ders., Vom musikalischen Denken. Gesammelte Vorträge, Mainz u.a. 1985, S. 146–154;
vgl. in neuerer Zeit z.B. Volker Scherliess, »Klassizismus in der Wiener Schule«, in: Hermann Danuser (Hrsg.), Die klassizistische Moderne in der Musik des 20. Jahrhunderts. Internationales Symposion der Paul Sacher Stiftung Basel 1996 (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung 5), Winterthur 1997, S. 167–185.
Vgl. zuletzt Martina Sichardt, »Deutsche Kunst — jüdische Identität. Arnold Schönbergs Oper Moses und Aron«, in: Hermann Danuser und Herfried Münkler (Hrsg.), Deutsche Meister — böse Geister? Nationale Selbstfindung in der Musik, Schliengen 2001.
Vgl. Eckhard John, Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918–1938, Stuttgart/Weimar 1994, S. 116 f. Dieser Zusammenhang bleibt bei Taruskin (»Revising Revision« [wie Anm. 16], S. 124 und 134 ff.), der den Schönberg gewidmeten Abschnitten seines Textes ein wahres Pandämonium nationalistischer Zitate voranstellt, völlig außer acht.
Arnold Schönberg, »Nationale Musik« [1931], in: ders., Stil und Gedanke (wie Anm. 5), S. 250–254, hier S. 253.
Christopher Hailey, »Schoenberg and the Canon. An Evolving Heritage«, in: ders./ Juliane Brand (Hrsg.), Constructive Dissonance. Arnold Schoenberg and the Transformations of Twentieth-Century Culture, Berkeley u.a. 1997, S. 163–178, hier S. 169 f.
Regina Busch/Thomas Schäfer/Reinhard Kapp, »Der ›Verein für musikalische Privataufführungen‹«, in: Christian Meyer (Hrsg.), Arnold Schönbergs Wiener Kreis. Bericht zum Symposium 12.–15. September 1999 (Journal of the Arnold Schönberg Center 2–2000), Wien 2000, S. 77–83.
Vgl. den ähnlichen Ansatz bei Hermann Danuser, »Die ›Darmstädter Schule‹ — Faktizität und Mythos«, in: ders. und Gianmario Borio (Hrsg.), Im Zenit der Moderne. Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946–1966, Freiburg i.Br. 1997, Bd. 2, S. 333–380.
Carl Dahlhaus, »Musikkritik als Geschichtsphilosophie«, in: ders., Die Musik des 19. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6), Laaber 1980, S. 203–209, hier S. 208.
Vgl. Reinhold Brinkmann, »Die gepreßte Symphonie. Zum geschichtlichen Gehalt von Schönbergs op. 9«, in: Otto Kolleritsch (Hrsg.), Gustav Mahler. Sinfonie und Wirklichkeit (Studien zur Wertungsforscbung 9), Graz 1977, S. 133–156.
Albrecht von Massow, »Abschied und Neuorientierung — Schönbergs Klavierstück op. 19, 6«, in: Archiv für Musikwissenschaft 50 (1993), S. 187–195.
Harold Bloom, A Map of Misreading, Oxford u.a. 1975; deutsch: ders., Eine Topographie des Fehllesens, Frankfurt a.M. 1997;
vgl. auch Andreas Meyer, Ensemblelieder in der Nachfolge von Arnold Schönbergs ›Pierrot lunaire‹ op. 21. Eine Studie über Einfluß und ›misreading‹ (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 100), München 2000.
Constant Lambert, Music Ho! A Study of Music in Decline, London 1934.
Jacques Derrida, »Conjurer — le Marxisme«, in: ders., Spectres de Marx. L’état de la dette, le travail du deuil et la nouvelle Internationale, Paris 1993, S. 87–127;
deutsch: Jacques Derrida, »Den Marxismus beschwören«, in: ders., Marx’ Gespenster, Frankfurt a.M. 1996, S. 85–125.
Ernst Krenek, »Ein ›moderner‹ Meister des XV. Jahrhunderts. Schöpferische Begegnung mit Johannes Ockeghem«, in: Neue Zeitschrift für Musik 119 (1958), S. 3–8, hier S. 5. Kreneks Konstruktion läuft darauf hinaus, daß »Schönbergs ›Erfindung‹ der Zwölftontechnik nur einen Spezialfall des viel allgemeineren [und älteren] Prinzips der Reihentechnik« (ebd.) dargestellt habe.
Vgl. Schönberg, »Neue und veraltete Musik« [1933] (wie Anm. 8), S. 466.
Schönberg, Harmonielehre (wie Anm. 7), S. 75; in der dritten Auflage der Schrift (Wien 1922) geht der unbekümmerte Gestus der Formulierung verloren (»Die Entwicklung der Mehrstimmigkeit kann man sich folgendermaßen vorstellen …«).
Vgl. Hugo Riemann, Geschichte der Musiktheorie im IX.-XIX. Jahrhundert, Berlin 21921.
Vgl. Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1992, S. 12.
Arnold Schoenberg, »New Music, Outmoded Music, Style and Idea« [1946], in: ders., Style and Idea (wie Anm. 9), S. 113–124, hier S. 116; deutsch: Arnold Schönberg, »Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke«, in: ders., Stil und Gedanke, S. 25–34, hier S.27.
Vgl. Christoph von Blumröder, Art. »Neue Musik« (1980), in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Stuttgart 1972 ff.
Arnold Schönberg, »Zu meinem fünfzigsten Geburtstag«, in: Musikblätter des Anbruch 6 (1924), Sonderheft Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstag S. 269 f., hier S. 270.
Schönberg, »Neue und veraltete Musik« [1933] (wie Anm. 8), S. 466.
Vgl. Hermann Danuser, »Einleitung«, in: ders. (Hrsg.), Musikalische Interpretation (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 11), Laaber 1992, S. 1–72, hier S. 19 f.
Schönberg, »Neue und veraltete Musik« [1933] (wie Anm. 8), S. 476. So auch gegenüber Strobels Romantik-Vorwurf (vgl. Anm. 46): »Sie hören in meiner Musik noch immer Tristan-Klüngel Aber selbst wenn das richtig wäre: Ein chinesischer Dichter ist doch nicht nur etwas, das chinesisch klingt, sondern: er sagt doch auch etwas! Was aber sage ich? […] Der Stil, wenn man ihn so auffaßt — à la Tristan-Klang -, ist ein Stilkleid, das dem Träger vermorscht vom Leib fällt, wenn die Mode vorbei ist« (Schönberg, »Diskussion im Berliner Rundfunk« [wie Anm. 46], S. 275).
Arnold Schoenberg, The Musical Idea and the Logic, Technique, and Art of Its Presentation, hrsg. von Patricia Carpenter und Severine Neff, New York 1995. Eine Notiz von 1931, auf die Schönberg im letzten und umfangreichsten »Gedanke«-Entwurf (1934–36) zurückkommt, stellt den Status der Fragment gebliebenen Schrift allerdings unmißverständlich klar. Mit ebenso bitterer wie demonstrativer Entschlossenheit heißt es da: »Die deutsche Musik wird nicht meinen Weg, nicht den Weg gehen den ich gewiesen habe. Gewillt, mich von ihr zu lösen, nicht ohne meine Schuld beglichen zu haben, will ich ihr als Dank den Weg zeigen, den sie gegangen ist. Bis in meine Nähe. Und wenn ich jetzt den Abstand von mir bis zur Aufhebung jeder Beziehbarkeit vergrössere, den Punkt verwische, an dem ich gestanden habe, so will ich umso klarer hervorheben den Punkt auf dem sie steht und stehen wird, bis sie einer darüber hinausfuhrt, von dem sie geführt sein mag« (Schoenberg, The Musical Idea, S. 422).
Schönberg, »Gewißheit« [1919], in: ders., Stil und Gedanke (wie Anm. 5), S. 189 f., hier S. 189. Soweit dieser Gedanke Biographisches ins Spiel bringt, fällt eine Parallele zum Wagner-Buch Paul Bekkers ins Auge, das Wagners Leben als Funktion der Werkgeschichte (oder eher: des Werkmythos) zu deuten sucht; vgl. Paul Bekker, Wagner. Das Leben im Werke, Berlin/Leipzig 1924.
Vgl. Hermann Danuser, Die Musik des 20. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 7), Laaber 1984, S. 166 ff.
Vgl. hierzu Peter Gradenwitz, Arnold Schönberg und seine Meisterschüler. Berlin 1925–1933, Wien 1998.
Theodor W. Adorno, »Anton von Webern« [1932], in: ders., Musikalische Schriften IV (Gesammelte Schriften 17), Frankfurt a.M. 1982, S. 204–209, hier S. 206 (mit Blick auf Schönberg).
Mauricio Kagel, »Neuer Raum — Neue Musik. Gedanken zum Instrumentalen Theater« [1966], in: Borio/ Danuser (Hrsg.), Im Zenit der Moderne (wie Anm. 26), Bd. 3, S. 245–253, hier S. 245.
Theodor W. Adorno, »Vers une musique informelle« [1961], in: ders., Musikalische Schriften I–III (Gesammelte Schriften 16), Frankfurt a.M. 1978, S. 493–540, hier S. 497 (der Begriff ist bei Alois Hába endehnt).
Vgl. Arnold Schoenberg, »Heart and Brain in Music« [1946], in: ders., Style and Idea (wie Anm. 9), S. 53–76; deutsch: Arnold Schönberg, »Herz und Hirn in der Musik«, in: ders., Stil und Gedanke (wie Anm. 5), S. 104–122.
Vgl. Dörte Schmidt, »Formbildende Tendenzen der musikalischen Zeit. Elliott Carters Konzept der Tempo-Modulation im zweiten Streichquartett als Folgerung aus dem Denken Schönbergs«, in: Günther Wagner (Hrsg.), Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1999, Stuttgart/Weimar 1999, S. 118–136.
Reinhold Brinkmann, »Einleitung am Rande«, in: Carl Dahlhaus (Hrsg.), Die Wiener Schule heute. Neun Beiträge, Mainz u.a. 1983, S. 9–18, hier S. 18.
Vgl. Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 1992; Kritik daran etwa bei Derrida, »Conjurer — le Marxisme« (wie Anm. 33).
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Meyer, A., Scheideler, U. (2001). Einleitung. In: Meyer, A., Scheideler, U. (eds) Autorschaft als historische Konstruktion. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02771-9_1
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