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Aspekte reaktionärer Literaturgeschichtsschreibung des Vormärz. Dargestellt am Beispiel Vilmars und Gelzers

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Germanistik und deutsche Nation 1806 – 1848
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Zusammenfassung

Die Widersprüche innerhalb der bürgerlichen Klasse, wie sie in der Zeit des Vormärz und während der Kämpfe des Jahres 1848 manifest wurden, spiegelten sich insofern in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung, als das Medium Literaturgeschichte zumindest mittelbar zur Propagierung politischer Ansichten eingesetzt wurde. So gab es neben der progressiven Mehrheit der Literaturhistoriker jener Epoche eine politisch reaktionäre Minderheit, die — wie Theodor Wilhelm Danzel ausführte — »das Heil der Gegenwart in der Rückkehr zu einer gewissen obligaten Christlichkeit erblickte« [1] und keineswegs, wie die progressive Mehrheit, ihre Bemühungen »auf die Neugestältung des Staates« [2] richtete. Jene Minderheit, die zumeist in politisch-literarischen Zeitschriften wie der Süddeutschen Warte oder den Janus Jahrbüchern deutscher Gesinnung, Bildung und Tat in Erscheinung trat, bediente sich auch vereinzelt des Mediums Literaturgeschichte, um ihre antiliberalen und antidemokratischen Vorstellungen zu verbreiten. Die beiden extremsten Vertreter dieser Richtung waren die protestantischen Theologen August Friedrich Christian Vilmar (1800–1868) und Heinrich Gelzer (1813–1889), deren Literaturgeschichten in der Germanistik von heute zwar keine Rolle mehr spielen, die aber in der Zeit des Vormärz ein breites Publikum an sich ziehen konnten, wie die Auflagen ihrer Literaturgeschichten zeigen: wurde Gelzers Geschichte der neueren Deutschen Nationalliteratur in deutscher Sprache nur zweimal aufgelegt, dafür aber in mehrere Sprachen übersetzt, so dürfte die Auflagenhöhe von Vilmars Geschichte der deutschen Nationalliteratur, die bis zum Jahr 1913 siebenundzwanzigmal erschien, von keiner anderen Literaturgeschichte vor 1848 übertroffen worden sein.

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Anmerkungen

  1. Theodor Wilhelm Danzel: Über die Behandlung der neuen deutschen Literatur. In Danzel: Zur Literatur und Philosophie der Goethezeit. Hrsg. v. Hans Mayer, Stuttgart 1962, S. 289.

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  2. Ebd.

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  3. Heinrich Gelzer: Die neuere Deutsche Nationalliteratur nach ihren ethischen und religiösen Gesichtspunkten. Zur inneren Geschichte des deutschen Protestantismus. Leipzig 1847–49. 2 Bände. Vilmar wird zitiert aus der 11. Auflage von 1866. Gelzer wird aus der 2. Auflage von 1847–1849 zitiert. August Friedrich Christian Vilmar: Geschichte der deutschen Nationalliteratur, Marburg 1845.

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  4. Vgl. Michael Pehlke: Aufstieg und Fall der Germanistik — von der bürgerlichen Wissenschaft. In: Ansichten einer künftigen Germanistik, hrsg. v. Jürgen Kolbe, München 1969, S. 30.

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  5. Vgl. Karl Otto Conrady: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft. Reinbek/Hamburg 1966, S. 21.

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  6. Rudolf von Raumer: Geschichte der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870, S. 668.

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  8. Gisela Knoop: Die Gesamtdarstellung der deutschen Literatur bis zu Wilhelm Scherer. Münster 1952 (Diss. masch.).

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  9. Ebd., S. 42.

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  10. Ebd.

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  11. Zu Vilmar vgl. u. a.: Wilhelm Hopf: August Vilmar. Ein Lebens- und Zeitbild. Marburg 1913, 2 Bände. Walter Schwarz: August Friedrich Christian Vilmar. Ein Leben für Volkstum, Schule und Kirche. Berlin 1938. Allgemeine Deutsche Biographie (ADB) Band 40, Leipzig 1896, S. 715 f. Zu Gelzer: Friedrich Curtius: Heinrich Gelzer. Gotha 1902. ADB Band 49, S. 277 f. Brockhaus’ Konversations-Lexikon, Leipzig 1902, S. 638 f.

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  12. Vgl. Briefwechsel zwischen Karl Müllenhoff und Wilhelm Scherer. Im Auftrag der preußischen Akademie der Wissenschaften hrsg. v. Albert Leitzmann. Berlin/Leipzig 1937, S. 476 f.

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  13. Ebd., S. 477.

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  14. Wilhelm Scherer: Geschichte der deutschen Literatur. Berlin 1883.

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  15. Vgl. vor allem die Entwicklung des Faches »Volkskunde« in Wolfgang Emmerich: Zur Kritik der Volkstumsideologie Frankfurt 1971, besonders die Kapitel: Romantische Anfänge S. 22 f. und Zwischen Regression und Utopie S. 67 f.

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  16. Wilhelm Scherer: Kleine Schriften. Hrsg. v. K. Burdach, Berlin 1893, Bd. 1, S. 672 f.

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  17. Adolf Bartels: Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1901, 2 Bände.

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  18. Vgl. F. Mehring: Lessing-Legende, S. 187 f.

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  19. W. Scherer: Kleine Schriften, ebd. Bis zu Vilmars Tod wurde seine Schrift zwölfmal aufgelegt, die letzte, die 27. Auflage, erschien 1913. W. Hopf vermerkt, das Buch sei über die ganze Welt verbreitet gewesen. Vgl. Hopf, Bd. 1, S. 346. Vilmars Darstellung der ältesten und der alten Zeit nimmt in der Tat, wie Scherer dies kritisch anmerkt, einen großen Teil des Buches ein. So verwendete Vilmar ca. 240 Seiten seines Buches darauf, dem Leser germanische Epen, Sagen und Gedichte sowie die Minnepoesie und anderes nahezubringen. Weitere 40 Seiten ist ihm die Darstellung des »Verfalls« der Dichtkunst von 1300 bis zur Reformation wert, während er für die Darstellung der neueren deutschen Literatur nur knapp 300 Seiten aufwendet.

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  20. Zur politischen Praxis Vilmars und Gelzers siehe S. 253 ff. und S. 260 ff. dieses Buches.

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  21. Zit. nach ADB, Bd. 49, S. 277 f.

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  22. Ebd.

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  23. W. Hopf: A. Vilmar, Bd. 1, S. 342.

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  24. Ebd., S. 343.

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  25. Ebd., S. 343.

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  26. Jürgen Habermas zeigt, daß solches sich in England bereits am Ende des 17. Jahrhunderts und zu Beginn des 18. Jahrhunderts ereignete: in Kaffeehäusern und Teestuben hatte sich die Literatur vor der »Öffentlichkeit« zu legitimieren. Vgl. J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962, S. 43 f.

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  27. Die kurhessischen Zustände gehörten zu den rückständigsten im zersplitterten Deutschland. So ließ der Kurfürst Wilhelm I. sofort nach Napoleons Abzug, der Kurhessen zeitweilig besetzt gehalten hatte, die während der Befreiungskriege existente Ständeversammlung auflösen und jede Verfassungsbewegung unterdrücken. Im Lauf der Julirevolution, die auch Kurhessen ergriff, wurde der Kurfürst gezwungen, sich der von Preußen ausgehenden Bewegung zur Zolleinheit anzuschließen, die 1834 zum Zollverein führte. Das Hauptanliegen des kurhessischen Partikularismus, das preußische Zollsystem zu bekämpfen, zeigt deutlich die provinziell-feudalen Interessen, die für Kurhessens Politik des Vormärz nach Innen wie nach Außen ausschlaggebend waren. Vgl. dazu: Hans Mottek: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß. Berlin 1969. 2 Bände. Bd. II S. 11 und 61 f. Vgl. auch: Karl Obermann: Deutschland 1815–1849. Berlin 1967. S. 33 f. und S. 65 f.

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  28. Bereits 1789 hielt Schlegel als außerordentlicher Professor in Jena erste Vorlesungen über die deutsche Literatur. Ab Dezember 1801 hielt er während dreier Wintersemester Vorlesungen über die Kunstlehre, sowie über die Geschichte der klassischen und romantischen Literatur in Berlin: im Frühling 1808 las er in Wien zumeist vor adeligem Auditorium über dramatische Kunst und Literatur. Vgl. ADB, Bd. 31, S. 354 f.

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  29. Vgl. ADB, Bd. 45, S. 125 f.

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  30. ADB, Bd. 49, S. 277 f.

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  31. H. Gelzers Literaturgeschichte, Bd. 1, IX.

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  32. Engels bezeichnet in einem Brief an Karl Kautsky den Protestantismus jener Epoche als religiöse Verkleidung antifeudaler, bürgerlich-plebejischer Zielsetzung. Vgl. Brief von F. Engels an K. Kautsky vom 21. Mai 1895 in: MEW, Bd. 39, S. 481. Vgl. auch Reinhard Kühnl, der ebenfalls darauf hinweist, daß die Reformation sich nicht in theologischen Zänkereien erschöpfte: »Schon der Calvinismus artikulierte offensichtlich die Interessen des Bürgertums. Einerseits führte er die von einigen Sekten bereits entwickelten Ideen des Widerstandsrechts und der Volkssouveränität fort und nahm damit ein Moment egalitärer Demokratie in sich auf. Andererseits verkündete seine Prädestinationslehre, daß der wirtschaftliche Erfolg die göttliche Gnade und Erwähltheit zum Ausdruck bringe.« R. Kühnl: Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus — Faschismus. Reinbek/Hamburg 1971, S. 13.

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  33. Gelzers Literaturgeschichte, Bd. 2, S. 226.

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  34. Ebd., Bd. 1, IX.

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  35. Ebd.

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  36. Ebd., X f.

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  37. Ebd., Bd. 2, S. 3.

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  38. Ebd.

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  39. Zit. nach: Walter Schwarz: A. F. C. Vilmar, S. 37.

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  40. Zit. nach: W. Hopf, Bd. 1, S. 146.

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  41. Vilmars Literaturgeschichte S. 1.

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  42. Ebd., Vorwort zur vierten Auflage.

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  43. Ebd.

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  44. Eine unverkennbar biologistisch-rassistische Komponente enthält die Literaturgeschichte von Adolf Bartels. Vgl. vor allem seinen Schluß ab S. 680 im zweiten Band.

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  45. Theodor W. Adorno hat nachgewiesen, daß bestimmte »einschnappende« Wörter oder Aussagen in bestimmten historischen Zusammenhängen kollektives Einverständnis hervorrufen, ohne daß sie von dem, der sie »einsetzt« rational abgeleitet werden. Th. W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. Frankfurt 1969, S. 11 f.

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  46. Vilmars Literaturgeschichte, S. 1.

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  47. Ebd. Vorwort zu 4. Auflage.

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  48. Gelzers Literaturgeschichte, Bd. 1, S. 1.

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  49. Ebd.

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  50. Ebd., S. 1 f.

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  51. Ebd., S. 2.

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  52. Ebd.

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  53. Ebd., S. 7.

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  54. Ebd.

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  55. Vgl. auch: W. Emmerich: Volkstumsideologie, S. 27.

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  56. Gelzer, Bd. 1, S. 7 f.

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  57. Ebd., S. 8.

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  58. Ebd., S. 7.

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Reinhard Behm Karl-Heinz Götze Ulrich Schulte-Wülwer Jutta Strippel Jörg Jochen Müller

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Behm, R. (2000). Aspekte reaktionärer Literaturgeschichtsschreibung des Vormärz. Dargestellt am Beispiel Vilmars und Gelzers. In: Behm, R., Götze, KH., Schulte-Wülwer, U., Strippel, J., Müller, J.J. (eds) Germanistik und deutsche Nation 1806 – 1848. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02757-3_5

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