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Liberalismus und Dezisionismus

Zur Rehabilitierung eines liberalen Dezisionismus im Anschluß an Carl Schmitt, Jacques Derrida und Hermann Lübbe

  • Chapter
Politisches Denken Jahrbuch 2001

Zusammenfassung

»Der Begriff der Entscheidung ist kompromittiert. Er hat sich eines Gebrauchs fähig erwiesen, der ihn heute verdächtig macht. Romantiker der Ausnahmesituation haben ihn zum Grundbegriff ihres Denkens gemacht; er ist die tragende kategoriale Säule des sogenannten ›Dezisionismus‹.«1 Es gibt ein verbreitetes Unbehagen, das dazu beigetragen hat, die Würdigung wichtiger Einsichten des Dezisionismus mit einem oft undifferenzierten und v.a. politisch motivierten Tabu zu belegen. Dies gilt — neben den Denkern des Konsensus — zumal für den Liberalismus in diesem Jahrhundert, als dessen schärfster Gegner, ja »Feind«, der Dezisionismus vielen erscheint. Daß dies ein nicht nur intellektuell unredliches Vorgehen, sondern sogar ein gravierendes Versäumnis ist, das gerade dem Liberalismus wichtige Aufklärung über sich selbst vorenthält, soll im folgenden gezeigt werden; und ebenso, daß dies unverändert auch dann noch gilt, wenn die Grenzen herausgearbeitet und berücksichtigt werden, an die der Dezisionismus selbst stößt. Entscheidend wird dabei sein, Dezisionismus nicht auf eine seiner verschiedenen Varianten zu verengen. Es gibt nicht nur den Dezisionismus des Carl Schmitt. Ebensowenig ist er auf ein politisches Programm oder einen politischen Wert zu reduzieren. Dezisionismus soll vielmehr in einem sehr weiten Sinn als eine Position bzw. Einsicht verstanden werden, die auf ein sehr grundlegendes Problem der praktischen Philosophie eine folgenreiche Antwort gibt.

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Notizen

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Schwaabe, C. (2001). Liberalismus und Dezisionismus. In: Ballestrem, K.G., Gerhardt, V., Ottmann, H., Thompson, M.P. (eds) Politisches Denken Jahrbuch 2001. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02726-9_8

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