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Geben und Vergeben

Vorüberlegungen zu einer Neudeutung der Ambivalenzen bei Kleist

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Book cover Kleist-Jahrbuch 2000

Part of the book series: Kleist-Jahrbuch ((KLJA))

  • 156 Accesses

Zusammenfassung

Die conditio humana wird bei Kleist bekanntlich im defizienten Zeichen der Ohnmacht thematisch. Fast alle Figuren erleben in unterschiedlichem Maße ein Ausgeliefertsein an gnadenlose Machtverhältnisse, an schicksalhafte Determinismen, an triebhafte Mechanismen oder logische Aporien. Anders als in den metaphysischen Entwürfen einer autonomen und im Denken orientierten Subjektivität der theoretischen und praktischen Vernunft sowie ästhetischen Urteilskraft wird Dasein in seiner physischen Faktizität erfahren: als Trauma. Die Krisis, die für die Spätaufklärung in Kritik als Entscheidungs—und Begrenzungsvermögen umschlägt,2 verharrt für das kleistsche Subjekt in seiner ganzen Negativität einer Aporie oder Ausweglosigkeit. Aber dennoch verfällt Kleist keinem Nihilismus, wie er etwa in den ›Nachtwachen des Bonaventura‹ oder Jean Pauls ›Rede des toten Christus‹ aufkeimt: Die Dramatik der Erzählungen und Schauspiele wird gerade bestimmt von der Rebellion gegen diese Ausweglosigkeit des Scheiterns, in deren Verlauf sich das Trauma zur Apokalypse steigert, d. h. im vollen Doppelsinne des Wortes nämlich als Katastrophe und Offenbarung.3

Die Handlung des Kultus selbst beginnt daher mit der reinen Hingabe eines Besitzes, den der Eigentümer scheinbar für ihn ganz nutzlos vergießt oder in Rauch aufsteigen läßt. Er tut hierin vor dem Wesen seines reinen Bewußtseins auf Besitz und Recht des Eigentums und des Genusses desselben, auf die Persönlichkeit und die Rückkehr des Tuns in das Selbst Verzicht und reflektiert die Handlung vielmehr in das Allgemeine oder in das Wesen als in sich.

(Georg Friedrich Wilhelm Hegel)

Vgl. als Ausgang der Überlegungen die im Peter-Lang-Verlag vor kurzem publizierte Studie von Kiran Desai-Breun, Das Schweigen und die Gabe. Analytische Studien zu Ambivalenzen in Heinrich von Kleists ›Penthesilea‹ und ›Das Käthchen von Heilbronn‹, Frankfurt a.M. 1999.

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Notizen

  1. Vgl. Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 1976, S. 132 ff.

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  2. Vgl. Jacques Derrida, Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie, in: Apokalypsen, aus dem Französischen von Michael Wetzel, Wien und Köln 1985, S. 12 ff.; vgl. auch zur Apokalyptik des Untergangs als Befreiung bei Kleist: Justus Fetscher, Verzeichnungen. Kleists ›Amphitryon‹ und seine Umschrift bei Goethe und Hofmannsthal, Köln 1998, S. 122 ff.

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  3. Joachim Pfeiffer, Die zerbrochenen Bilder. Gestörte Ordnungen im Werk Heinrich von Kleists, Würzburg 1989, S. 7.—Vgl. auch Gerhard Neumann, Das Stocken der Sprache und das Straucheln der Körper. Umrisse von Kleists kultureller Anthropologie, in: Heinrich von Kleist. Kriegsfall—Rechtsfall—Sündenfall, hg. von Gerhard Neumann, Freiburg 1994, S. 23.

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  4. Derrida, Dissemination, aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, Wien 1995, S. 12.

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  5. Derrida, Dissemination, aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, Wien 1995, S. 12.

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  6. Mauss, Die Gabe (wie Anm. 14), S. 35. Zur Weiterentwicklung der Maussschen Ambivalenz (besonders bei Bataille und Derrida) vgl. jüngst Boris Groys, Die Ökonomie des Verdachts. In: Ders., Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien, München 2000, S. 117–187.

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  7. Georges Bataille, Der Begriff der Verausgabung, aus dem Französischen von Traugott König. In: Ders., Die Aufhebung der Ökonomie (Das theoretische Werk Bd. 1), hg. von Gert Bergfleth, München 1975, S. 19.

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  8. Vgl. Derrida, Das Jahrhundert der Vergebung. Verzeihen ohne Macht—unbedingt und jenseits der Souveränität. Ein Gespräch mit Michael Wieviorka, aus dem Französischen von Michael Wetzel, in: Lettre International 48, Frühjahr 2000, S. 10–18.

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  9. Gabriele Brandstetter, Penthesilea. »Das Wort des Greuelrätsels«. Die Überschreitung der Tragödie. In: Kleists Dramen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1997, S. 76 und S. 86.

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  10. Jochen Schmidt weist in seiner Interpretation von ›Die Marquise von O.. .‹ darauf hin, daß die generelle dramatische Erzählart Kleists hier besonders unmittelbar erfahrbar sei. In: Kleists Erzählungen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1998, S. 67.

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Günter Blamberger

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Wetzel, M. (2000). Geben und Vergeben. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 2000. Kleist-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02719-1_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02719-1_5

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