Skip to main content

Verspätete Gegengabe

Gabenlogik und Katastrophenbewältigung in Kleists ›Erdbeben in Chili‹

  • Chapter
Kleist-Jahrbuch 2000

Part of the book series: Kleist-Jahrbuch ((KLJA))

Zusammenfassung

Don Fernando und Donna Elvire nahmen hierauf den kleinen Fremdling zum Pflegesohn an; und wenn Don Fernando Philippen mit Juan verglich, und wie er beide erworben hatte, so war es ihm fast, als müßt er sich freuen. (159)1

Interpretationen des ›Erbebens in Chili‹ werden gewöhnlich—zumal seit David Wellberys exemplarischer Zusammenstellung verschiedener Modellanalysen—gemessen am letzten Satz der Novelle, dessen Erklärung gleichsam den Prüfstein markiert für die Stimmigkeit des jeweiligen Deutungsversuchs. Mein Ziel ist es zu zeigen, daß sich über das in erster Linie ethnologisch fundierte Konzept der Gabe eine stimmige und innovative Erläuterung dieses Schlußsatzes gewinnen läßt.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Henning Ritter und Axel Schmalfuß. In: Soziologie und Anthropologie, Bd. 2. München und Wien 1975 (zuerst unter dem Titel ›Essai sur le don‹ in L’Année Sociologique, N.S., Bd. 1, 1923–24 oder 1925, Angaben variieren).

    Google Scholar 

  2. Werner Hamacher bezeichnet den letzten Satz des ›Erdbebens‹ als »unmögliche[n] Imperativ, der sich Don Fernando angesichts des von ihm an Kindes Statt angenommenen Philipp aufdrängt. […] Der Verlust des eigenen Kindes […] soll durch die moralische Vaterschaft an Philippe aufgewogen sein—aber kann es doch nur fast. Denn die Freude über das adoptierte Kind müßte die Freude über den Mord am eigenen einschließen. So ist es ihm nur ›fast, als müßt er sich freuen‹. Aber doch […], ›als müßt er sich freuen‹, worüber sich zu freuen unmöglich ist. […] Diese Aufgabe spricht nur im Modus des Irrealis, nicht in einem ›er mußte‹, sondern einem ›als müßt‹ sich aus«. Werner Hamacher, Das Beben der Darstellung. In: Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists ›Das Erdbeben in Chili‹ hg. von David E. Wellbery, 3. Auflage, München 1993, S. 173.—Im Modus des Irrealis drückt sich aber nicht ausschließlich das aus, was per se unmöglich, sondern auch das, was noch unmöglich zu sein scheint—dieser Einwand im Hinblick auf eine Möglichkeit, die sich Don Fernando vielleicht nicht für die noch schmerzerfüllte Gegenwart, so aber doch für eine unbestimmte Zukunft zeigt.

    Google Scholar 

  3. Franz Boas, Ethnology of the Kwakiutl Indians. In: 35th Annual Report of the Bureau of American Ethnology 1914 (1921).

    Google Scholar 

  4. Jean Starobinski, Gute Gaben, schlimme Gaben. Die Ambivalenz sozialer Gesten, Frankfurt a.M. 1994, S. 9 f.

    Google Scholar 

  5. Lucius Annaeus Seneca, De beneficiis / Über die Wohltaten, 1. Buch, VIII. 1–2. In: Ders., Philosophische Schriften, lat. u. dt., Bd. 5, übers, und hg. von Manfred Rosenbach, Darmstadt 1989, S. 121 und S. 123.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Günter Blamberger

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Moucha, P. (2000). Verspätete Gegengabe. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 2000. Kleist-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02719-1_4

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02719-1_4

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01792-5

  • Online ISBN: 978-3-476-02719-1

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics