Skip to main content

Identität und Äquilibration

Von Metaphern und Goldwaagen bei Heinrich von Kleist

  • Chapter
  • 159 Accesses

Part of the book series: Kleist-Jahrbuch ((KLJA))

Zusammenfassung

Wenn als Bedingung der Möglichkeit der Interpretation eines literarischen Textes ein Bedeutungsüberschuß des signifié gegenüber dem signifiant vorausgesetzt werden muß, ein »Rest des Denkens, den die Sprache im Dunkeln gelassen hat«,1 manövriert sich folgerichtig jede Interpretation in eine paradoxe Situation; denn sie behauptet im Bewußtsein der semantischen Polyvalenz literarischer Gebilde zugleich die eigene Geltung und die prinzipielle Unlösbarkeit des Rätsels, das die Sprache darstellt. Kleist scheint in diesem Kontext eine paradigmatische Stellung einzunehmen, denn einem Wort von Caroline Neubaur folgend fliegt dem Interpreten jedesmal, wenn er sich über die Vulkane der Kleistschen Texte beugt, etwas entgegen, das er nicht erwartet. Diese Situation läßt sich aushalten, solange das hermeneutische Axiom aller Interpretation, daß es möglich sei, die Rede eines anderen zu verstehen, nicht in Frage gestellt, sondern, etwa im Sinne des Foucaultschen Diskursbegriffs, differenziert ausgefaltet wird: »Der Sinn einer Aussage wäre nicht definiert durch den Schatz der in ihr enthaltenen Intentionen, durch die sie zugleich enthüllt und zurückgehalten wird, sondern durch die Differenz, die sie an andere, wirkliche und mögliche, gleichzeitige oder in der Zeit entgegengesetzte Aussagen anfügt. So käme die systematische Gestalt der Diskurse zum Vorschein.«2 An die Stelle der referentiellen Textbedeutung träte ein interdiskursives Netzwerk, das Schreiber und Archivare, Adressaten und Interpreten verschiedener Dikursformationen verschaltete und eben den einen Fehler nicht beginge, den im Gewande naiver Begrifflichkeit so unschuldig daherkommenden Machtstrukturen zu erliegen.3

Denn das Symptom ist eine Metapher.

Jacques Lacan

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Michel Foucault, Die Geburt der Klinik, München 1973, S. 14.

    Google Scholar 

  2. Vgl. Friedrich A Kittler, Ein Erdbeben in Chili und Preußen. In: Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists ›Das Erdbeben in Chilis hg. von David E. Wellbery, München 1987, S. 24–39, hier S. 24.

    Google Scholar 

  3. Bianca Theisen, Bogenschluß. Kleists Formalisierung des Lesens, Freiburg 1996, S. 11.

    Google Scholar 

  4. Vgl. Jürgen Fohrmann, Schiffbruch mit Strandrecht. Der ästhetische Imperativ in der ›Kunstperiode‹, München 1998, S. 24.

    Google Scholar 

  5. Zur Theorie der Metapher siehe: Theorie der Metapher, hg. von Anselm Haverkamp, Darmstadt 1983.

    Google Scholar 

  6. Laszlö F. Földenyi, Heinrich von Kleist. Im Netz der Wörter, München 1999, S. 270.

    Google Scholar 

  7. Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M. 1999, S. 11–13.

    Google Scholar 

  8. Helmut Schneider, Dekonstruktion des hermeneutischen Körpers. Kleists Aufsatz ›Über das Marionettentheater und der Diskurs der klassischen Ästhetik. In: KJb 1998, S. 153–176, hier S. 154.

    Google Scholar 

  9. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1990, S. 383.

    Google Scholar 

  10. Harro Müller, Kleist, Paul de Man und Deconstrution. Argumentative Nach-Stellung. In: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, hg. von Jürgen Fohrmann und Harro Müller, Frankfurt a.M. 1988, S. 81–95, hier S. 83.

    Google Scholar 

  11. Arthur C. Danto, Metapher und Erkenntnis. In: Ders., Kunst nach dem Ende der Kunst, München 1996, S. 93–111, hier S. 99.

    Google Scholar 

  12. De Man, Paul, Tropen (Rilke). In: Ders., Allegorien des Lesens, Frankfurt a.M. 1988, S. 52–91, hier S. 80.

    Google Scholar 

  13. Wolfram Hogrebe, Archäologische Bedeutungspostulate, Freiburg; München 1977, S. 243.

    Google Scholar 

  14. Eine interessante, psycholinguistisch ausgerichtete Deutung der performativen Kraft der Sprechakte in Kleists ›Penthesilea‹ liefert: Birgit Hansen, Gewaltige Performanz. Tödliche Sprechakte in Kleists ›Penthesilea‹. In: KJb 1998, S. 109–127.

    Google Scholar 

  15. Michael Neumann, Genius malignus Jupiter oder Alkmenes Descartes-Krise. In KJb 1994, S. 141–156, hier S. 144.

    Google Scholar 

  16. Karlheinz Stierle, ›Amphitryons Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1997, S. 33–75, hier S. 57.

    Google Scholar 

  17. Gerhard Fricke, Gefühl und Schicksal bei Heinrich v. Kleist, Darmstadt 1963, S. 74.

    Google Scholar 

  18. Vgl. Bernd Fischer, Ironische Metaphysik. Die Erzählungen Heinrich von Kleists, München 1988, S. 69.

    Google Scholar 

  19. Vgl. Dirk Grathoff, ›Michael Kohlhaas‹. In: Kleists Erzählungen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1998, S. 43–67, hier S. 51.

    Google Scholar 

  20. Franz Kafka, Ein Landarzt. In: Ders., Sämtliche Erzählungen, hg. von Paul Raabe, Frankfurt a.M. 1991, S. 124–129, hier S. 124.

    Google Scholar 

  21. Jacques Lacan, Schriften II, hg. von N. Haas und H.-J. Metzger, 3. Auflage, Weinheim und Basel 1991, S. 213 ff.

    Google Scholar 

  22. Mikkel Borch-Jacobsen, Lacan. Der absolute Herr und Meister, München 1999, S. 205.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Günter Blamberger

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Mein, G. (2000). Identität und Äquilibration. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 2000. Kleist-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02719-1_10

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02719-1_10

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01792-5

  • Online ISBN: 978-3-476-02719-1

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics