Fragment einer Poetologie: Kleists Kategorie des „Befremdenden“

Zusammenfassung

Am 29. Dezember 1810, zwei Wochen nach dem Abdruck des vierten und letzten Teils des Marionettentheater-Aufsatzes, erscheint in den von Kleist herausgegebenen Berliner Abendblättern unter der Überschrift Literatur eine Stellungnahme des Dichters. Ausgangspunkt der Kritik ist das Drama eines Romantikers: Achim von Arnims Halle und Jerusalem. Kleist schreibt nach den ersten einleitenden Sätzen:

Erfüllt wie wir von dem ersten Eindruck sind, fehlt uns noch der Maßstab des Urteils, der unter den übrigen Alltäglichkeiten der dermaligen deutschen Poesie leicht abhanden kommt.

Wenn hier oder dort uns eine Wendung des wunderbaren Gedichtes befremdete, so sind wir doch nicht Barbaren genug, um irgend eine angewöhnte, unserm Ohr längst eingesungene poetische Weise für die Regel alles Gesanges zu halten. Der Dichter hat mehr auszusprechen, als das besondere uns in engen Schulen anempfundene Gute und Schöne. Alles Vortreffliche führt etwas Befremdendes mit sich, am meisten in Zeiten, wo die Wunder der Poesie der großen Mehrzahl der Menschen auf Erden fremd geworden sind (KS II, S. 422).

Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen, und wir werden davon nichts, als bloß den Umsturz der alten erleben (Dezember 1805 an Rühle von Lilienstern).

[D]as ist eben das Talent der Dichter, welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben, aber das Arkadische oder überhaupt Interessante auch an dem Gemeinsten, das uns umgibt, heraus finden können (September 1800 an Wilhelmine).