Zusammenfassung
José Fernández Montesinos nannte Garcilaso einmal einen „profesor de melancolía“, wie alle großen Künstler der Renaissance.1 Er meinte damit wohl kaum, daß Garcilasos Dichtung eine didaktische Aufbereitung überlieferter antik-mittelalterlicher Vorstellungen der Humoralpathologie und Temperamentenlehre in poetischer Form und erst recht keine Analyse von seelischen Grunddispositionen mit dem autobiographischen Hintergrund der vom Dichter so eindringlich schön besungenen Erfahrungen des „dolorido sentir“ darstellt. Versteht man „profesor“ in des Wortes etymologischer Bedeutung als jemand, der sich öffentlich bekennt und etwas zur Schau trägt, kommt man Montesinos’ metaphorischer Einschätzung des frühvollendeten Lyrikers näher, der sich zur Melancholie nicht nur als ‘poetic mood’, sondern als Lebensform bekannte, wie sie der tapfere Edelmann, Höfling im Dienst des Kaisers Karl V. und Dichter in reinster Verkörperung des Ideals Armas y Letras angenommen hatte. Es wäre freilich vermessen, bei Garcilaso die Abkehr von Schönheit und Ideal in der Liebesdichtung nachweisen zu wollen, für die er geradezu als klassischer Musterautor bereits im späteren 16. Jahrhundert kommentiert und gerühmt wird. Es soll vielmehr versucht werden, einerseits vor dem Hintergrund der höfischen Cancionero-Dichtung im Spanien des 15. Jahrhunderts den Fortschritt und Wandel zur frühneuzeitlichen Lyrik zu Beginn des Siglo de Oro anzudeuten, andererseits aber auch in Garcilasos poetischem Werk einige jener Stellen aufzuspüren, an denen sich auf der Grundlage der seinerzeit geläufigen, überlieferten Vorstellungen von der Melancholie etwa der Umschlag des locus amœnus, des Lustorts, in das Gegenteil, ein Szenarium der Verstörung und des Schreckens, fassen läßt.
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Literatur
J. Fernández Montesinos: Ensayos y estudios de literatura española. Mexiko 1959, S. 34.
A. Pagès: „Le thème de la tristesse amoureuse en France et en Espagne du XIVe au XVe siècle“; in: Romania 58, 1932, S. 41.
Ch. Orobitg: Garcilaso et la mélancolie. Toulouse 1997, S. 31–38.
Garcilaso de la Vega: Poesía castellana completa. Hg. v. C. Burell. Madrid 111986, Elegía I, V. 196–201. Alle folgenden Zitate sind dieser Ausgabe entnommen.
Garcilaso 1986, Egloga II, V. 633.
Ebd., V. 541.
Ebd., Egloga III, V. 13.
Ebd., Egloga II, V. 1253ff.
Zitiert bei Orobitg 1997, S. 35.
Ebd., S. 37.
E.R. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 21954, S. 202–206.
Andrés de Li: Repertorio de los tiempos. Burgos 1493, zitiert bei Orobitg 1997, S. 34.
Garcilaso 1986, Egloga I, V. 296–309.
Ebd., Egloga III, V. 14.
Orobitg 1997, S. 43.
Ebd., S. 181.
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Briesemeister, D. (2000). Garcilaso de la Vega und die Melancholie. In: Fischer, C., Veit, C. (eds) Abkehr von Schönheit und Ideal in der Liebeslyrik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02695-8_13
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