Zusammenfassung
Wenn Heinrich Heine am Ende kurz vor seinem Tod schreibt, dass die »Emanzipation des Volkes« die große Aufgabe seines Lebens war (B VI/1, 468), dann will es scheinen, als habe es in seinem Werk keinen Bruch gegeben. Immerhin hat er schon in den »Reisebildern« unmissverständlich auf seine aufklärerische Absicht hingewiesen. Er hat dort nicht nur ausgeschrieben, dass es an der Zeit sei, das Volk zu emanzipieren (B II, 376), sondern auch erklärt, wie er zur Bewältigung dieser Aufgabe beitragen wolle. Besonders erhellend sind in diesem Zusammenhang der Traum von Themis, der am Anfang der »Harzreise« steht, und die Anrufung von Satyra, die die »Stadt Lucca« beschließt. Es ist wohl keine Täuschung, wenn wir in diesen beiden, die »Reisebilder« gleichsam rahmenden Passagen eine Allegorie des Aufklärungsgeschäfts erkennen, mit der Heine seinen späteren Schriften die Richtung weist, und es ist sehr lohnend, sich diese Allegorie genau anzusehen, denn sie entwirft ein dreifaches Bild: das Bild der Empörung von Themis über die Strafe und das Leid des gefesselten Prometheus, das Bild der ruhigen, tröstenden Gottheiten Apoll und Venus und das Bild der richtenden Satyra.
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Anmerkungen
Vgl. Elisabeth Frenzel: Prometheus. — In: Dies.: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 9., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart 1998, S. 653–658.
Sabine Bierwirth: Trommler und Tambour. Heines Versuch einer Synthese ›politisch romantischer‹ Dichtung. — In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte und Karin Füllner. Stuttgart, Weimar 1998, S. 475–488.
Vgl. Edith Lutz: Heinrich Heine und der »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden«. — In: Heinrich Heine und die Religion, ein kritischer Rückblick. Ein Symposium der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 27.–30. Oktober 1997. Düsseldorf 1998, S. 65–80. Sowie:
Norbert Waszek: Aufklärung, Hegelianismus und Judentum im Lichte der Freundschaft von Heine und Gans. — In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte und Karin Füllner. Stuttgart, Weimar 1998, S. 226–241.
Vgl. Theodor W. Adorno: Die Wunde Heine. — In: Ders.: Noten zur Literatur I. Frankfurt a. M. 1957, S. 146–154, hier S. 153.
Vgl. Beate Wirth-Ortmann: Das Christusbild Heinrich Heines. — In: Heinrich Heine und die Religion, ein kritischer Rückblick. Ein Symposium der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 27.–30. Oktober 1997. Hrsg. von Ferdinand Schlingensiepen und Manfred Windfuhr. Düsseldorf 1998, S. 127–149.
Vgl. Klaus Briegleb: Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller in der Moderne. München 1997, S. 11 ff.
Vgl. Stephan Braese: Heines Masken. — In: Konterbande und Camouflage. Szenen aus der Vor- und Nachgeschichte von Heinrich Heines +marranischer Schreibweise. Hrsg. von Stephan Braese und Werner Irro. Berlin 2002, S. 51–72.
Vgl. Daniel Krochmalnik: Naturrecht und Rechtspositivismus in der jüdischen Tradition. — In: Trumah. Zeitschrift der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 8 (1999), S. 133–150, hier S. 137ff.
Es ist gezeigt worden, dass die Geschichte der Satire eine Geschichte ihrer Zähmung ist (vgl. Christoph Deupmann: ›Furor satiricus‹. Verhandlungen über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 2002) und Heine dieser Zähmung zuwider arbeitet (vgl.
Burkhard Meyer-Sickendiek: Was ist literarischer Sarkasmus? Ein Beitrag zur deutsch-jüdischen Moderne. München 2009, S. 193 ff.). Tatsächlich ist Heines satirisches Schreiben ätzender als das vieler Zeitgenossen. Dennoch bleibt es auch in seiner schärfsten Form, etwa im Angriff auf Platen, bewusst figürlich und damit nah bei der Form des Witzes, der Aggressionen sublimiert (vgl.
Yael Kupferberg: Dimensionen des Witzes um Heinrich Heine. Zur Säkularisation der poetischen Sprache. Würzburg 2011). Die Invektive, in der er Platen voraussagt, von den Eumeniden getötet zu werden, endet: »Entsetze Dich nicht, lieber Leser, es ist ja alles nur Scherz. Diese furchtbaren Eumeniden sind nichts als ein heiteres Lustspiel, das ich, nach einigen Lustren, unter diesem Titel schreiben werde […]« (B II, 470).
Tamara Eisenberg: Neither Christ nor Barbarossa. Heinrich Heine’s »Messiah in golden chains«. — In: Benjamin — Agamben. Politik, Messianismus, Kabbala. Hrsg. von Vittoria Borso, Claas Morgenroth, Karl Solibakke und Bernd Witte. Würzburg 2010, S. 219–227, hier S. 220 (Hervorhebung HK).
Benjamin Hederich: Gründliches mythologisches Lexikon. Darmstadt 1996 (Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1770), Sp. 1857 ff.
Vgl. Hans Kruschwitz: Kämpe und Gourmand der Revolution. Zur Genussdoktrin in Heines »Deutschland. Ein Wintermärchen«. — In: HJb 52 (2013), S. 42–53, hier S. 50 ff.
George Steiner: Our Homeland, the Text. — In: Ders.: No Passion Spent. Essays 1978–1996. London u.a. 1996, S. 304–327.
Vgl. Jürgen Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland. — In: Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Hrsg. von Christian Liedtke. Darmstadt 2000, S. 68–89, hier S. 69 f.
»Vor allem aber wird von den Maskilim die Autorität ungebildeter, nur in den rabbinischen Quellen bewanderter Rabbiner nicht mehr anerkannt. Der jiddelnde ›polnische Rabbiner‹ und Hauslehrer wird zur Witzfigur und Karikatur dessen, wovon der Maskil sich lösen will.« Christoph Schulte: Die jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion, Geschichte. München 2002, S. 38 ff.
Leopold Zunz: Gesammelte Schriften. Hrsg. vom Curatorium der »Zunzstiftung«. 3 Bde. in einem Bd. Hildesheim 1976 (Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1875 f.), Bd. II, S. 177.
Vgl. Anne Maximiliane Jäger: »Besaß auch in Spanien manch’ luftiges Schloß«. Spanien in Heinrich Heines Werk. Stuttgart 1999, S. 31 ff, sowie
Kathrin Wittler: »Mein westöstlich dunkler Spleen«. Deutsch-jüdische Orientimaginationen in Heinrich Heine Gedicht »Jehuda ben Halevy«. — In: HJb 49 (2010), S. 30–49, hier S. 41 ff.
Barbara Bauer: Nicht alle Hebräer sind dürr und freudlos. Heinrich Heines Ideen zur Reform des Judentums in der Erzählung »Der Rabbi von Bacherach«. — In: HJb 35 (1996), S. 23–54, hier S. 32.
»Ganz im Sinne von Mendelssohns Abwertung der Bilderschrift als einer zum Götzendienst führenden Schriftart, muß diese verzerrte Spiegelung als Hinweis Heines darauf gelesen werden, daß die Heilsgeschichte besonders im Medium der Bildsprache Verfälschungen ausgesetzt ist, da sie sich nur allzu gern mit den weltlichen Versprechungen der nichtjüdischen Umwelt vermischt.« Bernd Witte: Jüdische Tradition und literarische Moderne. Heine, Buber, Kafka, Benjamin. München 2007, S. 55.
Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus. Mit einem Nachwort von Joachim Fischer. Frankfurt a. M. 2002, S. 135.
Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M. 1994.
Vgl. Florian Krobb: »Mach die Augen zu, schöne Sara«. Zur Gestaltung der jüdischen Assimilationsproblematik in Heines »Der Rabbi von Bacherach«. — In: German Life and Letters 47 (1994), S. 167–181.
Vgl. Bauer: Nicht alle Hebräer sind dürr und freudlos [Anm. 29], S. 47, sowie Willi Goetschel: Heines Spinoza. Ent/Mythologisierung der Philosophie als Projekt der Entzauberung und Emanzipation. — In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte und Karin Füllner. Stuttgart, Weimar 1998, S. 571–585, hier S. 579 f., und
Willi Goetschel: Spinoza’s Modernity. Mendelssohn, Lessing, and Heine. Madison (WI) 2004, S. 262 f.
Andrea Schatz: »Peoples pure of speech«. The religious, the secular, and Jewish beginnings of modernity. — In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 6 (2007), S. 159–187, hier S. 180 f.
Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985, S. 16.
Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. 4 Bde. in 12 Teilbdn. Frankfurt a. M. 1980, Bd. I/II, S. 697 f. (Hervorhebung im Original)
Detlev J. K. Peukert: Max Webers Diagnose der Moderne. Göttingen 1989, S. 35.
Vgl. Christian Liedtke: »…die überwuchernde Macht des Kapitals«. Geld, Gold und Eisenbahnen im Spätwerk Heinrich Heines. — In: »…und die Welt ist so lieblich verworren«. Heinrich Heines dialektisches Denken. Festschrift für Joseph A. Kruse. Hrsg. von Bernd Kortländer und Sikander Singh. Bielefeld 2004, S. 73–100, hier S. 88.
Vgl. Christian Liedtke: »Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht«. Heines Kritik des teleologischen Denkens. — In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte und Karin Füllner. Stuttgart, Weimar 1998, S. 598–614.
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Kruschwitz, H. (2015). »…möglich, daß die Sendung dieses Stammes noch nicht ganz erfüllt«. Satire, jüdische Textkultur und das moderne Europa bei Heinrich Heine. In: Brenner-Wilczek, S. (eds) Heine-Jahrbuch 2015. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-01400-9_5
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