Zusammenfassung
Die »wahrscheinlich berühmtesten Abschiedsbriefe der deutschen Literatur« (S. 17) seien die letzten Briefe Heinrich von Kleists und Henriette Vogels — mit diesem Superlativ warten die Herausgeber einleitend auf, gewiss zu Recht. Seit den Zeiten Georg Minde-Pouets fühlten sich wohl zahllose Kleist-Leser auch darüber hinaus an die weit über 200 bekannt gewordenen Briefe verwiesen, wenn sie auf Leben und Persönlichkeit des rätselhaften Menschen, der sich hinter den Texten zu verbergen schien, neugierig waren. Kleists Briefe versprechen Aufschluss über Details der Lebensgeschichte, über Lebenseinstellung, Überzeugungen, Lebenskrisen — an das Würzburger Torbogengleichnis, das Erziehungskonzept für die Verlobte Wilhelmine von Zenge und die Kant-Krise ist hier zu allererst zu erinnern. Klaus Müller-Salget dokumentiert in seinem Artikel im ›Kleist-Handbuch‹, wie sehr sich doch die Forschung vorwiegend darauf beschränkt hat, in diesen Briefen Vorgaben und Lückenschlüsse für die Deutungen der hauptsächlich fokussierten literarischen (und publizistischen) Texte zu erkennen. Daneben spielen immer wieder Überlieferungs- und Edition s fragen eine Rolle.2 Es sind vor allem drei, in vorliegendem Band auch aufgegriffene Forschungsbeiträge, die Kleists Briefe selbst ernst genommen haben: Hans-Jürgen Schraders Aufsätze zum rhetorischen Aufbau der Verlobungsbriefe als Abhandlungen,3 Karl Heinz Bohrers u.a. auf Kleist gemünzte und in der Kleist-Forschung umstrittene These von der Entbindung (und bei Kleist: Radikalisierung) ästhetischer Subjektivität aus dem doch pragmatischen Genre des Briefs heraus;4 schließlich ist Gabriele Kapps These zu erwähnen, die frühen Briefe nähmen die Sprachexperimente des später entstehenden Werks und generell Kleists Poetologie vorweg.5
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Anmerkungen
Über: Ingo Breuer, Katarzyna Jaśtal und Paweł Zarychta (Hg.): Gesprächsspiele & Ideenmagazine. Heinrich von Kleist und die Briefkultur um 1800. Köln, Weimar und Wien: Böhlau 2013, 396 S.
Vgl. Klaus Müller-Salget, Briefe [Art.]. In: Ingo Breuer (Hg.), Kleist-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, Stuttgart und Weimar 2009, S. 180–183.
Vgl. Hans-Jürgen Schrader, Unsägliche Liebesbriefe. Heinrich von Kleists Briefe an Willhelmine von Zenge. In: KJb 1981/82, S. 86–96; ders., »Denke Du wärest in das Schiff meines Glückes gestiegen«. Widerrufene Rollenentwürfe in Kleists Briefen an die Braut. In: KJb 1983, S. 122–179.
Vgl. Karl Heinz Bohrer, Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität, München und Wien 1987.
Vgl. Gabriele Kapp, Des Gedankens Senkblei. Studien zur Sprachauffassung Heinrich von Kleists 1799–1806, Stuttgart und Weimar 2000.
Siehe Cécile-Eugénie Clot, Kleist épistolier. Le geste, l’objet, l’écriture, Bern u.a. 2008, S. 377: »A travers ses lettres, l’epistolier Kleist se livre à l’autre, avoue sa fragilité, s’emporte sur l’injustice don’t il est victime ou fait montre de sa détermination farouche.«
»Der wahre Brief ist, seiner Natur nach, poëtisch.« (Novalis, Vermischte Bemerkungen/ Blüthenstaub. In: Ders., Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Richard Samuel u.a., Bd. 2: Das philosophische Werk 1, Stuttgart ²1965, S. 412–457, hier S. 434) Vgl. Herta Schwarz, »Brieftheorie« in der Romantik. In: Angelika Ebrecht u.a. (Hg), Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays, Stuttgart 1990, S. 225–238.
Bernhard Siegert, Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post (1751–1913), Berlin 1993, S. 94.
Vgl. Günter Blamberger, Über Nähe und Ferne. Die ›Todeslitanei‹ Heinrich von Kleists und Henriette Vogels. In: Jörg Schuster und Jochen Strobel (Hg.), Briefkultur Texte und Interpretationen — von Martin Luther bis Thomas Bernhard, Berlin und Boston 2013, S. 113–124.
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Strobel, J. (2013). Lebens- und Todeslitaneien. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2013. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-01199-2_24
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