Zusammenfassung
Natur kann grundsätzlich im Kleistschen Werk in vielfacher Hinsicht verortet werden. Greift Kleist bei der ›Allmähligen Verfertigung beim Reden‹ oder in ›Über das Marionettentheater‹ auf einen der französischen Aufklärung nahen, stark physikalisch verstandenen Naturbegriff zurück (Diderot, Helvétius), der mit der ›moralischen‹ Natur des Menschen übereinstimme,1 dient die Natur in seinem epischen und dramatischen Werk oft als Spiegel der menschlichen Natur und auch als Fluchtpunkt einer conditio humana, die mit ihrer unvollkommenen Realitätserfassung und -wiedergabe sich als trügerisch und ausweglos erweist.2 In den beiden ausgewählten Werken nimmt sie zudem eine herausgehobene Stellung in ihrer Kontrastfunktion zu der von Menschen geschaffenen Stadt- oder Burgenwelt ein. Sie ist dabei in drei Dimensionen zu fassen: im menschlichen Wesen, in der Utopie und in der Landschaft. Beide Texte exponieren ein künstliches, normatives und oft zweipoliges Gesellschafts- und Denksystem und Spannungsfeld (Rossitz vs. Warwand, Santiago vs. Umland), welches von Gewalt geprägt sind, in das hinein eine Liebesbeziehung entsteht. Im Kontrast hierzu bietet die Natur die vielpolige Gegen- oder Zwischenwelt, die oftmals das begrenzte menschliche Fassungsvermögen übersteigt. Diese sowohl übertrieben idyllisch,3 utopisch und mythisch als auch magisch, grausam und wild inszenierte Natur bietet, wenn auch nur scheinbar, einen Ausgangspunkt für die Möglichkeit einer gesellschaftlich nicht tolerierten Liebe, wie sie für die Liebenden auch natürlich ist, also befreit von gesellschaftlichen Konstrukten.
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Anmerkungen
Vgl. Helmut J. Schneider, Natur [Art.]. In: Ingo Breuer (Hg.): Kleist-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, Stuttgart und Weimar 2009, S. 349–351, hier S. 349f.
Roland Reuß, »Im Freien«? Kleist-Versuche, Frankfurt a.M. 2010, S. 230.
Rüdiger Görner, Gewalt & Grazie. Heinrich von Kleists Poetik der Gegensätzlichkeit, Heidelberg 2011, S. 125.
Peter Horn, Verbale Gewalt oder Kleist auf der Couch. Über die Problematik der Psychoanalyse von literarischen Texten, Oberhausen 2009, S. 118f.
Gerhard Gönner, Von »zerspaltenen Herzen« und der »gebrechlichen Einrichtung der Welt«. Versuch einer Phänomenologie der Gewalt bei Kleist, Stuttgart 1989, S. 88.
Vgl. Ulrike Stefanie Heutger, Gewalt in ausgewählten Erzählungen Heinrich von Kleists. Ihre Funktion und Darstellung, Stuttgart 2003, S. 116.
Bernhard Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen. Experimente zum ›Fall‹ der Kunst, Basel und Tübingen 2000, S. 68.
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Ehrig, S. (2013). »Und in der Tat Schien […] der Menschliche Geist Selbst, Wie Eine Schöne Blume, Aufzugehn«. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2013. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-01199-2_19
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