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Genie oder Geschäftsmann?

Autorschaft zwischen Natur und Literaturbetrieb in Kleists Briefen

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Zusammenfassung

Im September 1800 schreibt Heinrich von Kleist an Wilhelmine von Zenge nach einer längeren brieflichen Abhandlung ganz unverblümt: »Verzeihe mir diese Umständlichkeit. Ich denke einst diese Papiere für mich zu nützen.« (MA II, 629) Kleist entschuldigt sich hier für den langen und oftmals detaillierten Bericht aus Würzburg, der, wie er zugibt, mehr für ihn selbst als für seine Verlobte bestimmt ist. Dieses Beispiel steht paradigmatisch für das, was Klaus Müller-Salget mit Blick auf Kleists gesamtes Briefwerk konstatiert, wenn er herausstellt, dass es dem Autor in seinen Briefen sehr viel weniger um die Adressaten als vielmehr um sich selbst gegangen ist.1 Tatsächlich fungieren Kleists Briefe häufig nicht als Kommunikations-, sondern vielmehr als Ausdrucksmedium. In der Briefkultur des 18. Jahrhunderts ist dies keine Seltenheit, denn ab 1750 verknüpfte sich das Bedürfnis nach schriftlicher Mitteilung mit dem Bedürfnis nach Selbstreflexion. In dieser neuen Form übernimmt der Brief eine relevante Funktion für das Nachdenken des Schreibenden über die eigene Person und nähert sich so den charakteristischen Darstellungs- und Schreibweisen von Tagebuch, Autobiographie und Essay an.2

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Anmerkungen

  1. Vgl. Klaus Müller-Salget, Briefe [Art.]. In: Ingo Breuer (Hg.), Kleist-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, Stuttgart und Weimar 2009, S. 180–183, hier S. 183.

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  2. Vgl. Detlev Schöttker, Einführung. Briefkultur und Ruhmbildung. In: Ders. (Hg.), Adressat: Nachwelt. Briefkultur und Ruhmbildung, München 2008, S. 9–16, hier S. 9–11.

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  3. Kleists Briefe werden in der neueren Forschung weitgehend als Literatur gelesen. Vgl. Jeffrey Champlin, Bombenpost 2011. Zur Rezeption von Kleists Briefen. In: KJb 2010, S. 170–177, hier S. 171.

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  4. Für einen detaillierten Überblick vgl. Hans-Dieter Fronz, Verfehlte und erfüllte Natur. Variationen über ein Thema im Werk Heinrich von Kleists, Würzburg 2000, S. 29–88.

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  5. Vgl. Günter Blamberger, Heinrich von Kleist. Biographie, Frankfurt a.M. 2011, S. 154f.

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  6. Vgl. Franz M. Eybl, Kleist-Lektüren, Wien 2007, S. 36.

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  7. Gerhard Schulz, Kleist. Eine Biographie, durchgesehene und aktualisierte Sonderausgabe, München 2011, S. 231.

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  8. Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Träumereien eines einsamen Spaziergängers, übers. von Ulrich Bossier, Nachwort von Jürgen von Stackelberg, Stuttgart 2003.

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  9. Vgl. Anne Bohnenkamp, Autorschaft und Textgenese. In: Heinrich Detering (Hg.),: Autorschaft. Positionen und Revisionen, Stuttgart und Weimar 2002, S. 62–79, hier S. 63.

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  10. Die genieästhetische Neuorientierung wurde vor allem von Edward Young und Immanuel Kant vorbereitet. Edward Youngs ›Conjectures on Original Composition in a Letter to the Author of Sir Charles Grandison‹ erschien 1759 in London und wurde schon ein Jahr darauf ins Deutsche übersetzt. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Ursprung von Schöpfung und Kreativität sowie dem Bild des Originalgenies bei Young findet sich bei Günter Blamberger, Das Geheimnis des Schöpferischen oder: Ingenium est ineffabile? Studien zur Literaturgeschichte der Kreativität zwischen Goethezeit und Moderne, Stuttgart 1991, S. 60–65. Immanuel Kant setzte sich in der 1790 erschienenen ›Kritik der Urteilskraft‹ mit dem Geniekonzept auseinander und entwarf ein Geniebild, das deutlich von Edward Youngs Ausführungen abweicht. Für eine Darstellung des Geniegedankens bei Kant vgl. Blamberger, Das Geheimnis des Schöpferischen, S. 65–71. Zur Entwicklung der Genieästhetik in Deutschland vgl. zudem die umfangreiche Arbeit von

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  11. Jochen Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750–1945, 2 Bde., Darmstadt 1985.

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  13. Vgl. Fotis Jannidis u.a., Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern. Historische Modelle und systematische Perspektiven. In: Dies. (Hg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999, S. 3–35, hier S. 7–9. Zur Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland vgl. zudem die einschlägige Arbeit von Heinrich Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit, Paderborn u.a. 1981.

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  14. Gwendolyn Diane Gwin setzt den poète maudit mit dem Autor in der Romantik und dem romantischen Bild von Autorschaft gleich. Vgl. Gwendolyn Diane Gwin, A Study of the Concept of Poète Maudit in the Romantic Tradition, Auburn und Alabama 1974.

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Günter Blamberger Ingo Breuer Wolfgang de Bruyn Klaus Müller-Salget

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Gawe, N. (2013). Genie oder Geschäftsmann?. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2013. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-01199-2_17

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-01199-2_17

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