Zusammenfassung
Kleists Briefwechsel stellt keineswegs ein isoliertes Phänomen in seinem Schreiben dar, was in den letzten Jahren von der Forschung mehrmals hervorgehoben wurde. Die Briefe an Wilhelmine von Zenge, die fehlenden Briefe von der Würzburger Reise und die zusammen mit Henriette Vogel verfassten Abschiedsbriefe werfen nicht nur ein bezeichnendes Licht auf das ruhelose Leben seines Verfassers, sondern lassen auch wichtige Fragen in Bezug auf verschiedene Ebenen seines Werks zutage treten. Eine Besonderheit dieser Kommunikations form sind die fiktiven Briefe in den ›Berliner Abendblättern‹, von Kleist selbst verfasste Leserbriefe, die an die Redaktion adressiert sind und von der Redaktion auch beantwortet werden.1 Beispielsweise gibt sich Kleist in der ›Zuschrift eines Predigers‹ als fiktiver Pfarrer einer kleinen Gemeinde aus, deren Mitglieder durch eine vom Staat eingeführte Lotterie dazu verleitet werden, sich an Glücksspielen zu beteiligen, statt den Pflichten eines guten Christen nachzukommen. Kleist wartet gleich im Anschluss in seiner Funktion als Herausgeber mit einer Antwort auf, in der er sich ironisch mit dem Thema Glück und Zufall auseinandersetzt und gegenüber dem Verfasser des Briefs eine kritische Haltung einnimmt. Mit ihrer Schlagfertigkeit und beißenden Ironie zeugt die ›Zuschrift eines Predigers‹ vom Kommunikationsdrang des Autors, der versucht, mit seinen Lesern in einen direkten, unzensierten Kontakt zu treten und gleichzeitig indirekt Raum für seinen individuellen Standpunkt zu schaffen.
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Anmerkungen
Neben der grundlegenden Studie von Sibylle Peters (Heinrich von Kleist und der Gebrauch der Zeit. Von der MachArt der Berliner Abendblätter, Würzburg 2003) vgl. zum vielschichtigen Thema der Kommunikation in den ›Berliner Abendblättern‹ auch Elke Dubbels, Zur Dynamik von Gerüchten bei Heinrich von Kleist. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 131 (2012), S. 191–210; Dirk Grathoff, Die Zensurkonflikte der ›Berliner Abendblätter. Zur Beziehung von Journalismus und Öffentlichkeit bei Heinrich von Kleist. In: Klaus Peter u.a. (Hg), Ideologiekritische Studien zur Literatur. Essays 1, Frankfurt a.M. 1972, S. 35–168;
Jochen Marquardt, Der mündige Zeitungsleser. Anmerkungen zur Kommunikationsstrategie der ›Berliner Abendblättern‹. In: Beiträge zur Kleist-Forschung (1986), S. 7–36;
Sibylle Peters, Von der Klugheitslehre des Medialen. (Eine Paradoxe.) Ein Vorschlag zum Gebrauch der ›Berliner Abendblätter‹. In: KJb 2000, S. 136–160;
Bodo Rollka, Die Belletristik in der Berliner Presse des 19. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Sozialisa-tionsfunktion unterhaltender Beiträge in der Nachrichtenpresse, Berlin 1985, S. 60–85. Zur Einbettung der fiktionalen Leserbriefe Kleists in ihren medialen Kontext siehe
Anna Castelli, Fiktive Briefe in den ›Berliner Abendblättern‹. Kleist, die ›Zuschrift eines Predigers‹ und die Quinen-Lotterie. In: Ingo Breuer, Katarzyna Jaśtal und Paweł Zarychta (Hg), Gesprächsspiele & Ideenmagazine. Heinrich von Kleist und die Briefkultur um 1800, Köln, Weimar und Wien 2013, S. 197–206.
Luxus [Art.]. In: Brockhaus Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeit, Amsterdam 1809, Bd. 2, S. 442f., hier S. 442.
Luxus [Art.]. In: Johann Georg Krünitz (Hg.), Oekonomisch-technologische Encyklo-pädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft, und der Kunst-Geschichte, Berlin 1801, Bd. 82, S. 40–94, hier S. 40, 42.
Luxus (Moral und Philosophie) [Art.]. In: Denis Diderot, Enzyklopädie. Philosophische und politische Texte aus der ›Encyclopédie‹ sowie Prospekt und Ankündigung der letzten Bände, aus dem Französischem von Theodor Lücke, München 1969, S. 308–334, hier S. 316. Der Artikel wird Saint Lambert zugeschrieben.
Siehe Luxus [Art.]. In: Voltaire, Kritische und satirische Schriften, München 1970, S. 674–676.
Voltaire, Das Weltkind [Le Mondain]. In: Voltaire. Ein Lesebuch für unsere Zeit, hg. von Martin Fontius, aus dem Französischem von Thorgerd Schlücker, Berlin und Weimar 1989, S. 7–10, hier S. 7f.
Voltaire, Luxe [Art.]. In: Ders., Œuvres complètes, Oxford 2012, Bd. 42b: Questions sur l’Encyclopédie, par des amateurs. VII Langues–Prières, S. 122–124, hier S. 122f. (Übersetzung A.C.).
Jean-Jacques Rousseau, Abhandlung über die Wissenschaften und Künste. In: Ders., Schriften, Frankfurt a.M. 1988, S. 27–60, hier S. 47f.
Siehe dazu Astrid Ackermann, Die Sittlichkeit des Luxus. In: Andrea Heinz (Hg.), ›Der Teutsche Merkur‹ — die erste deutsche Kulturzeitschrift? Heidelberg 2003, S. 276–293.
[Friedrich Justin Bertuch], Einleitung. In: Journal des Luxus und der Moden 1 (1786), S. 3–14. Vgl. dazu Angela Borchert und Ralf Dressel (Hg.), Das ›Journal des Luxus und der Moden‹. Kultur um 1800, Heidelberg 2004.
Die Rolle Rousseaus für Kleist ist in den letzten Jahren von Christian Moser besonders ausgearbeitet worden; vgl. Christian Moser, Verfehlte Gefühle. Wissen — Begehren — Darstellen bei Kleist und Rousseau, Würzburg 1993;
ders., Angewandte Kontingenz. Fallgeschichten bei Kleist und Montaigne. In: KJb 2000, S. 3–32;
ders., Prüfungen der Unschuld: Zeuge und Zeugnis bei Kleist und Rousseau. In: Tim Mehigan (Hg.), Heinrich von Kleist und die Aufklärung, Rochester (NY) u.a. 2000, S. 92–112. Zur Rousseau-Rezeption Kleists siehe auch Bernhard Böschenstein, Kleist und Rousseau. In: KJb 1981/1982, S. 145–156; Walburga Hülk, Natur und Fremdheit bei Rousseau und Kleist. In: KJb 2000, S. 33–44;
Marcel Krings, Naturunschuld und Rechtsgesellschaft. Kleists romantische Rousseau-Modifikationen. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 37 (2005) S. 13–27;
Jochen Marquardt, »Rousseau ist immer das vierte Wort der Franzosen …«. Zum Frankreichbild Heinrich von Kleists während seiner Dresdner Zeit. In: Michel Espagne und Matthias Midell (Hg.), Von der Elbe bis an die Seine. Kulturtransfer zwischen Sachsen und Frankreich im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1993, S. 235–247;
Stefania Sbarra, La statua di Glauco. Let-ture di Rousseau nell’età di Goethe, Roma 2006, S. 202–240;
Siegfried Streller, Kleist und Rousseau. In: Ders., Wortweltbilder. Studien zur deutschen Literatur, Berlin und Weimar 1986, S. 117–143;
Oskar von Xylander, Heinrich von Kleist und J.J. Rousseau, Berlin 1937.
Zu Kleists ›Der Findling‹ siehe Günter Blamberger, Die Novelle als Antibildungsge-schichte. Anmerkung zu Kleists ›Der Findling‹. In: Peter-André Alt u.a. (Hg.), Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik, Würzburg 2002, S. 479–494; Rudolf Behrens, ›Der Findling‹ — Heinrich von Kleists Erzählung von den infortunes de la vertu im Spannungsfeld zwischen Helvétius und Rousseau. In: Angel San Miguel, Manfred Tietz und Richard Schwaderer (Hg.), Romanische Literaturbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 1985, S. 9–28;
Steven Howe, From ›Gottes Sohn‹ to ›hölli-scher Bösewicht‹? Education, Violence and Identity in Kleist’s ›Der Findling‹. In: Ricarda Schmidt, Seán Allan und Steven Howe (Hg.), Heinrich von Kleist. Konstruktive und destruktive Funktionen von Gewalt, Würzburg 2012, S. 195–210.
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Castelli, A. (2013). Kleist, Rousseau und der Luxus. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2013. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-01199-2_12
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