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Kleists Adel

Anmerkungen über Freiheit(en), Autorschaft und Kleists Habitus — mit einer Lektüre von ›Der Zweikampf‹

  • Chapter
Kleist-Jahrbuch 2012
  • 338 Accesses

Zusammenfassung

Der erfolgreichste Weimarer Autor seiner Zeit stellt im Jahr 1792 seinem Buch ›Vom Adel‹ ein Titelkupfer voran, das in emblematischer Manier den Buchtitel illustriert und dabei von einer erläuternden Subscriptio begleitet wird: Wir sehen den Adel als knorrige Eiche, an die böse Buben die Axt anlegen — gleichermaßen bedroht ist Libertas, die Göttin der Freiheit, der man den Hut bereits entrissen hat und der mit einer Narrenkappe vertauscht werden soll. Doch über der Szene schwebt Ruthenia — das Wappen zeigt den russischen Adler, der die französischen Lilien beschützt. Der aus Weimar gebürtige August von Kotzebue, Bürgerssohn wie der heute bekanntere Wahlweimarer Goethe, nobilitiert wie dieser, in fürstlichen Diensten wie er (nämlich in russischen), hält dem seit Beginn der Französischen Revolution auch in Deutschland grassierenden Ansehensverlust des Adels eine Verteidigungsschrift entgegen, die Adel und Freiheit zusammenbringt, die zwischen falscher und wahrer Freiheit unterscheidet. Kotzebue möchte den Adel gleichsam als anthropologische Konstante gegen die Gebildeten unter seinen Verächtern verteidigen — alle Völker, behauptet er, besäßen eine »Stufenleiter«.3 Er steht nicht allein mit seinem Verweis auf den einstigen Adel, der sich nicht durch besondere Vorrechte definiert habe, denn »[f]rank, frey, edel, adelich, waren vormals gleichbedeutende Worte«.4 Was immer jene alte Freiheit meint — sie wird als Gegenbild zu den Menschenrechtsforderungen der Revolution aufgebaut, »die französische Freyheit« ist dem Verfasser »[d]ie Mutter des politischen Fanatismus«.5

Der Beitrag behält über weite Strecken den tentativen Duktus des zugrunde liegenden Vortrags bei. Er leistet eine Vorarbeit zu einer längst fälligen Revision des Begriffs der Freiheit in den Künsten, etwa zugunsten eines entmythisierenden Blickes auf die ›Freiheit(en)‹ des freien Schriftstellers. Vorüberlegungen liefert er auch zum kulturwissenschaftlich übergreifenden, von der Kleist-Forschung in jüngerer Vergangenheit aufgegriffenen Problem der Adelssemantik. Zu Kleist vgl. Günter Blamberger, Adel und Adelskultur [Art.]. In: Kleist-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, hg. von Ingo Breuer, Stuttgart und Weimar 2009, S. 241–243.

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Anmerkungen

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Günter Blamberger Ingo Breuer Wolfgang de Bruyn Klaus Müller-Salget

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Strobel, J. (2012). Kleists Adel. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2012. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00814-5_7

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