Zusammenfassung
Der erfolgreichste Weimarer Autor seiner Zeit stellt im Jahr 1792 seinem Buch ›Vom Adel‹ ein Titelkupfer voran, das in emblematischer Manier den Buchtitel illustriert und dabei von einer erläuternden Subscriptio begleitet wird: Wir sehen den Adel als knorrige Eiche, an die böse Buben die Axt anlegen — gleichermaßen bedroht ist Libertas, die Göttin der Freiheit, der man den Hut bereits entrissen hat und der mit einer Narrenkappe vertauscht werden soll. Doch über der Szene schwebt Ruthenia — das Wappen zeigt den russischen Adler, der die französischen Lilien beschützt. Der aus Weimar gebürtige August von Kotzebue, Bürgerssohn wie der heute bekanntere Wahlweimarer Goethe, nobilitiert wie dieser, in fürstlichen Diensten wie er (nämlich in russischen), hält dem seit Beginn der Französischen Revolution auch in Deutschland grassierenden Ansehensverlust des Adels eine Verteidigungsschrift entgegen, die Adel und Freiheit zusammenbringt, die zwischen falscher und wahrer Freiheit unterscheidet. Kotzebue möchte den Adel gleichsam als anthropologische Konstante gegen die Gebildeten unter seinen Verächtern verteidigen — alle Völker, behauptet er, besäßen eine »Stufenleiter«.3 Er steht nicht allein mit seinem Verweis auf den einstigen Adel, der sich nicht durch besondere Vorrechte definiert habe, denn »[f]rank, frey, edel, adelich, waren vormals gleichbedeutende Worte«.4 Was immer jene alte Freiheit meint — sie wird als Gegenbild zu den Menschenrechtsforderungen der Revolution aufgebaut, »die französische Freyheit« ist dem Verfasser »[d]ie Mutter des politischen Fanatismus«.5
Der Beitrag behält über weite Strecken den tentativen Duktus des zugrunde liegenden Vortrags bei. Er leistet eine Vorarbeit zu einer längst fälligen Revision des Begriffs der Freiheit in den Künsten, etwa zugunsten eines entmythisierenden Blickes auf die ›Freiheit(en)‹ des freien Schriftstellers. Vorüberlegungen liefert er auch zum kulturwissenschaftlich übergreifenden, von der Kleist-Forschung in jüngerer Vergangenheit aufgegriffenen Problem der Adelssemantik. Zu Kleist vgl. Günter Blamberger, Adel und Adelskultur [Art.]. In: Kleist-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, hg. von Ingo Breuer, Stuttgart und Weimar 2009, S. 241–243.
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Anmerkungen
Joseph von Eichendorff, Libertas und ihre Freier. In: Ders., Werke in sechs Bänden, Bd. 3, hg. von Brigitte Schillbach und Hartwig Schultz, Frankfurt a.M. 1993, S. 559–595, hier S. 564.
Vgl. Robert Spaemann, Freiheit [Art.]. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter, Bd. 2, Darmstadt 1972, Sp. 1064–1098.
Werner Conze und Christian Meier, Adel, Aristokratie [Art.]. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 1–48, hier S. 1.
Werner Conze u.a., Freiheit [Art.]. In: Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 9), Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 425–542, hier S. 425.
Michael Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2009, S. 32.
Heinz Reif, Einleitung. In: Adel und Bürgertum in Deutschland I. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, hg. von Heinz Reif, Berlin 2000, S. 7–27, hier S. 14.
Jörn Leonhard und Christian Wieland, Noble Identities from the Sixteenth to the Twentieth Century. European Aristocratic Cultures in Law, Politics and Aesthetics. In: What Makes the Nobility Noble? Comparative Perspectives from the Sixteenth to the Twentieth Century, hg. von Jörn Leonhard und Christian Wieland, Göttingen 2011, S. 7–31, hier S. 19.
Vgl. Wolf Kittler, Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg i.Br. 1987, S. 17, 24, 41.
Vgl. Karlfriedrich Herb, Bürgerliche Freiheit. Politische Philosophie von Hobbes bis Constant, Freiburg i.Br. und München 1999.
Adam MüIler, Die Elemente der Staatskunst, hg. von Jakob Baxa, 1. Halbband, Wien und Leipzig 1922, S. 179.
Friedrich Schiller, Kabale und Liebe [Druckfassung]. In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Fünfter Band. Neue Ausgabe, hg. von Herbert Kraft u.a., Weimar 2000, S. 6–193, hier S. 38.
Vgl. den souveränen Überblick von Jan Röhnert, »Freiheit« — die Sensation der Poesie. Zum Begriffswandel eines ästhetischen Paradigmas. In: literatur für leser 2 (2006), S. 99–116, hier S. 99 sowie aus der Fülle der jüngeren Forschungsliteratur zu Schillers Freiheitsbegriff Walter Hinderer, Der schöne Traum der Freiheit. Zu Schillers politischen Vorstellungen. In: Friedrich Schiller und Europa. Ästhetik, Politik, Geschichte, hg. von Alice Stašková, Heidelberg 2007, S. 37–58.
Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770–1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979, S. 177.
Vgl. Dieter Langewiesche, Bürgerliche Adelskritik zwischen Aufklärung und Reichsgründung in Enzyklopädien und Lexika. In: Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848, hg. von Elisabeth Fehrenbach, München 1994, S. 11–28.
Hierzu ausführlich Jochen Strobel, Eine Kulturpoetik des Adels in der Romantik. Verhandlungen zwischen ›Adeligkeit‹ und Literatur um 1800, Berlin und New York 2010.
Adam Müller, Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur [1806]. In: Ders., Kritische, ästhetische und philosophische Schriften I. Kritische Ausgabe, hg. von Walter Schroeder und Werner Siebert, Neuwied und Berlin 1967, S. 13–137, hier S. 56.
Heinz Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 26.
So der Tenor von Peter Uwe Hohendahl und Paul Michael Lützeler, Vorwort der Herausgeber. In: Legitimationskrisen des deutschen Adels (1200–1900), hg. von Peter Uwe Hohendahl und Paul Michael Lützeler, Stuttgart 1979, S. VII–XVIII.
Günter Blamberger, Heinrich von Kleist. Biographie, Frankfurt a.M. 2011, S. 49.
Vgl. Helmut Lethen, Verhaltenslehre der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M. 1994. Das von Lethen Vorgeführte könnte mit gutem Recht als ›aristokratisch‹ benannt werden.
Vgl. Eberhard Lämmert, Der Dichterfürst. Metamorphosen einer Metapher in Deutschland. In: Vom Künstlerstaat. Ästhetische und politische Utopien, hg. von Ulrich Raulff, München 2006, S. 154–185.
Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a.M. 1999, S. 133.
Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. In: Ders., Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Sechste Abteilung. Zweiter Band, Berlin 1968, S. 1–255, hier S. 215.
Vgl. Charles Baudelaire, Der Salon 1845; Der Salon 1846. In: Ders., Sämtliche Werke/Briefe. In acht Bänden. Bd. 1: Juvenilia — Kunstkritik 1832–1846, hg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois, München und Wien 1977, S. 127–184 bzw. S. 193–283.
Vgl. zur Autonomie des Kunstproduzenten Helmuth Kiesel und Paul Münch, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Marktes in Deutschland, München 1977, S. 88.
Eberhard Lämmert, Einleitung. In: Ders., Respekt vor den Poeten. Studien zum Status des freien Schriftstellers, Göttingen 2009, S. 7–II, hier S. 10.
Zur Jenaer Romantik vgl. Walter Schmitz, »Die Welt muß romantisiert werden …«. Zur Inszenierung einer Epochenschwelle durch die Gruppe der ›Romantiker‹ in Deutschland. In: Germanistik und Komparatistik. DFG-Symposion 1993, hg. von Hendrik Birus, Stuttgart und Weimar 1995, S. 290–308; zu George vgl. Schuster, Erfundener Adel (wie Anm. 47).
[Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder,] Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. In: Wilhelm Heinrich Wackenroder, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. I: Werke, hg. von Silvio Vietta, Heidelberg 1991, S. 51–145, hier S. 131.
Michel Foucault, Was ist ein Autor? In: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. von Fotis Jannidis u.a., Stuttgart 2000, S. 198–232, hier S. 228.
Vgl. Gerhard Schulz, Kleist. Eine Biographie, München 2007, S. 85.
Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman, hg. von Hans-Jürgen Schings, München und Wien 1988 (Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hg. von Karl Richter u.a., Bd. 5), S. 289.
Zu Literatur und Ruhmbildung vgl. Detlev Schöttker, Ruhm und Rezeption. Unsterblichkeit als Voraussetzung der Literaturwissenschaft. In: Literaturwissenschaft und Wissenschaftsforschung, hg. von Jörg Schönert, Stuttgart und Weimar 2000, S. 472–487.
Vgl. Gerhard Neumann, ›Der Zweikampf‹. Kleists ›einrückendes‹ Erzählen. In: Kleists Erzählungen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1998, S. 216–246, hier S. 231ff.
Manfred Zollinger, Geschichte des Glücksspiels. Vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg, Wien, Köln und Weimar 1997, S. 47. Zum ›Adelsspiel‹ vgl. ebd. S. 47–94.
Thomas M. Kavanagh, Enlightenment and the Shadows of Chance. The Novel and the Culture of Gambling in Eighteenth-Century France, Baltimore und London 1993, S. 31f.; vgl. auch S. 34ff.
Bettine Menke und Dietmar Schmidt, Am Nullpunkt des Rituals. Darstellung und Aufschub des Zweikampfs bei Kleist, Conrad und Puschkin. In: Arcadia 40 (2005), S. 194–236, hier S. 207. Menkes und Schmidts Lektüre liegt die (von Roland Barthes geteilte) Auffassung zugrunde, die Offenheit der Literatur mache sie eher ungeeignet für das Erzählen von Ritualen. Entgegen zahlreichen anders lautenden Thesen (vgl. etwa die Arbeiten Wolfgang Braungarts) zeigen die Autoren u.a. an Kleists ›Zweikampf‹, »daß die literarische Darstellung und der krisenhafte, innehaltende Aufschub des Rituals in ein konstitutives Verhältnis treten« (S. 197).
Vgl. Friedhelm Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre. Zum Wandel der adeligen Ehre und zur Bedeutung von Duell und Ehre für den monarchischen Zentralstaat, Berlin 1993, S. 72.
Vgl. Roger Caillois, Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Stuttgart 1960.
Michael Ott, Das ungeschriebene Gesetz. Ehre und Geschlechterdifferenz in der deutschen Literatur um 1800, Freiburg i.Br. 2001, S. 274.
So Bernhard Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, Tübingen und Basel 2000, S. 394.
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Strobel, J. (2012). Kleists Adel. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2012. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00814-5_7
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