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Kleists Überleben

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Kleist-Jahrbuch 2012
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Zusammenfassung

Stendhals »La beauté n’est que la promesse du bonheur« könnte als ironisches Motto zu Pedro Almodóvars ›Die Haut in der ich wohne‹ dienen. Der Film spielt der sich mein Leben formt. Als Versprechen, als Verheißung kann Schönheit leicht auch Trugbild sein — selten aber hat man den Abgrund dieses Versprechens so eindrücklich zu sehen bekommen wie bei Almodóvar: In ›Die Haut in der ich wohne‹ wird ein junger Mann aus Rache einer Operation unterzogen, die sein Geschlecht umwandelt, eine neue Haut überzieht, bis aus dem Mann die wunderschöne an der Grenze vor allem zwischen dem Körper, in dem ich lebe, und der Welt, in Frau Vera geworden ist. »Respiro«, »Ich atme« schreibt sie immer wieder an die Wand ihres Raumes, jedes Mal mit Datum, als sei jedes das erste Mal; am Ende steht sie ihrer Mutter, die ihn geboren hat, gegenüber, und sie muss seine Vergangenheit erzählen, um wieder und gegen die Geschichte der Person, die sie geworden ist, Kind zu werden. Doch wessen Kind erkennt man — das der biologischen Mutter oder das des modernen Frankenstein? Und man könnte antworten, dass im Falle Veras wahrhaft das nackte Leben, griechisch zoé, ›überlebt‹ hat — aber wäre das nicht bedeutungslos ohne die Geschichte dieser spezifischen Lebensform, die sogar den sichtbaren Körper ausgelöscht hat?

Ja es ist wahr, ich habe dich hintergangen, oder vielmehr ich habe mich selbst hintergangen; wie ich dir aber tausendmal gesagt habe daß ich dies nicht überleben würde, so gebe ich dir jetzt indem ich von dir Abschied nehme, davon den Beweis. An Marie von Kleist

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Anmerkungen

  1. Giorgio Agamben, Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge. Homo sacer III, Frankfurt a.M. 2003, S. 136.

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  2. »Unter dem Begriff der Lebens-Form verstehen wir dagegen ein Leben, das niemals von seiner Form geschieden werden kann, ein Leben, in dem es niemals möglich ist, etwas wie ein bloßes Leben zu isolieren« (Giorgio Agamben, Lebens-Form. In: Ders., Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik [1996], aus dem Italienischen von Sabine Schulz, Zürich und Berlin 22006, S. 13).

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  3. Vgl. hierzu Bastian Ronge, Raumgewinn — Eine Auseinandersetzung mit der Philosophie Giorgio Agambens, Norderstedt 2006, S. 10;

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  4. Falko Schmieder, Überleben. Geschichte und Aktualität eines neuen Grundbegriffs. In: Überleben. Historische und aktuelle Konstellationen, hg. von Falko Schmieder, München 2011, S. 9–29, hier S. 11–13. — Für seine Hinweise danke ich Klaus Müller-Salget.

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  5. Ijoma Mangold, Der spanische Frankenstein. Pedro Almodóvars bisher unheimlichster Film ›Die Haut, in der ich wohne‹. In: Die Zeit, 20. Oktober 2011, S. 57.

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  6. J.J. Sue, Physiologische Untersuchungen und Erfahrungen über die Vitalität. Nebst dessen Abhandlung über den Schmerz nach der Enthauptung, und den Abhandlungen der Bürger Casanus und Léveillé über denselben Gegenstand, übersetzt von Dr. Joh. Christian Friedrich Harleß, Nürnberg: Raspe 1799, S. 113.

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  8. Vgl. Wolfram Groddeck u.a. (Hg.), Robert Walsers ›Ferne Nähe‹. Neue Beiträge zur Forschung, München 2007.

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  9. Durs Grünbein, Drei Briefe. In: Ders., Galilei vermißt Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen. Aufsätze 1989–1995, Frankfurt a.M. 1996, S. 40–54, hier S. 41. Zu verweisen wäre grundlegend auf das, was Sarah Kofman »structure restante de la lettre« nennt, wobei zu übersetzen wäre: »lettre bedeutet sowohl ›Buchstabe‹ als auch ›Brief‹, lettre restante: ›postlagernder Brief‹. (A.d.Ü.)«

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  10. (Sarah Kofman, Derrida lesen, aus dem Französischen von Monika Buchgeister und Hans-Walter Schmidt, hg. von Peter Engelmann, Wien 1987, hier ›Graphematik und Psychoanalyse‹, Anm. 60, S. 215).

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  11. Vgl. Jacques Derrida, Telepathien, Übersetzt von Hans-Joachim Metzger, Berlin 1982.

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  15. Und wenige Sätze weiter: »Das temporalisierte Konzept des Überlebens setzt einen dynamischen Begriff von Geschichte voraus, der als neues historisches Apriori den Rahmen für alle weiteren Vorstellungen vom Überleben bereitstellt« (Falko Schmieder, Überleben und Nachhaltigkeit. Ein problem- und begriffsgeschichtlicher Aufriss. In: Trajekte 18, 9. Jahrgang [2009], S. 4–11, hier S. 6).

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  16. Johann Wolfgang von Goethe, Werke, hg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, IV. Abt.: Goethes Briefe, Bd. 1–50, Weimar 1887–1912, Bd. 28, S. 281.

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  17. Jean Paul, Werke, hg. von Norbert Miller und Gustav Lohmann, 6 Bde., München 1959–1963, Bd. 1, S. 561. »Und darum steht überall, wie auf diesem Blatte, unser Ernst so nah an unserem Lachen!«

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  18. Vgl. Justus Fetscher, Der Himmel über Paris. Kleists erste Reise in die französische Hauptstadt im Jahre 1801. In: Frankreich 1800. Gesellschaft, Kultur, Mentalitäten, hg. von Gudrun Gersmann und Hubertus Kohle, Stuttgart 1990, S. 142–160, bes. S. 149ff.

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  19. Das Leben kann hier nicht mehr als Widerstand gegen das Sterben begriffen werden. Vgl. dahingegen das Resümee bei Xavier Bichat, Physiologische Untersuchungen über Leben und Tod, aus dem Französischen frey übersetzt, Tübingen 1802, S. 1f.: »Ueber der Definition des Lebens verlor man sich in abstrakten Betrachtungen; man findet sie, glaube ich, in folgendem allgemeinen Satz: Leben ist der Inbegriff der Funktionen, welche dem Tod widerstehen.«

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  20. Karl Heinz Bohrer, Augenblicklichkeitsemphase und Selbstmord. Zum Plötzlichkeitsmotiv Heinrich v. Kleists (1978). In: Ders., Plötzlichkeit. Zum Augenblick ästhetischen Scheins, mit einem Nachwort von 1998, Frankfurt a.M. 1981 (1998), S. 161–179, hier S. 163.

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  22. »Was sollte er tun? Kein Geld, kein Krieg«, resümmiert beispielsweise Jens Bisky, Kleist. Eine Biographie, Berlin 2007, S. 460.

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  23. Vgl. etwa Hans Joachim Kreutzer, Die dichterische Entwicklung Heinrichs von Kleist. Untersuchungen zu seinen Briefen und zu Chronologie und Aufbau seiner Werke, Berlin 1968, bes. S. 49–58.

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  24. Vgl. etwa Ingo Breuer, Kleists Nomadentum. In: Kleist. Krise und Experiment. Die Doppelausstellung im Kleist-Jahr 2011, Berlin und Frankfurt (Oder), hg. von Günter Blamberger und Stefan Iglhaut, Bielefeld u.a. 2011, S. 84–91.

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  25. Vgl. etwa Martin Roussel, Zerstreuungen. Kleists Schrift ›Über das Marionettentheater‹ im ethologischen Kontext. In: KJb 2007, S. 61–93.

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  26. Jean Paul, Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St.Siebenkäs. In: Ders., Sämtliche Werke. Abteilung I, Bd. 2, hg. von Norbert Miller, Nachwort von Walter Höllerer, Frankfurt a. M. 1996, S. 120.

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  27. Vgl. etwa die Kritik bei Günter Blamberger, Heinrich von Kleist. Eine Biographie, Frankfurt a.M. 2011, S. 451.

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  28. Carl Eduard Albanus hat Erinnerungen seines einstigen Hauslehrers Christian Ernst Martini überliefert, der bis 1788 auch Kleist und Pannwitz unterrichtete: »Irre ich nicht, so hörte ich auch, daß K[leist]. u. P[annwitz]. in der Folge auch einmal schriftl. (persönl. sind beide nie wieder zusammen getroffen) die Verabredung getroffen hatten, beide eines freiwilligen Todes zu sterben. Verbürgen läßt sich dieß freilich nicht.« So im Brief vom 12. April 1832 an Ludwig Tieck. Zit. nach Wilhelm Amann, Gute Noten. Der Schüler Kleist in den Aufzeichnungen des Carl Eduard Albanus. In: Brandenburger Kleist-Blätter 7 (1994), S. 47–52, hier S. 50.

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  29. Vgl. zum rhetorischen Vorbild und zur Bedeutung der Nähe-Distanz-Relation in der Berührungsmetaphorik in Bezug zum 1807er Brief über Simon Vouets Gemälde ›La Madeleine soutenue par deux Anges‹ Karl Heinz Bohrer, Der romantische Brief. Die Entscheidung ästhetischer Subjektivität, München 1987, S. 161f. (mit Relativierungen ebd., S. 222);

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  30. Martin Roussel, »wie zart sie das zarte berühren«. Zur Kunst der Berührung bei Kleist. In: KJb 2008/09, S. 82–114.

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  31. Günter Blamberger, Ökonomie des Opfers. Kleists Todes-Briefe. In: Adressat: Nachwelt. Briefkultur und Ruhmbildung, hg. von Detlef Schöttker, München 2008, S. 145–160, hier S. 153.

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  32. Vgl. zum 1907 von August Sauer geprägten Terminus Blamberger, Ökonomie des Opfers (wie Anm. 42), S. 158. Die Einstufung als Briefwechsel, wie sie insbesondere Holger Helbig befürwortet, bestimmt sich aus dem adressierenden Gestus. Vgl. Holger Helbig, Herr von Kleist und Frau Vogel beschließen ihren Tod und verwirren die Wissenschaft. Der Briefwechsel zwischen Heinrich von Kleist und Henriette Vogel als philologische Grenzsituation. In: Grenzsituationen. Wahrnehmung, Bedeutung und Gestaltung in der neueren Literatur, hg. von Dorothea Lauterbach, Uwe Spörl und Uli Wunderlich, Göttingen 2002, S. 107–130, hier S. 109, 122–125. Die Todeslitanei ist undatiert, muss aber im Spätherbst 1811 entstanden sein, möglicherweise in den Tagen vor dem Tod. MA druckt nur Kleists Text.

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  33. Vgl. Rudolf Unger, Zur Geschichte des Palingenesiegedankens im 18. Jahrhundert. In: DVjs 2 (1924), S. 257–274. Vgl. ders., Herder, Novalis und Kleist. Studien über die Entwicklung des Todesproblems in Denken und Dichten vom Sturm und Drang zur Romantik, Frankfurt a.M. 1922 sowie den Hinweis auf Unger bei Kreutzer, Die dichterische Entwicklung Heinrichs von Kleist (wie Anm. 28), S. 66.

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  34. Jacques Derrida, De la grammatologie, Paris 1967, S. 100. Deutsch: »Als Verhältnis des Subjekts zu seinem eigenen Tod ist dieses Werden gerade die Begründung der Subjektivität — auf allen Organisationsstufen des Lebens, das heißt der Ökonomie des Todes. Jedes Graphem ist seinem Wesen nach testamentarisch.« (Jacques Derrida, Grammatologie [1967], aus dem Französischen von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt a.M. 2009, S. 120)

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  35. Zit. nach Peter Goldhammer (Hg.), Schriftsteller über Kleist. Eine Dokumentation, Berlin und Weimar 1976, S. 253.

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  36. Joachim Bumke, Der inszenierte Tod. Anmerkungen zu ›Prinz Friedrich von Homburg‹. In: KJb 2011, S. 91–109, hier S. 97, Anm. 15.

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  37. Daniel Kehlmann, Die Sehnsucht, kein Selbst zu sein. In: KJb 2007, S. 17–22.

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  38. Elias Canetti, Masse und Macht. Gesammelte Werke, Bd. III, München und Wien 1993, S. 267.

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Günter Blamberger Ingo Breuer Wolfgang de Bruyn Klaus Müller-Salget

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Roussel, M. (2012). Kleists Überleben. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2012. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00814-5_19

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