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Zerreissen, Verschlingen, Zerrinnen

Opfer, Abendmahl und Trauerspiel in Kleists ›Penthesilea‹

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Zusammenfassung

Kleists ›Penthesilea‹ endet mit dem doppelten Tod, der vielleicht die radikalste Entfaltung der Opferthematik in Kleists Werk darstellt. Diese Radikalisierung ist in der Forschung oft als Überschreitung des klassischen Dramenmodells betrachtet worden, insbesondere als Sprengung der Gattungsform der Tragödie. Indem ›Penthesilea‹ das der Tragödie zugrundeliegende Kultopfer aktualisiert, legt es deren wilden Ursprung frei;1 indem es im letzten Auftritt die Katharsis selbst auf die Bühne bringt, nimmt es Aristoteles gewissermaßen beim Wort;2 indem es die aristotelische Konzeption des Tragischen mit der einer erhabenen Tragödie verbindet, löst es die Tragödie ins Amorphe auf.3 Aufbauend auf diesen Lektüren soll im Folgenden versucht werden, den diskursgeschichtlichen Ort dieser Überschreitung genauer in den Blick zu nehmen, indem zum einen danach gefragt wird, welche Opfermodelle denn hier durchgespielt werden — als besonders interessant werden sich dabei die Anspielungen auf die Eucharistie am Schluss der ›Penthesilea‹ erweisen. Denn die Krise des Opfermodells, die sich bei Kleist manifestiert, vollzieht sich zwar im antiken Gewand und reagiert auch auf eine allgemeine Veränderung der Repräsentationslogik mit der Moderne, zumindest im gleichen Maße bezieht sie sich aber auf den spezifischeren Fall der schwindenden Integrationskraft christlicher Opferlogiken, die jedenfalls noch in den konfessionellen Gesellschaften des 17. Jahrhunderts — also durchaus schon in der Moderne, immerhin im Jahrhundert der Naturwissenschaften — eine zentrale Bedeutung für die symbolische Ordnung gespielt hatten.

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Anmerkungen

  1. Vgl. Gerhard Neumann, Erkennungsszene und Opferritual in Goethes ›Iphigenie‹ und in Kleists ›Penthesilea‹. In: Käthchen und seine Schwestern. Frauenfiguren im Drama um 1800. Internationales Kolloquium des Kleist-Archivs Sembdner, hg. von Günther Emig und Anton Philipp Knittel, Heilbronn 2000, S. 38–80.

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  3. Vgl. Bernhard Greiner, ›Penthesilea‹. Ein Trauerspiel. Tragödie der Umkehrung des Weges der Tragödie. In: Ders., Keists Dramen und Erzählungen. Experimente zum Fall der Kunst, Tübingen und Basel 2000, S. 148–173.

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  5. Auf eine umfängliche Auseinandersetzung mit Benjamin muss hier aus Gründen der Übersicht verzichtet werden. Vgl. dazu Daniel Weidner, Kreatürlichkeit. Benjamins Trauerspielbuch und das Leben des Barock. In: Profanes Leben. Walter Benjamins Dialektik der Säkularisierung, hg. von Daniel Weidner, Frankfurt a.M. 2010, S. 120–138 sowie insgesamt zu Benjamins Modell der Theatralität Bettine Menke, Das Trauerspiel-Buch. Der Souverän — das Trauerspiel — Konstellationen — Ruinen, Bielefeld 2010. Zur Übertragung von Benjamins Modell vgl. auch Christopher Menke und Bettine Menke (Hg.), Tragödie — Trauerspiel — Spektakel, Berlin 2007. Im Februar 2012 fand in Berlin eine Tagung ›Das Nachleben des Trauerspiels‹ statt, die Ergebnisse werden 2013 veröffentlicht.

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  22. Vgl. Werner Hamacher, Pleroma. Reading in Hegel, Athlone 1997. Hegels Text ist erst postum erschienen und kann daher selbstverständlich keine ›Quelle‹ Kleists gewesen sein.

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  23. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Der Geist des Christentums und sein Schicksal. In: Ders., Werke in 20 Bänden, hg. von Eva Moldenhauer und Karl M. Michel, Bd. I, Frankfurt a.M. 1970, S. 317–418, hier S. 367f. Hamacher betont die supplementäre Funktion des Abendmahls, welche die inneren Spannungen von Hegels Lektüre zur Geltung bringt: »Das Komplement [der Liebesgemeinschaft] bedarf eines weiteren Komplements [des Abendmahls], so wie es selbst schon ein anderes Komplement des Gesetzes, die Tugend, zu ergänzen hatte« (Hamacher, Pleroma, wie Anm. 28, S. 116).

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  24. Vgl. Michel de Certeau, Die mystische Fabel, Frankfurt a.M. 2010, S. 124ff.

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  25. Über den ›anikonischen Charakter‹ von Taufe und Eucharistie und das ›Auseinanderdriften von äußerem Vollzug und religiösem Sinn‹ vgl. Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000, S. 184ff.

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  26. Vgl. Daniel Weidner, »Schau in dem Tempel an / Den ganz zerstückten Leib, der auf dem Kreuze lieget«. Sakramentale Repräsentation in Gryphius' ›Leo Armenius‹. In: Daphnis 39 (2010), S. 287–312.

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  27. Volker Klotz, Radikaldramatik, Bielefeld 1996, S. 89; vgl. hier auch die Untersuchung von Kleists »mauerloser Mauerschau« (ebd., S. 105), welche die Verhältnisse von hier und da permanent durcheinander bringt.

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  28. Vgl. Stephen Greenblatt, Hamlet in Purgatory, Princeton 2001 sowie Samuel Weber, Theatricality as Medium, Fordham 2004, S. 181ff.

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  29. Vgl. Eva Horn, Trauer Schreiben. Die Toten im Text der Goethezeit, München 1998.

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  30. Vgl. dazu Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt, Frankfurt a.M. 1995, S. 324f.

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  31. Speziell zum Sakrament des Essens vgl. auch Maggie Kilgour, From Communion to Cannibalism. An Anatomy of Metaphors of Incorporation, Princeton 1990, S. 85ff.

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  32. Vgl. Carsten P. Warncke, Sprechende Bilder — sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1987.

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Günter Blamberger Ingo Breuer Wolfgang de Bruyn Klaus Müller-Salget

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Weidner, D. (2012). Zerreissen, Verschlingen, Zerrinnen. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2012. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00814-5_18

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