Zusammenfassung
»Dies ist die Zeit der Könige nicht mehr«,1 dekretiert Hölderlins Empedokles 1797. So sehr um 1800 noch reale Könige und Fürsten in Europa fortexistieren, so ist doch der Platz des Königs im politischen Imaginären der Zeit erschüttert und — folgt man Claude Lefort — im Ideal der Volkssouveränität zum ›leeren Ort der Macht‹2 geworden. Denn die Französische Revolution hatte nicht nur den König hingerichtet, sondern auch die Institution und die Insignien des Königtums nachhaltig zu zerstören gesucht. Am Anfang der politischen Moderne und damit auch einer modernen politischen Dichtung steht so der verwaiste Platz des Königs, ein leerer Ort, den schließlich Napoleon, der militärische Aufsteiger und Profiteur der Revolution, besetzte. Aber trotz seiner innen- und außenpolitischen Machtentfaltung und der unverhohlenen Zitate monarchischer Symbole restituiert Napoleon nicht das Königtum. Vielmehr verkörpert er eine politische Figur, die die Moderne wie kaum eine andere heimsucht und prägt: der selbsternannte, durch Erfolg und Ehrgeiz aufgestiegene Führer, eine Instanz der Macht, die sich nicht auf die dynastische und politisch-theologische Legitimierung tradierten Königtums berufen kann. Eine Figur zudem, die aus einem Bereich hervorgeht, der traditionellerweise als das Außen und Andere der Souveränität betrachtet worden ist: dem Krieg. Napoleon wird nicht nur zur Figuration einer anderen Form der Macht, sondern auch Protagonist einer neuen und einschneidenden Verbindung von Politik und Krieg.
Für Caroline Pross (1971–2011)
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Anmerkungen
Friedrich Hölderlin, Empedokles. 1. Fassung. In: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, hg. von Günter Mieth, München 1984, S. 65.
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell. In: Ders., Dramen IV, hg. von Matthias Luserke, Frankfurt a.M. 1996, S. 437.
Donald H. Crosby, The Creative Kinship of Schiller and Kleist. In: Monatshefte 53 (1961), S. 255–264
Helmut Koopmann, Kleist und Schiller. In: Heilbronner Kleist-Blätter 19 (2007), S. 50–71
Hartmut Reinhardt, Rechtsverwirklichung und Verdachtspsychologie. Spuren der Schiller-Rezeption bei Heinrich von Kleist. In: KJb 1988/89, S. 198–218
Bernhard Böschenstein, Der »Gott der Erde«. Kleist im Kontext klassischer Dramen. Goethe, Schiller, Hölderlin. In: KJb 1991, S. 169–181
Gerhard Kluge, Hermann und Fiesko. Kleists Auseinandersetzung mit Schillers Drama. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 37 (1993), S. 248–270.
Vgl. dazu auch Roland Reuß, Hart zwischen nichts und nichts. In: Brandenburger Kleist-Blätter 14 (2001), S. 3–13, hier S. 8f.
Livius, Ab urbe condita. Liber I/Römische Geschichte. 1. Buch, 56–59, hg. von Roger Feger, Stuttgart 2006, S. 168–181. Vgl. dazu Friedrich Balke, The Image of Lucretia. On the Creation of Republican Charisma in Livy. In: Narrating Charisma, Special Issue, New German Critique 38 (Fall 2011), guest editor Eva Horn (im Druck).
Zur Nähe Herrmanns zu ›machiavellistischen‹ Verhaltensweisen der Verstellung vgl. Günter Blamberger, Ars et Mars. In: Resonanzen, hg. von Sabine Doering u.a., Würzburg 2000, S. 273–281, hier S. 279; ders., Agonalität und Theatralität. Kleists Gedankenfigur des Duells im Kontext der europäischen Moralistik. In: KJb 1999, S. 25–40, hier S. 34; Gesa von Essen, Hermannsschlachten. Germanen- und Römerbilder in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, Göttingen 1998, S. 178f.
Zur allgemeinen Tendenz einer ›Entfesselung‹ des Krieges bei den zeitgenössischen Militärtheoretikern vgl. Johannes Kunisch, Von der gezähmten zur entfesselten Bellona. In: KJb 1988/89, S. 44–63 und Kittler, Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie (wie Anm. 19), S. 231.
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Horn, E. (2011). Herrmanns ›Lektionen‹. In: Blamberger, G., Breuer, I., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2011. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00712-4_8
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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