Zusammenfassung
Heine — Eisler? Diese Zusammenstellung, die in der Heineliteratur kaum jemals, in der Eislerliteratur gelegentlich vorgenommen wird2, leuchtet womöglich nicht unmittelbar ein und muss sich jedenfalls auf ihre Gründe hin befragen lassen. Folgende Andeutungen mögen zunächst genügen: In den letzten Jahren habe ich immer wieder versucht, über die Beziehungen zwischen Dichtung und Musik in einigen jener Stücke nachzudenken, die mir besonders wichtig sind.3 Nicht erst in diesem Zusammenhang fiel mein Blick auf jene vier Kompositionen, in denen Hanns Eisler auf Texte von Heine zurückgegriffen hat: »Drei Männerchöre« op. 10 und das Lied »Verfehlte Liebe« (»Zuweilen dünkt es mich«).4 Die vorliegenden Überlegungen mögen als ein weiterer und wiederum höchst subjektiver Versuch verstanden werden, der Souveränität und Einzigartigkeit, der Originalität von Wort und Ton nachzuspüren — in Werken, die ich für gelungen halte, für wichtig, für schön: die mir, mit einem Wort (einem in den meisten Theoriediskursen geflissentlich übergangenen Wort): Genuss vermitteln. — Es kommt etwas anderes hinzu: Vielen scheint heute nicht daran gelegen zu sein, sich mit den linken Utopien des 19. und 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Zu brutal, zu schmerzhaft ging die nackte, raue Wirklichkeit mit den Hoffnungen, Entbehrungen, ja, mit den unerhörten Opfern um, die, auf nicht weniger gerichtet als auf die Befreiung des »Menschengeschlechts«, heute, scheint’s, allzu oft schamhaft verschwiegen werden.
Phantasie führt zur Konstruktion, Konstruktion führt zur Phantasie. Das ist in der Musik ein Widerspruch, der unter einem Hut steckt.1
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Anmerkungen
Nathan Notowicz: »Wir reden hier nicht von Napoleon. Wir reden von Ihnen!« Gespräche mit Hanns Eisler und Gerhart Eisler. Übertragen und hrsg. von Jürgen Elsner. Berlin 1971, S. 167.
Vgl. Albrecht Betz: Lust an politischer Satire: Drei Männerchöre nach Heinrich Heine. — In: ders.: Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet. München 1976, S. 56–56;
Albrecht Dümling: »Ich kenn’ es wohl, Dein Mißgeschick«. Eisler und Heine zwischen revolutionärem Aufbruch und lyrischem Ich. — In: Von Dichtung und Musik II. Heinrich Heine und seine Komponisten. Eine Veröffentlichung der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie für Gesang, Dichtung, Liedkunst e.V. Stuttgart, Tutzing 1995, S. 112–112;
Fred Fischbach: Hanns Eisler. Le musicien et la politique. Bern, Berlin u.a. 1999, S. 127–127;
Wilhelm Zobl: Hanns Eislers Verhältnis zur Tradition: Aspekte der Ausarbeitung einer marxistischen Erbetheorie in der Musik; dargestellt bis 1933. Diss. A. Humboldt Universität Berlin 1978, S. 27ff. Vgl. auch kurze Bemerkungen bei: Jürgen Elsner: [Einführung]. — In: Eisler 3 (NOVA 8 85 011, Berlin 1971);
Manfred Grabs: Eisler und die Agit-Prop-Bewegung. — In: Symposium »Der Gesang in den Kämpfen unserer Zeit — Traditionen, Methoden, Wirkungsfelder«. Hrsg. von Winfried Stanislau. Leipzig 1987, S. 56–56;
Manfred Grabs: Hanns Eisler. Kompositionen — Schriften — Literatur. Ein Handbuch. Leipzig 1984, S. 10 u. 75;
Fritz Hennenberg: Hanns Eisler. Leipzig 1986, S. 24;
Eberhardt Klemm: Hanns Eisler. Für Sie porträtiert. 3. Aufl. Leipzig 1988, S. 12f.; ders.: [Einführung]. — In: Hanns Eisler. Chöre. NOVA 8 85 094, Berlin 1976; Günter Mayer: [Einführung]. — In: Hanns Eisler. Chöre. Berlin Classics 0092362BC: Chöre, S. 11–11, hier S. 13; Jürgen Schebera: Eisler — eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten. Mainz 1998, S. 34 u. 50;
Wilhelm Zobl: Einiges zur Arbeit Hanns Eislers in den Wiener Arbeiterchören. — In: Hanns Eisler heute. Berichte — Probleme — Beobachtungen. Akademie der Künste der DDR. Arbeitsheft 19. Berlin 1974, S. 36–36; ders.: Zu den Chorwerken Hanns Eislers. — In: Symposium [Anm. 2], S. 38–38.
Vgl. Arnold Pistiak: »Ich liebe« oder: Füchsin, Natter, Teufelin. Anmerkung zur Figurenentwicklung in »Cos! fan tutte«. — In: Galerie. Revue culturelle et pédagogique 23 (2005) H. 4, S. 487–487; ders.: »Gebändigt? Ungebändigt?« Überlegungen zum Verhältnis von Beethoven und Goethe. — In: Bonner Beethoven-Studien 6 (2007), S. 115–115; ders.: »Singen in finsteren Zeiten«. Erinnerung an Hanns Eislers Kantaten auf Texte von Ignazio Silone und Bertolt Brecht. — In: Galerie. Revue culturelle et pédagogique 27 (2009) H. 2, S. 167–167; ders.: Heimkehr als Aufbruch. Feststellungen und Lesarten zu Schuberts Heineliedern. — In: HJb 48 (2009), S. 90–90.
»Verfehlte Liebe« (»Zuweilen dünkt es mich«) aus Heinrich Heine: »Unterwelt« (DHA II, 99); Hanns Eisler: Lieder und Kantaten. Bd. 2. Leipzig 1957, S. 64. — Auf dieses Lied gehe ich hier nicht ein. Vgl dazu Dümling: »Ich kenn’ es wohl, Dein Mißgeschick« [Anm. 2].
Morawes ebenso grunsätzliche wie unverzichtbare Beiträge zu zentralen Fragen der Heineforschung liegen nun auch konzentriert vor. Vgl. Bodo Morawe: Citoyen Heine. Das Pariser Werk. 2 Bde. Bielefeld 2010.
Eisler gibt die Entstehungszeit der Heinechöre mit 1924 an (vgl. Eisler: Lieder und Kantaten [Anm. 2], S. 149); den Angaben des ausgezeichneten Eisler-Kenners Manfred Grabs zufolge sind sie jedoch erst im Frühjahr 1925 in Wien entstanden (vgl. Grabs: Hanns Eisler [Anm 2], S. 358). — Die Datumsangabe auf der Handschrift (Akademie der Künste Berlin, Hanns Eisler Archiv: Signatur 1147) ist nur für Tag und Jahr eindeutig: 31. und 1925; die durch einen Knick in der Handschrift nicht lesbare Monatsangabe lässt — bei Schreibung der Monate mit römischen Zahlen — zumindest folgende Möglichkeiten offen: II, III, VI, VII, VIII, XI, XII. Das bedeutet im Grunde, dass das ganze Jahr 1925 für die Komposition in Frage kommt. Berücksichtigt man, dass Eisler sich bereits im Frühjahr mit dem Gedanken trug, nach Berlin zu ziehen, dass er im Sommer seinen Umzug vorbereitete und ab Mitte September 1925 in Berlin lebte, so scheint der Gedanke nicht abwegig, dass der heimliche Adressat der Chöre nicht Wien war, sondern Berlin. — Hingewiesen sei auf eine Vermutung, die Eberhardt Klemm geäußert hat. Demnach könnten die drei Chöre, zumindest der zweite, nicht 1925, sondern erst 1926 entstanden sein, also nach dem »Eisenbahngespräch« und der Auseinandersetzung mit Schönberg (vgl. Klemm: [Einführung], [Anm. 2]). Aber ich sehe nichts, was diese Vermutung bestätigen könnte. Klemm hat sie auch nicht wiederholt. — Zur Situation der Arbeitermusikbewegung in Berlin vgl. Jürgen Elsner: Der Einfluß der Arbeitermusikbewegung auf die Kampfmusik Hanns Eislers. — In: Beiträge zur Musikwissenschaft 6 (1964), S. 301–301; Jürgen Schebera: Eisler [Anm. 2], S. 34 u. 50.
Vgl. Heine und die Nachwelt: Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern. Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare. Hrsg. von Dietmar Goltschnigg und Hartmut Steinecke. Bd. 1, 2. Berlin 2006, 2008; Ute Kröger: Der Streit um Heine in der deutschen Presse 1887–1887: ein Beitrag zur Heine-Rezeption in Deutschland. Aachen 1989; Paul Peters: Die Wunde Heine. Zur Geschichte des Heine-Bildes in Deutschland. 2. Aufl. Bodenheim 1997.
Hanns Eisler: Gespräche mit Hans Bunge. »Fragen Sie mehr über Brecht«. Übertragen und erläutert von Hans Bunge. Fotomechanischer Nachdruck der ersten Aufl. 1975. Leipzig 1979 (ders.: Gesammelte Werke Bd, III/7), S. 219. — Ernst Fischer bezeichnete Eisler als »bedeutenden Schriftsteller«. Ders.: Eisler und die Literatur. — In: Sinn und Form. Sonderheft Hanns Eisler. 1964, S. 248–270, hier S. 262.
Den Forschungen Wilhelm Zobls verdanken wir hierzu wichtiges Material (vgl. Anm. 14). Vgl. auch Christian Glanz: Hanns Eisler. Werk und Leben. Wien 2008, S. 70f.
Vgl. dazu Heinrich Heine: Vermischte Schriften. Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1854. Hrsg. u. eingel. von Arnold Pistiak. Hildesheim 2004;
Arnold Pistiak: »Lutezia lesen? Ein Brief.« — In: »… und die Welt ist so lieblich verworren.« Heines dialektisches Denken. Festschrift für Joseph A. Kruse. Hrsg. von Bernd Kortländer und Sikander Singh. Bielefeld 2004, S. 399–399; Zu Heinrich Heines Spätwerk »Lutezia«. Kunstcharakter und europäischer Kontext. Hrsg. von Arnold Pistiak u. Julia Rintz Berlin 2007.
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hrsg. von Hans Kaufmann. Berlin, Weimar 1980, Bd. 1, S. 538.
Vgl. dazu Albrecht Dümling: Hanns Eisler und Arnold Schönberg. — In: Hanns Eisler der Zeitgenosse. Positionen — Perspektiven. Materialien zu den Eisler-Festen 1994/95. Hrsg. von Günter Mayer. Leipzig 1997, S. 30–30.
Eine auffällige Ausnahme stellt folgende Arbeit dar: Hanns-Werner Heister: Selbstgespräch und Ansprache an die Menschheit. Zur Bekenntnismusik im 20. Jahrhundert. — In: ders.: Vom allgemeingültigen Neuen. Analysen engagierter Musik: Dessau, Eisler, Ginastera, Hartmann. Hrsg. von Thomas Phleps und Wieland Reich. Saarbrücken 2006, S. 9–9.
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Pistiak, A. (2010). Revolutionsgesänge? Hanns Eislers Chorlieder nach Heinrich Heine. In: Brenner-Wilczek, S. (eds) Heine-Jahrbuch 2010. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00578-6_8
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