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Freiheit und Offenbarung Zur geschichtskritischen Konstruktion der Schrift beim späten Heine

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Zusammenfassung

Dem Begriff der Offenbarung eignet neben der religionsstiftenden auch eine profane Bedeutung, wenn er als juristischer Terminus gebraucht wird: Wer den Offenbarungseid zu leisten gezwungen ist, hat das völlige Scheitern seiner Bemühungen um eine stabile materielle Existenz eingestanden, er sieht der persönlichen Katastrophe ins Auge. Diese Ambivalenz ist weder arbiträr noch erscheint sie zufällig. Seit Luther dient ›Offenbarung‹ zur Übersetzung dreier durchaus differenter griechischer Termini: der αποκάλυψις (Enthüllung), der enupaveixx (Erscheinung) und der δήλωσις (Verkündigung).1 Die gleichlautende Übersetzung verdichtet die darin umfassten Begriffe zu einem katastrophalen und einem Rettung verheißenden, auf Erlösung gerichteten Moment; sie eröffnet so nicht allein das Denken einer Beziehung zwischen beiden, sie scheint auch den Gedanken einer heilsgeschichtlichen Konstruktion von Geschichte geradezu zu präformieren, wie er später ausformuliert wurde.2 Luthers Übersetzung verleiht dem Begriff Offenbarung produktive Spannung schließlich gerade dort, wo er als poetologisch relevanter Terminus dem profanen Text der Neuzeit eingeschrieben wird. Im Zeitalter nach der Aufklärung und unter dem Eindruck der dadurch bedingten geistes- wie kulturgeschichtlichen Veränderungen gewinnt das an die Einbildungskraft geknüpfte Verständnis von Offenbarung in Poesie und Poetologie vor allem der Frühromantik definitorische Bedeutung.3 Dabei wird sie zuletzt auch bezogen auf historiographische Konzepte, so etwa wenn Friedrich Schlegel den Historiker als ›rückwärts gekehrten Propheten‹ und beide, den Propheten wie den Historiker, als Philosophen und Poeten zugleich apostrophiert.4

Die Freiheit wird überall sprechen können und ihre Sprache wird biblisch sein.

(B III, 546)

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Anmerkungen

  1. Zur Übersetzungs- und Begriffsgeschichte von ›Offenbarung‹ vgl. Rudolf Bultmann: Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament. — In: ders.: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze. 2. Aufl. Tübingen 1962, Bd. III, S. 1–34. Für Luther hat der Begriff noch keine theologisch-systematische Bedeutung; er versteht darunter »die im Wort Gottes, dem Evangelium und speziell mit der Menschwerdung Christi erfolgte Offenbarung seiner Geheimnisse«. Martin Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe [Weimarer Ausgabe]. Weimar 1883 ff., Bd. VII, S. 494; vgl. auch ebd., Bd. X/I/1, S. 181 f.; Bd. XLII, S. 646; Bd. LIV, S. 88; Bd. XLIII, S. 314.

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  2. Vgl. Karl Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie. — In: ders.: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Klaus Stichweh, Marc B. de Launay, Bernd Lutz, Henning Ritter, Bd. II. Stuttgart 1983.

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  3. Vgl.: »Alles, was wir erfahren, ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung, Offenbarung des Geistes.« Novalis: Schriften. Hrsg. von Jakob Minor. Bd. II. Jena 1923, S. 198; »Einbildungskraft ist ein übernatürliches Vermögen — ist allemahl Offenbarung«; Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe seiner Werke. Hrsg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Paderborn u. a. 1958 ff., Bd. XIX, S. 171 (Nr. 147); zur Kunst als Offenbarung vgl. auch Friedrich W. J. Schelling: Philosophie der Kunst. — In: Ders.: Sämtliche Werke. Hrsg. von Karl F. A. Schelling. Bd. I. Stuttgart, Augsburg 1859, S. 22 ff.

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  4. Vgl. dazu u. a. Regina Grundmann: Haggada als Poesie — Poesie als Offenbarung. Heinrich Heines Transformation der rabbinischen Überlieferung. — In: HJb 45 (2006), S. 223–235;

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  5. Bernd Witte: Jüdische Tradition und literarische Moderne. Heine, Buber, Kafka, Benjamin. München 2007.

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  6. Vgl. dazu die grundlegende Darstellung von Jonathan Frenkel: The Damascus Affair. »Ritual Murder«, Politics and the Jews in 1840. New York 1997.

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  7. Vgl. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a. M. 1974, Bd. I/2, S. 697 f.

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  8. Vgl. den Versuch einer korrigierenden Lesart über die Bestimmung der »Historien« als »politische Balladen« bereits bei Hans-Peter Bayerdörfer: ›Politische Ballade‹. Zu den ›Historien‹ in Heines ›Romanzero‹. — In: DVjs 46 (1972), S. 435–468.

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  9. Vgl. dazu Christine Ivanović: Die Wunde Erinnerung. Zur Aktualität des Gedenkens. Heinrich Heine, Jehuda Ben Halevy, Paul Celan. — In: Harry … Heinrich… Henri … Heine. Deutscher, Jude, Europäer. Hrsg. von Dietmar Goltschnigg, Charlotte Grolleg-Edler, Peter Revers. Berlin 2007, S. 345–360.

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  10. Der Kommentar der Düsseldorfer Heine-Ausgabe (1992) referiert umfangreich das Heine verfügbare zeitgenössische Wissen über den geschilderten Sachverhalt (vgl. DHA III, 677 ff.). Die dabei gegebene Erläuterung des »Vitzliputzli« als Satire wie auch die Deutungsansätze (ebd., 703 ff.), die im Bezug auf die spanische Seite immer wieder exculpatorisch formuliert sind, erscheinen in der Einschätzung des historischen Gehalts wie der von Heine gebrauchten poetischen Verfahren gleichermaßen obsolet. Vgl. dagegen die Studien von Susanne Zantop: Colonialism, Cannibalism, and Literary Incorporation. Heine in Mexico. — In: Heinrich Heine and the Occident. Multiple Identities, Multiple Receptions. Hrsg. von Peter Uwe Hohendahl und Sander L. Gilman. Lincoln, London 1991, S. 110–138, sowie dies.: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770–1870). Berlin 1999.

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  11. Vgl. gegen Ende des Gedichts »Vitzliputzli« dessen Entschluss: »Ja, ein Teufel will ich werden,/Und als Kameraden grüß ich/Satanas und Belial,/Astaroth und Belzebub.« (B VI/1, 75) mit einer der letzten Strophen des Schlussgedichts der »Hebräischen Melodien« (und damit des »Romanzero« insgesamt), wo in der »Disputation« der Mönch dem Rabbi die Worte entgegenschleudert: »Trotzen kann ich deinen Teufeln,/Deinem schmutzgen Fliegengotte,/Luzifer und Bel-zebube,/Belial und Astarothe. //Trotzen kann ich deinen Geistern,/Deinen dunklen Höllenpossen,/Denn in mir ist Jesus Christus,/Habe seinen Leib genossen.« (B VI/1, 170 f.). Vgl. des Weiteren zum oben angesprochenen Zusammenhang die Ausführungen von Gershom Scholem: Walter Benjamin und sein Engel. — In: ders.: Walter Benjamin und sein Engel. Vierzehn Aufsätze und kleine Beiträge. Frankfurt a. M. 1983, S. 35–72. Scholem legt in seinem Kommentar zu Klees »Angelus Novus« bzw. zu Benjamins darüber formulierter These dessen autobiographische Notiz »Agesilaus Santander« als Anagramm zu »Der Angelus Satanas« aus. »Von einem solchen Engel-Satan sprechen sowohl hebräische Texte wie etwa der Midrasch Rabba zu Exodus, Sektion 20, § 10, als auch neutestamentliche, wo im Paulinischen Brief an die Korinther II, Kapitel 12:7 vom Angelos Satans die Rede ist, der mit dem abgefallenen, revoltierenden Luzifer identisch ist« (ebd., S. 51).

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  12. Zur Bedeutung dieses Credos im weiteren Kontext der europäischen Romantik vgl. Renate Lachmann: Imitatio und Intertextualität. Drei russische Versionen von Horaz‘ ›Exegi monumentum‹. — In: Poetica 19 (1987), S. 195–237.

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  13. Zu dieser Stelle und ihrer Bedeutung im Kontext von Heines »jüdischer Geschichtsperspektive« vgl. Christian Liedtke: »Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht«. Heines Kritik des teleologischen Denkens. — In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler HeineKongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte und Karin Füllner. Stuttgart, Weimar 1998, S. 598–614, insbes. S. S. 604 ff.

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Ivanović, C. (2009). Freiheit und Offenbarung Zur geschichtskritischen Konstruktion der Schrift beim späten Heine. In: Kruse, J.A. (eds) Heine-Jahrbuch 2009. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00490-1_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00490-1_2

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