Zusammenfassung
Es bedarf wohl einer Erklärung dafür, dass sich dieser Aufsatz auf ›Die Familie Schroffenstein ‹ und die ›Penthesilea‹ beschränkt. Zunächst sei darauf hingewiesen, dass nur in diesen beiden Stücken die Figuren dazu bestimmt sind, das ganze Ausmaß ihres Leidens auszukosten. Wenn Prothoe im 13. Auftritt mit einer Mischung aus Verzweiflung und Resignation über Penthesilea sagt: »Ihr Himmlischen! So hat sie noch den Kelch nicht ausgeleert?« (DKV II, 199), so erinnert dieser Kelch an die Worte Christi im Matthäus-Evangelium — »gehe dieser Kelch an mir vorüber« —, und die Zeile deutet zugleich darauf voraus, dass sich diese Passion unweigerlich auf bittere Weise vollenden muss.1 Ähnliches gilt für die beiden Väter in der ›Familie Schroffenstein‹. Der Affekt der Rachsucht beherrscht Sylvester und Rupert am Ende so sehr, dass sie in ihrer Verblendung die eigenen Kinder ermorden. Johann, Ruperts natürlicher Sohn, ist dem Wahnsinn verfallen. Mit dem Tod Agnes’ und Ottokars wird das dynastische Prinzip vernichtet, wofür die Väter gelebt haben. Am Ende verbleibt beiden Elternpaaren nur das Auskosten jenes bitteren Kelchs der Karikatur einer Versöhnung im Angesicht einer zerstörten Zukunft.
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Notizen
Schillers Werke. Nationalausgabe, hg. von Benno von Wiese unter Mitwirkung von Helmut Koopmann, Bd. 20, Weimar 1962, S. 220.
Gerhard Neumann, Bildersturz. Metaphern als generative Kerne in Kleists ›Penthesilea‹. In: Penthesileas Versprechen. Exemplarische Studien über die literarische Referenz, hg. von Rüdiger Campe, Freiburg i.Br. 2008, S. 93–125, hier S. 119: »Die Metaphernfelder und Metaphernsequenzen bilden vielmehr von diesen Aktionen unabhängige Konstruktionen von Sinnstiftungsszenarien — Figurationen, Defigurationen und Refigurationen von Bedeutungskernen und Bedeutungsfeldern. Daraus folgt aber, daß das Gedächtnis des Stücks, der Mythos, die erinnerte Geschichte, nicht in der von den Figuren verantworteten Rede und ihren Dialogen liegt, sondern in den flottierenden Bildfeldern, die sich von den Figuren ablösen und konkurrierend entfalten: Dissoziation von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, Todesjagd und Verschmelzung, Epiphanie und Absturz«; vgl. dagegen Anthony Stephens, Heinrich von Kleist. The Dramas and Stories, Oxford/Providence USA 1994, S. 34: »The unreliability of language as a ›means of communication can be documented in virtually any scene of ›Die Familie Schroffenstein‹. But there is an irony attending this that is absent from the discursive statements in Kleist’s letters before he begins writing dramas. For, within his fictions, language turns out to be an unreliable instrument not because of any inherent weakness, but because it is stronger than the characters who ostensibly control it«.
Ausführliches dazu bei Yixu Lü, »Mienen sind schlechte Rätsel«. Transparenz und Verschleierung in den Figurenbeziehungen bei Kleist. In: Aurora 60 (2000), S. 45–73.
Vgl. Anthony Stephens, »Menschen / Mit Tieren die Natur gewechselt«. Zur Funktionsweise der Tierbilder bei Heinrich von Kleist, in: ders., Kleist — Sprache und Gewalt, Freiburg i.Br. 1999, S. 253–279, insbesondere S. 256: »daß es sich bei allen Variationen dieser Bildhaftigkeit um die Vermittlung einer sich der poetischen Sprache entziehenden Fremdheit handelt« und S. 267: »Die Tierbilder scheinen bei Kleist durch ihre Häufigkeit und Vielfalt auf menschliche Gefühle zu verweisen, die verschiedenen Tabus unterliegen und gleichsam nur in tierhafter Verkleidung in den poetischen Diskurs eingehen können. In diesem Sinne etwa verflucht Penthesilea die eigenen »Begierden, die, wie losgelaßne Hunde, / […] aller Feldherrn Rufen, überschrein!«
Gabriele Brandstetter, Penthesilea, in: Interpretationen. Kleists Dramen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1997, S. 75–115, hier S. 105ff.
Für eine ausführlichere Diskussion der Katharsis bei Kleist vgl. Yixu Lü, Die problematische Katharsis. Läuterungsprozesse im Werk Kleists In: Kleists Beiträge zur Ästhetik der Moderne, hg. von Peter Ensberg und Hans-Jochen Marquardt, Stuttgart 2002, S. 171 – 182.
Zu den Amazonen hier als »Trägerinnen und Organen (tragischer) Affekte« vgl. Ulrich Port, Pathosformeln. Die Tragödie und die Geschichte exaltierter Affekte (1755–1888), München 2005, S. 257.
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Lü, Y., Stephens, A. (2009). »Gewaltig die Natur im Menschen«. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2008/09. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00361-4_17
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