Zusammenfassung
›Ehrgeiz‹ zählt, so weit ich sehe, nicht zu den eigentlichen Affekten oder Emotionen, wie sie von der Psychologie beschrieben werden. Es handelt sich um einen eher intellektuell- und vorstellungsvermittelten Handlungsantrieb, eine generelle Motivationsdisposition, die auf Karrieren oder gesellschaftliches Ansehen, aber auch gegenständliche Sachverhalte — beispielsweise künstlerische Realisation — gerichtet ist, in denen sie Erfüllung finden kann. Etwas anders verhält es sich mit der ›Ruhmsucht‹, der wir ein quasi-pathologisches Ingrediens zuschreiben, das über rationale Sachbezogenheit hinausschießt (beim Ehrgeiz qualifizieren wir dies überschießende Moment bezeichnenderweise durch den Zusatz ›krankhaft‹). Die traditionelle, antikchristliche Affektenlehre handelt kaum über den Ehrgeiz, den sie unentschieden bewertete.1 Die deutsche Aufklärung sah ihn kritisch als Ausdruck höfischen Machtverhaltens. Für Thomasius ist der Ehrgeiz eine der drei Hauptformen der »unvernünftigen Liebe« oder »bösen Affekte«, neben der »Wollust« und dem »Geld-Geiz«:
eine Gemüts-Neigung, die ihre Ruhe in stets währender veränderlicher Hochachtung und Gehorsam anderer, sonderlich aber gleichgesinnter Menschen, durch Hochachtung sein selbst und Unterfangung teils verschmitzter teils gewaltsamer Taten vergebens sucht und dieser wegen mit gleichgearteten Menschen sich zu vereinigen trachtet2.
Hier steht deutlich die Figur des barocken Intriganten im Hintergrund. Im 18. Jahrhundert wird beim Ehrgeiz immer wieder das Streben nach äußerem Schein hervorgehoben und damit die Nähe zur Ruhmsucht hergestellt.
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Notizen
Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Kant’s gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1917, Bd. VII, § 85, S. 272.
Wilhelm Traugott Krug, Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, nebst ihrer Literatur und Geschichte, Leipzig 1832f, Bd. I, S. 693f.
Vgl. Erika Fischer-Lichte, Theatralität. Zur Frage nach Kleists Theaterkonzeption. In: KJb 2001, S. 25–37.
Vgl. Helmut J. Schneider, Entzug der Sichtbarkeit. Kleists Penthesilea und die klassische Humanitätsdramaturgie. In: Penthesileas Versprechen. Exemplarische Studien zur Frage der Referenz, hg. von Rüdiger Campe, Freiburg i.Br. 2008, S. 127–151; dort weitere Literaturangaben.
Zu dieser Thematik des ›Guiskard‹ vgl. Helmut J. Schneider, Der Sohn als Erzeuger. Zum Zusammenhang feudaler Genealogie und ästhetischer Kreativität bei Kleist. In: KJb 2003, S. 46–62.
Katharina Mommsen, Kleists Kampf mit Goethe. Heidelberg 1974, S. 160.
Johann Wolfgang Goethe, Torquato Tasso. In: Ders., Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, hg. von Hendrik Birus u.a., Frankfurt a.M. 1988, I. Abteilung: Sämtliche Werke, Bd. 5.—Nach dieser Ausgabe im Folgenden die Zitate, nachgewiesen durch Akt, Szene und Vers (bzw. bei Prosa Seitenzahl) in Klammern.
Friedrich Schiller, Werke und Briefe in zwölf Bänden, hg. von Otto Dann u.a., Frankfurt a.M. 1992, Bd. 8, S. 937.
Vgl. Benjamin Bennet, Modern Drama und German Classicism. Renaissance from Lessing to Brecht. Ithaca, N.Y., London 1979, insbesondere die Kap. 5, »Egmont and the Maelstrom of the Self«, S. 121–150, bzw. Kap. 6, »The Importance of Being Egmont«, S. 151–187.
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Schneider, H.J. (2009). Kleists Ehrgeiz und Ruhmsucht. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2008/09. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00361-4_16
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