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»Wie zart sie das zarte berühren«

Zur Kunst der Berührung bei Kleist

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Kleist-Jahrbuch 2008/09
  • 234 Accesses

Zusammenfassung

»[O]hne die Trennung von Wörtern und Dingen«, schreibt der Rechtshistoriker und Religionswissenschaftler Pierre Legendre, kann es »kein menschliches Leben geben«; es braucht »die Leere zwischen den Buchstaben […], damit es Wörter gibt«, und die Sprache, die die Welt neu erfindet, denn sie »ist dem Menschen sein Spiegel.«2 Wie als Erlösungsbild hierzu kreist das Christentum um den menschgewordenen Gott, um die Wunde Jesu und das Bild, wie der Krieger mit der Lanze in die Seite des toten Christus sticht, wie der ungläubige Thomas in eben diese Wunde fasst und gläubig wird. »Die Christen«, folgert Legendre, »sind die Söhne der heiligen Wunde, doch kennen sie nicht mehr als die übrige Menschheit den letzten Sinn dessen, was sie sagen.«3 Die »Leere und Trennung« der Menschen beglaubigt das Christentum mit dem Heiligen, mit der Unberührbarkeit der Berührung im Wort der Heiligen Schrift, das diese Berührung, indem es sie bis an den Jüngsten Tag aufschiebt, in Aussicht stellt. Das Wort ist deshalb als diese Grenze und Hoffnung so wichtig, und man kann angesichts dessen, was beim ewigen Leben auf dem Spiel steht, mit Legendre die Beobachtung anfügen: »Dort, wo die Menschen nicht mehr das Wort ertragen können, erscheint das Massaker wieder auf der Bildfläche.«4 In der Distanz nur leben wir, und erst von diesem Befund aus wird die Absolutheit des christlichen Horizonts einsichtig, dass allein die Gnade Gottes den adamitisch gefallenen Menschen heiligen könne, wie Augustinus in seiner Gnadenlehre mit aller Konsequenz erkannt hat.

Que j’ai gardé la forme et l’essence divine

De mes amours décomposés!

Charles Baudelaire

Mein Dank für seine kritische Lektüre gilt — einmal mehr — Anthony Stephens.

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Notizen

  1. Pierre Legendre, Die Fabrikation des abendländischen Menschen. Zwei Essays, aus dem Französischen von Andreas Mayer, Wien 1999, S. 17.

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  2. Legendre, Die Fabrikation des abendländischen Menschen (wie Anm. 2), S. 14. Die neutestamentarische Grundszene der Auferstehung ließe sich als Ergründung der Abwesenheit des Vaters lesen — Jesus Christus als fleischgewordene Möglichkeit der Berührbarkeit des Unberührbaren: »Schließlich bedeutet, wenn Jesus sagt, er gehe ›zum Vater‹, dass er fortgeht, und zwar absolut: Der ›Vater‹ […] ist niemand anders als der Abwesende, der Zurückgezogene, ›meinen Brüdern‹ genau entgegengesetzt« (Jean-Luc Nancy, Noli me tangere, aus dem Französischen von Christoph Dittrich, Zürich 2008, S. 24). — Eine solche Perspektive (eine ›Dekonstruktion des Christentums‹) steht weniger im Zeichen einer ›Rückkehr der Religion‹, sondern deutet die Indizien einer »Kultur des ›Todes Gottes‹« in der Folge von Nietzsches Kulturdiagnostik

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  3. (Jean-Luc Nancy, Dekonstruktion des Christentums, aus dem Französischen von Esther von der Osten, Zürich 2008, S. 9).

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  4. William Shakespeare, Hamlet. In: Ders, Sämtliche Werke, übersetzt von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck, Heidelberg 1953, Bd. 3, S. 518 (II,2).

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  5. Die Adressatin ist indirekt erschließbar; vgl. den Kommentar in DKV IV, 886, und ausführlich: Klaus Müller-Salget, Heinrich, Marie und Ulrike von Kleist. Zur Datierung und Deutung der Briefe vom Herbst 1811. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 113 (1994), S. 543–553.

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  6. Die Schritte von Angerns, Kleist und seinen Mitgefangenen Ehrenberg freizubekommen, sind durch entsprechende ministerielle Briefe quellengeschichtlich belegt, vgl. Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen, Berlin 1909, S. 94–99.

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  7. »Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens aber von Prinzipien der Vernunft heißt ein Interesse« (Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hg. von Karl Vorländer, Hamburg 71994, S. 33). Sich selbst verortet Kleist damit als kontingentzufällig bestimmbaren Willens«) und abhängig von einer Vernunft, die ihn nur mittelbar tangiert. ›Interesse‹ ließe sich somit übersetzen als ›Berührungsangst‹.

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  8. Im Gefühl hat die ältere Kleist-Forschung lange Zeit Kleists Zentralbegriff ausmachen wollen, folgte in dessen Apologetik aber wohl nur den Wunschstrategien Kleistscher Texte: »sein Schicksal waren zutiefst nicht Menschen und Dinge außer ihm, das war sein eigenes Herz«; Gerhard Fricke, Gefühl und Schicksal bei Heinrich von Kleist, Berlin 1929 (Neue Forschungen; 3), S. 208. »Gefühlsgewissheit, so hat man geglaubt, sei Kleists Option gegen die Irritationen durch Reflexion und Bewußtsein, und hat dabei den Horizont skeptischer Argumentationen übersehen, in den Kleist Gewissheit und Zweifel als eine seiner zentralen Leitdifferenzen einträgt«

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  9. (Bianca Theisen, Der Bewunderer des Shakespeare. Kleists Skeptizismus. In: KJb 1999, S. 87–108, hier S. 88). Christian Moser betont entsprechend die Autosuggestivität von Kleists ›Gefühl‹, so etwa am Beispiel eines Briefes von Rühle von Lilienstern: »Denn die Schriftzüge […] werden, in der Auto-suggestion einer taktilen Begegnung, gefühlt. Der Versuch, sich in der Lektüre des von Rühle verfaßten Briefes den anderen begreiflich zu machen, gipfelt in der fragilen Illusion des Begriffenwerdens, in der Täuschung«; Christian Moser, Verfehlte Gefühle. Wissen, Begehren, Darstellen bei Kleist und Rousseau, Würzburg 1993 (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft; 94), S. 11. Moser schlussfolgert: »Das Kleistische Gefühl ist […] in die Problematik von Irrtum und Schuld […] verstrickt; es ist nicht der Ausweg aus dieser Verstrickung« (S. 1). Daran anschließend soll das Berühren zwischen Begehren (zu berühren) und (ent-)täuschender Dissoziierung im Folgenden als selbstaffektuöses Moment von Kleists Kreativität beschrieben werden. Die Vorstellung der Berührung tritt bei Kleist an die Stelle der Berührung, der Preis des simulativ heilen Gefühls ist seine Nicht-Mitteilbarkeit Ŕ dies aber ist die Erzählung von Kleists Selbstaffektion, sozusagen (um auf eine der ethologischen Zentralmetaphern Kleists, das Duell, anzuspielen) touché durch sich selbst, indem die Berührung verklärter Wunsch Ŕ Projektion der Kunst Ŕ wird. Kleist selbst ist dem Duell immer ausgewichen, auch die Duellforderung an den Regierungsrat Friedrich von Raumer im Brief vom 22. Februar 1811 hat primär strategischen Wert. Nach Raumers Erinnerung habe Kleist, als sei er »zu allem induziert worden«, ohne das Duell, also ein touché, jemals selbst riskieren zu wollen, »an zu weinen [gefangen]« (LS 483): »Das Berührt-Sein des Subjekts […] bedeutet […] Verletzt-, Gebrochen-Sein in seiner Integrität, getroffen, wie man ›touché‹ sein kann in einem Duell«;Jacques Derrida, Berühren,

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  10. Jean-Luc Nancy (Le toucher, Jean-Luc Nancy), übersetzt aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, Berlin 2007, S. 372f., Anm. 1.

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  11. Weniger dramatisch gewendet: »he was Ŕ almost miraculously Ŕ removed from the scene of conflict [in Königsberg] and physically transported to a realm where he no longer found himself confronted with day-to-day pressures, with the need to reconcile ›Brotgewerb‹ [sic]« (Hilda M. Brown, Kleist and the Tragic Ideal. A Study of Penthesilea and its Relationship to Kleist’s Personal and Literary Development 1806–1808, Bern, Frankfurt a.M., Las Vegas 1977, S. 10f.).

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  12. Joseph von Eichendorff, Kleist. In: Schriftsteller über Kleist. Eine Dokumentation, hg. von Peter Goldammer, Berlin, Weimar 1976, S. 69–80, hier S. 78.

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  13. Diese Rückführung bedingt das selbstaffektuöse Moment (angerührt zu sein), das in der Distanzierung — als Geste der Literarisierung — liegt: »Ja, anrühren, manchmal denke ich, daß das Denken / ehe Du ›siehst‹ oder ›hörst‹ […], oder daß Sehen und Hören darauf hinauskommt, anzurühren auf Distanz — sehr alter Gedanke« (Jacques Derrida, Telepathie, Berlin 1982, S. 17). Schreiben als Weltbezug in Distanz verrät hierin einen telepathischen‹ Zug, ein Ineins von Nähe und Distanz, von Berühren und Unberührbarkeit. — Das selbstinszenatorische Moment von ›Rührung‹ als Abstraktum zur ›(Be-)Rührung‹ lässt sich bei Kleist etwa anhand einer Stelle aus der ›Verlobung in St. Domingo‹ nachweisen (DKV III, 239), wo Gustav Toni, »da ihre Tränen in unendlichen Ergießungen auf das Bettkissen niederflossen, in seine Arme [schloss]«, dabei »von Rührung selber ergriffen« ist — die Berührung löst Rührung aus —, wobei er gerade nicht weiß, was passiert ist: »was er ihr zu Leide getan«. So weiß er nichts von der Berührung, jenem »Taumel wunderbar verwirrter Sinne«, und ist gerührt, während sie, »ohne sich zu rühren, in ihre Arme gedrückt, auf den verwirrten Kissen des Bettes dalag«, »wie eine Leblose«. Gustavs Rührung gilt »unter tausend Liebkosungen«, während er sie gar »seine liebe Braut« nennt, einer Scheintoten, und genau diese Unerreichbarkeit oder: in der Folge Unberührbarkeit Tonis setzt die folgende Handlung als Komplott gegen Gustav in Szene. Ergriffenheit oder Rührung ist eine Affektfigur der Unberührbarkeit.

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  14. Es handelt sich um die Kirche St. Loup in Châlons »fünfte Kapelle im rechten Seitenschiff«; Jochen Bertheau, Die heilige Cäcilie in Châlons. In: Heilbronner Kleist-Blätter 19 (2007), S. 72–103, hier S. 88.

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  15. Kunsttheoretisch lässt sich hieraus zunächst und mit Blick auf die Literatur folgern: »Kleist ermutigt den Leser in seiner Autonomie«; Peter Gebhardt, Notizen zur Kunstanschauung Heinrich von Kleists. In: Euphorion 77 (1983), S. 483–493, hier S. 484. Zu Kleists Ästhetik gilt: »[Abgesehen von dem vielstrapazierten Text ›Über das Marionettentheater« ist man »auf nur wenige fragmentarische, weitläufig verstreute und zudem meist in einen fiktionalen Kontext gestteell Äußerungen Kleists zu diesem Thema verwiesen«

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  16. (Bettina Schulte, Unmittelbarkeit und Vermittlung im Werk Heinrich von Kleists, Göttingen, Zürich 1988, S. 225).

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  17. »From the perspective of Kleist’s whole work, with all its contradictions and modulations of negativity, it is ironic that the example he chooses to define ›das Kunstwerk as such is so unlike most of his own productions«, bemerkt Anthony Stephens, On Structures in Kleist. In: A Companion to the Works of Heinrich von Kleist, hg. von Bernd Fischer, Rochester, NY 2003, S. 63–79, hier S. 67. Stephens’ Stichwort ›Ironie‹ erscheint mir aus zwei Gründen als unpassend (obgleich Stephens’ insgesamt zuzustimmen ist, dass Kleist harmonischen Vorstellungen mit einer durchaus ironisch zu nennenden destruktiven Tendenz begegnet): Erstens wäre bereits das Gemälde in seiner thematisch in Szene gesetzten Spannung zwischen Himmel und Erde, Engeln und Körpern, Seligkeit und Tod im Kontext einer Dekonstruktion des Christentums zu verhandeln; zweitens geht Kleist — und genau das sagt seine ›Wirkungsästhetik‹ — aus von einer Distanz zwischen Gemälde-Sujet (Berührung) und seiner Wahrnehmung (über das Sehen vermittelte Gerührtheit), die als Differenz in seine eigenen beschreibenden Worte eingetragen ist. M.a.W wäre eine Vergleichbarkeit des Gemäldes mit Kleists Schriften zuallererst vor dem Hintergrund von Kleists Auslegung des Gemäldes gegeben, was wiederum nahe legt, nicht das Bild als Vor-Bild anzusehen, sondern sein Thema als Incitament des Schreibens und seiner Brüchigkeit, die in dieser Vor-Bildlichkeit und der hieraus abgeleiteten Abwesenheit des Berührens in der Reflexion von Gerührtheit ihr Movens fände.

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  18. Der Bezug der Engel zu Kleists Christusfiguren—Christus als Mittler zwischen Himmlischem und Irdischem par excellence genommen—erforderte eigene Studien. Nimmt man beispielsweise die Christus-Figuration in der Figur Penthesileas, so könnte man zumindest von einer Zuspitzung der Körper- und Leidensthematik sprechen, die das Erlösungsmoment ins Imaginäre rückt—wenn nicht negiert, wie es Albrecht Sieck in seiner 1976er Studie erörtert hat: Penthesilea als (Nietzsches ›Antichrist‹ präzedierend) »Gegenbild zu Christi« (Albrecht Sieck, Kleists ›Penthesilea‹. Versuch einer neuen Interpretation, Bonn 1976, S. 321); vgl. etwa: »Da schreitet sie heran, / Bekränzt mit Nesseln, die Entsetzliche, / Dem dürren Reif des Hag’dorns eingewebt, / An Lorbeer-Schmuckes statt« (DKV II, Vs. 2704–2707).

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  19. »Das Heilige [sacré]«, so ließe sich diese funktionale Unberührbarkeit deuten, »bedeutet das Getrennte, das Ausgegrenzte, das Verschanzte«, weshalb der ›distinkte Zug‹ des Schreibens genau jene Grenze von Transzendenz und Immanenz einzieht: als die Macht des Distinkten in seiner Ausgrenzung, als »das Distinkte«, »was durch Markierungen getrennt ist« (Jean-Luc Nancy, Am Grund der Bilder, aus dem Französischen von Emanuel Alloa, Zürich 2006, S. 9f). Zeigen lässt sich dies auch an der ästhetischen Funktion, die Jesus Christus im Brief an Wilhelmine von Zenge vom 5. September 1800 zukommt: »Denn ganz auf sein Selbstbewußtsein zurückgewiesen zu sein, nirgends ein Paar Augen finden, die uns Beifall zuwinken — u doch recht thun, das soll freilich, sagt man, die Tugend der Helden sein. Aber wer weiß ob Christus am Kreuze gethan haben würde, was er that, wenn nicht aus dem Kreise wüthender Verfolger seine Mutter u seine Jünger feuchte Blicke des Entzückens auf ihn geworfen hätten« (DKV IV, 105). Bettina Schulte merkt an: »Statt einer Anpassung des Ich geschieht eine Anpassung an das Ich […]. Statt sich selbst an die Stelle des gestorbenen Gottes zu setzen, wie dies Nietzsches Entwurf des Übermenschen fordert, verlangt das ebenso vom Tod Gottes angegangene Kleistsche Ich nach einer die Wahrheit seiner Subjektivität beglaubigenden verbindlichen ›diesseitigen‹ Instanz — eine contradictio in adiecto«; Schulte: Unmittelbarkeit und Vermittlung im Werk Heinrich von Kleists (wie Anm. 17), S. 43.

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  20. »Das vielleicht berühmteste Theorie-Bild Kleists von den Steinen, die in einem Bogen verbaut durch gegenseitiges Einstürzenwollen ihren Einsturz verhindern« lässt sich demgemäß lesen, insofern es »die Bilder diesseitiger Stabilität in und aus der Kontingenz heraus [entwirft], also zugleich in Opposition zu kosmologischen, theologischen und philosophischen-idealistischen Erwägungen«; Ralf Simon: Bildpolitiken der Erhabenheit. Herder (Kalligone), Jean Paul (Vorschule), Kleist (Cäcilie), Hölderlin (Friedensfeier). In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 57 (2007), H. 4, S. 91–111, hier S. 103. Noch in der ›Opposition‹ zeigt sich Kleist den nicht-kontingenten (etwa providentiellen) Stabilitätserwartungen verpflichtet; nicht zufällig wölbt sich sein Bogen wie das Himmelsgewölbe, und nicht zufällig läuft sein ›Denkbild‹ auf die Formulierung ›reiner‹ Kontingenz hinaus, wo Stein und Stein in der fugenlosen ›Berührung‹ die Dynamik, das Leben — die Kontingenz der Anordnung — aus ihrer Kontingenz/Berührung ausschließen.

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  21. Ernst Müller, Religion/Religiösität [Art.]. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in 7 Bänden, hg. von Karlheinz Barck u.a., Stuttgart 2004, Bd. 5, S. 232.

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  22. Jean-Jacques Rousseau, Œuvres complètes, hg. von Bernard Gagnebin und Marcel Raymond, Paris 1961, Bd 2, S. 1228.

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  23. Gebhardt, Notizen zur Kunstanschauung Heinrich von Kleists (wie Anm. 17), S. 485. Auf das Werk bezogen — etwa die ›Marquise von O....‹ — gebraucht Stephens gar den Begriff der »Parodie« des bürgerlichen Rührstücks (Anthony Stephens, Kleists Familienmodelle. In: KJb 1988/89, S. 222–237, hier S. 224).

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  24. Indem ich das selbstaffektuöse Moment von Kleists Steuerungslehren hervorhebe, insistiere ich »auf Differenz statt auf Harmonie« und auf der Unmöglichkeit einer Ineinssetzung von Bewegung und Identität, von Schein und Sein, von Schauspiel und Wirklichkeit (Alexander Košenina, Will er »auf ein Theater warten, welches da kommen soll«? Kleists Ideen zur Schauspielkunst. In: KJb 2001, S. 38–54, hier S. 53). Eine nicht problematisierte Einordnung Kleists in die europäische Theatertradition der Aufklärung übersieht die gebrochene Reflexivität des Theatralen bei Kleist

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  25. (vgl. zu diesem Bruch Erika Fischer-Lichte, Theatralität. Zur Frage nach Kleists Theaterkonzeption. In: KJb 2001, S. 25–37): Als Schauspieler ist man »gleichsam sein eigener Marionettenspieler, der seinen Körper psychologisch höchst reflektiert in naturwahre Bewegungen versetzt, ohne deshalb selbst empfinden zu müssen«, schreibt Košenina mit Bezug auf Diderots ›Paradoxe sur le comédien‹ und Kleists Schrift ›Über das Marionettentheater (vgl. Will er »auf ein Theater warten, welches da kommen soll«?, S. 51). Diderot freilich macht den Schauspieler zur Marionette des Dichters und trennt davon seine kreative Freiheit im Körper-Spiel; für Kleist ist beides in der Denkfigur der Marionette bereits — in einem epistemologischen wie ethologischen Sinne — paradox zusammengedacht. Kleist ist es hingegen nicht um Affektkontrolle und -effektivität im Bühnenspiel zu tun, sondern um exzentrische Steuerungsfiguren, die auch dem geschicktesten Tänzer oder Fechter verwehrt bleiben (vgl. Martin Roussel, Zerstreuungen. Kleists Schrift ›Über das Marionettentheater im ethologischen Kontext. In: KJb 2007, S. 61–93). Über Kleists Dramen bemerkt, passend zu Kleists Kritik der gestischen Schauspielerei wie zur Macht des Figurativen, Robert Walser in ›Weiteres zu Kleist‹ (1936): »Für die Schauspieler sind die Kleiststücke quälend, indem Kleist seine Figuren alles das sprechen läßt, was die Schauspieler lieber lediglich spielen, darstellen als mühsam aussprechen« (in: Robert Walser, Sämtliche Werke in Einzelausgaben, hg. von Jochen Greven, Zürich, Frankfurt a.M. 2002, Bd. 19: Es war einmal. Prosa aus der Berner Zeit 1927–1928, S. 257–259, hier S. 258).

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  26. Vgl. Aristoteles, Über die Seele [Peri Psyches/De Anima]. In: Ders, Philosophische Schriften in sechs Bänden, nach der Übersetzung von Willy Theiler bearbeitet von Horst Seidl, Hamburg 1995, Bd. 6, 423b.

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  27. Claudia Benthien, Hand und Haut. Zur historischen Anthropologie von Tasten und Berührung. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 8 (1998), S. 335–348, hier S. 338.

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  28. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Werke in zwölf Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a.M. 1977, Bd. 12, 1. Teil, § 15, S. 447.

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  29. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (wie Anm. 51), 1. Teil, § 15, S. 447. Historisch lässt sich die sensualistische Tradition und ihre Aufwertung des Tastsinns im 18. Jahrhundert auf Molyneux’ Gedankenexperiment zurückführen, ob ein blind Geborener, als Erwachsener sehend geworden, mit dem Auge zuvor nur ertastete Körper erkennen könne. William Cheseldons 1728 erstmals erfolgreich durchgeführte Staroperation erbrachte den empirischen Beweis, dass das Auge hierzu nicht in der Lage ist. Vgl. etwa die Aufarbeitung bei Ulrike Zeuch, Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit, Niemeyer 2000, S. 71–166.

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  30. Zur Aufwertung des Taktilen in der Neuzeit ist anzumerken: »Nachdem bis in die frühe Neuzeit zuerst das Gehör als Leitsinn gilt, übernimmt in der Renaissance das Sehen dieses Primat […]. Das Visuelle wird oft [seit Descartes] als Kontrastwahrnehmung zum Taktilen angeführt, als dasjenige Phänomen, was […] keinen ›Begriff‹ von etwas geben kann, sondern bloß dessen ›Erscheinung‹ zeigt«; Benthien, Hand und Haut (wie Anm. 46), S. 336. Die Entgegensetzung zum Sehen bestimmt ex negativo die Gewissheit des Taktilen, seine Unmittelbarkeit, die genau deshalb zugleich als ein Spiegelungseffekt des Äußeren auf das Innere beschrieben werden kann. In Bezug auf Herders Bündelung der sensualistischen Tradition schreibt Natalie Binczek: »Die Haut wird hier vom Medium der Kleidung her gedacht und […] auch vice versa. Pointierter läßt sich eine Ablösung des Tastorgans von den ihm kulturhistorisch immer wieder zugeordneten Kategorialbestimmungen, wie sie der Unmittelbarkeit, Eigentlichkeit und Präsenz eigen sind, nicht zum Ausdruck bringen«; Natalie Binczek, Kontakt: Der Tastsinn in Texten der Aufklärung, Tübingen 2007 (Studien zur deutschen Literatur; 182), S. 406.

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  31. Johann Georg Hamann an Kant, 27.7.1759. In: Hamanns Briefwechsel, hg. von Walther Ziesemer und Arthur Henkel, Wiesbaden, Frankfurt a.M. 1955, Bd. 1, S. 379. »In der deutschen Theorieentwicklung ist die ästhetische Aufwertung des Sensualismus mit der Besonderheit seiner Engführung mit dem Offenbarungsglauben verbunden. In klassischer und wirkungsvoller Form hat Hamann diese Figur entwickelt. Die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung bzw. der Glaube an die Außenwelt und der Glaube an die Offenbarungswahrheiten werden wechselseitig fundiert und aneinander gekoppelt« (Bernd Auerochs, Die Entstehung der Kunstreligion, Göttingen 2006, S. 276).

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  32. Nancy, Une pensée finie (wie Anm. 52), S. 293. Herders Gefühlsgewissheit — »Ich fühle mich! Ich bin! «; Johann Gottfried Herder, Zum Sinn des Gefühls. In: Hans Dietrich Irmscher, Aus Herders Nachlaß. In: Euphorion 54 (1960), S. 286–290, hier S. 287 — markiert hier den Gegenpol: Distanz als ›einfühlend‹ zu überbrückendes Medium monadischer Kommunikation. Vgl.

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  33. Inka Mülder-Bach, Kommunizierende Monaden. Herders literarisches Universum. In: Sinne und Verstand: Ästhetische Modellierung der Wahrnehmung um 1800, hg. von Caroline Welsh, Christina Dongowski und Susanna Lulé, Würzburg 2001, S. 41–52.

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  34. Szenen der Berührung kennzeichnen vor allem die Dramen, wohingegen die das eigentliche Geschehen oftmals nur in Ellipsen und internen Narrativierungen vermittelnden Erzählungen seltener Berührungen ausstellen, wohl aber Rührung angesichts von Unberührbarkeit (der unwissentlichen Empfängnis bzw. der Grenze zwischen Leben und Tod), etwa in der ›Marquise von O....‹, wo der Graf F, totgeglaubt, auftaucht und »mit vieler Rührung im Gesicht« fragt, »wie sie sich befinde«, während sie zurückfragt, »wie er ins Leben erstanden sei« (DKV III, 149). Diese Unterscheidung koinzidert — wenn man denn überhaupt so stark zwischen den ›dramatisch‹ zugespitzten Novellen Kleists und seinen ›Lesedramen‹ unterscheiden will — in gewisser Hinsicht mit der Max Kommerells, der schreibt: »Und wie sich die Art des Kleistischen Dramas aus dem Charakter als Rätsel ableitet, leitet sich seine Novelle ab aus dem rätselhaften Faktum« (Max Kommerell, Geist und Buchstabe der Dichtung. Goethe, Schiller, Kleist, Hölderlin, Frankfurt a.M. 51962, S. 245f).

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  35. Aus der Unberührbarkeit folgt hier nichts als purer Effekt, der in den Amazonen seine Wirkung belegt, das Heilige aber im restlos Profanen — den entseelten Leichnamen Achills und Penthesileas — aufgehen lässt. Das Heilige — Wort geworden im Gründungsmythos der Amazonen — kehrt in der Unberührbarkeit Achills (für die Amazonen) und Penthesileas (für die Griechen) in der Handlung wieder, allerdings mit der allzu irdischen Folge, dass beide, die einander berühren, sterben (womit die Szene ähnlich entrückt wie die auf Vouets Gemälde): »Kleists improvisiertes ›Heiliges‹ erweist sich als ein Mechanismus, dessen negative Entelechie sich selbst und damit dessen fiktionalen Kontext dekonstruiert«; Yixu Lü, Der Sinn des »Heiligen« in Kleists ›Penthesilea‹. In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17 (2004), S. 143–163, hier S. 161.

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  36. Jens Bisky, Heinrich von Kleist, Berlin 2007, S. 339. Und ebd.: Käthchen »ist während der letzten Verse nur Puppe im Spiel«.

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  37. Hilda M. Brown weist auf die Ungewöhnlichkeit dieser Stelle im Kontext der übrigen Todesavisionen hin, wenn sie hierin eine »idea of ›Todesreife‹« sieht, die im Kontrast zu der eher barocken ›Todeslust‹ stehe: »Life is seen as inferior to death and to the afterlife« (Hilda M. Brown, Ripe Moments and False Climaxes: Thematic and Dramatic Configurations of the Theme of Death in Kleist’s Works. In: A Companion to the Works of Heinrich von Kleist, hg von Bernd Fischer, Rochester, NY 2003, S. 209–226, hier S. 222).

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  38. Es ist »der erste Abschiedsbrief, den er schrieb«, und »er sandte ihn wahrscheinlich nicht ab« (Peter Staengle, Heinrich von Kleist. Sein Leben, Heilbronn 22007, S. 177).

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  39. Thomas Mann, Heinrich von Kleist und seine Erzählungen. In: Schriftsteller über Kleist. Eine Dokumentation, hg. von Peter Goldhammer, Berlin, Weimar 1976, S. 303–321, hier S. 321. Frickes Einschätzung, Kleists »Dichtung [erscheine] wie eine wundervolle Auslegung seines Todes« beschreibt in euphemistischer Wendung, was die doppelte Reise »zu Gott und sich selbst« am Ende bedeutete: den Tod; Fricke, Gefühl und Schicksal bei Heinrich von Kleist (wie Anm. 10), S. 209.

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  40. Was hier anthologisch im Sinne der Rhetorik ins poetische Reise-Bild gebracht wird, ist die »Bedeutung des nicht vollbrachten Opfertodes des ›Sohnes‹ als Gewährleistung der zukünftigen Herrlichkeit des jeweiligen Volkes«, betont Anthony Stephens in seinem Vergleich dieser Stelle mit Wielands ›Der gepryfte Abraham‹ (1753), wo bereits das Strukturmerkmal akzentuiert ist, dass der Sohn »zum Tode bereit sein muß, damit er dennoch am Leben bleiben kann« (Anthony Stephens, Der Opfergedanke bei Heinrich von Kleist. In: ders.: Kleist. Sprache und Gewalt, Freiburg i.Br. 1999, S. 103–156, hier S. 149f). Kleist belegt diese Option mit der blütencorporalen Differenz von Nelke (wohl kaum zufällig ein Symbol göttlicher Liebe) und Lorbeerkranz (als Zeichen irdischen Ruhmes), deren Berührung schlechthin unberührbar, mithin poetische Metapher wäre.

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  41. Die Rhetorik der Wendung weiß der Himmel‹ als supplementäre Sprache des (verfallenden) Körpers zum Zweck einer Affirmation im Diesseits belegt auch folgende Stelle aus einem Brief Lichtenbergs an Johann Daniel Ramberg vom 18. November 1793: »Wie gerne, wie gerne käme ich zu Ihnen und Ihrem vortrefflichen Sohne, das weiß der Himmel, aber meine Gesundheit ist die alte nicht mehr« (Georg Christoph Lichtenberg, Briefwechsel, hg. von Ulrich Joost und Albrecht Schöne, 4 Bde., München 1983–1992, Bd. 4, S. 185).

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  42. Jean Paul, Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch (im ›Komischen Anhang zum Titan‹). In: Ders.: Sämtliche Werke, hg. von Norbert Miller, Frankfurt a.M. 21996, Bd. I,3, S. 925–1010, hier S. 966.

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  43. Jean Paul, Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch (wie Anm. 91), S. 1010. Die Dichtungsmetapher verdichtet sich auch in Karoline von Günderrodes ›Der Luftschiffer‹, wobei das Moment der Grenze, des Unberührbaren, hinter die mythisch-schicksalshaft eingekleidete Dimension der Sterblichkeit—»Schriften der Sterne«—zurücktritt, die Schrift als ›Kreißsaal‹ des Irdischen: »Habe dem Jrrdischen ganz mich entwand, / Droben die Schriften der Sterne erkant / Und in ihrem Kreißen und Drehen / Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen, / Der gewaltig auch jeglichen Klang / Reißt zu des Wohllautes wogendem Drang. // Aber ach! es ziehet mich hernieder, / Nebel überschleiert meinen Blick, / Und der Erde Gränzen seh ich wieder, / Wolken treiben mich zurük. // Wehe! das Gesetz der Schwere / Es behauptet neu sein Recht, / Keiner darf sich ihm entziehen / Von dem irrdischen Geschlecht.« (Karoline von Günderrode, Sämtliche Werke und ausgewählte Studien, hg. von Walter Morgenthaler unter Mitarbeit von Karin Obermeier und Marianne Graf, Basel, Frankfurt a.M. 1990, Bd. I: Texte, S. 390).—Eine Fluchtperspektive zu Günderrodes Gedicht zeichnet Nietzsches Aphorismus 575 aus der ›Morgenröthe‹, überschrieben mit »W i r Luft-Schifffahrer des Geistes !«, der beinahe trotzig—darin Jean Paul fortschreibend —, auf jeden Fall bis ins Satzbild hinein luftig und fraglos, auf der unendlichen Bahn bleibt, auch wenn der eigene Körper zurückbleibt: »Alle diese kühnen Vögel, die in’s Weite, Weiteste hinausfliegen,—gewiss! irgendwo werden sie nicht mehr weiter können und sich auf einen Mast oder eine kärgliche Klippe niederhocken—und noch dazu so dankbar für diese erbärmliche Unterkunft! Aber wer dürfte daraus schliessen, dass es vor ihnen keine ungeheuere freie Bahn mehr gebe, dass sie so weit geflogen sind, als man fliegen könne!« (Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1999, Bd. 3, S. 331).

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Günter Blamberger Ingo Breuer Sabine Doering Klaus Müller-Salget

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Roussel, M. (2009). »Wie zart sie das zarte berühren«. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2008/09. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00361-4_10

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