Zusammenfassung
bekanntlich ist der Mensch das einzige Tier, das zum Lieben und vor allem zum Weiterlieben Gespräche braucht. Wenn eine Frau einem Mann beiläufig mitteilt, dass sie seine Stimme nicht mehr hören mag, ist es vorbei mit ihrer Liebe. Davon handelt Wilhelm Genazinos 2007 erschienener Roman ›Mittelmäßiges Heimweh‹, vom Martyrium eines Angestellten von 43 Jahren, der von seiner Frau betrogen und mitleidlos aus der Familie hinausgeworfen wird, einsam durch die Frankfurter Bordellviertel streicht und sich zusammenreißt, wenn er seine kleine Tochter wieder sehen darf. Er füllt den Kühlschrank, kauft Geschenke, geht am Samstagnachmittag in den Zoo und am Sonntagvormittag zum Rummelplatz, dann ist die Besuchszeit vorbei und das Kind auf einer Bahnstation halber Strecke zwischen den Wohnorten von Vater und Mutter wieder abzugeben. Nichts Besonderes und Privates wird hier mitgeteilt, sondern eine Erfahrung, die vielen heute gemeinsam und doch schwer auszuhalten ist. Dem identifikatorischen Lesen entgeht man kaum, man könnte vergessen, dass man in einem Roman und nicht in der Wirklichkeit ist, wäre da nicht das unerhörte Ereignis, mit dem der Roman beginnt. Genazinos Helden bricht das Ohr ab, als wäre es aus Glas, es liegt auf dem Boden einer Kneipe herum, aber niemand macht ein Aufhebens davon, wortwörtlich wie metaphorisch, der Held empfindet keinen Schmerz, es dämmert ihm, ich zitiere, dass er seit »ein paar Minuten in einer Tragödie« lebt, aber das ist ihm eigentlich »nichts Neues«, so geht er einfach nachhause, in sein karges Apartment und findet es — wieder Zitat — durchaus »angemessen«, »daß einohrige Menschen in Ein-Zimmer-Wohnungen leben.«
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
lieber Herr Matthes,
lieber und heute zu ehrender Herr Genazino,
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Blamberger, G. (2009). Die Mühen der Ebenen. Dichtung in postheroischen Zeiten. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2008/09. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00361-4_1
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-02280-6
Online ISBN: 978-3-476-00361-4
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