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Elektrische Blitze

Naturwissenschaft und unsicheres Wissen bei Kleist

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Zusammenfassung

Heinrich von Kleist hat wiederholt in seinen Texten auf naturwissenschaftliches Wissen Bezug genommen. Besonders die Elektrizitätslehre und ihre Gesetzlichkeiten tauchen an wichtigen Stellen seines essayistischen Werks auf. Kleist hat, wie dieser Beitrag zeigen soll, versucht, unter den medialen Bedingungen dichterischen Sprechens naturwissenschaftliches Wissen in neuen Erkenntnisgebieten fruchtbar zu machen. Im Besonderen war es die psychische Funktionalität des Menschen, die er aus elektrischen Kausalitäten erklären wollte. Dabei hat Kleist aber nicht bloß inhaltliche Wissenselemente vom einen auf das andere Gebiet übertragen. Vielmehr hat er auch den Modus dieses Wissens und seine epistemologische Valenz, nämlich die konstitutive Lückenhaftigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnis und deren unhintergehbare Vieldeutigkeit, übernommen. Diese Weise der Wissensübertragung hat auch Auswirkungen auf den Wissensstatus und Textcharakter von Literatur gehabt. Die Konsequenzen für die Dichtung und ihre Redeweisen werden besonders deutlich an der Metaphorologie des Blitzes. In radikalster Form hat Kleist diese Zusammenhänge im Text ›Der Griffel Gottes‹ verarbeitet, in dem durch die elektrische Wissenspoetologie des Blitzes auch der Schreibprozess des Schriftstellers neu verhandelt wird.

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Anmerkungen

  1. Benjamin Franklin, Briefe von der Elektrizität [1758], übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Carl Wilcke, eingeleitet und erläutert von John Heilbron, Braunschweig und Wiesbaden 1981 S. 111.

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  2. Zur Analyse des ›Allerneuesten Erziehungsplans‹ und seiner Konsequenzen für den Wissensstatus der Literatur vgl. Roland Borgards, ›Allerneuester Erziehungsplan‹. Ein Beitrag Heinrich von Kleists zur Experimentalkultur um 1800 (Literatur, Physik). In: Literarische Experimentalkulturen. Poetologien des Experiments im 19. Jahrhundert, hg. von Markus Krause und Nicolas Pethes, Würzburg 2005, S. 75–101. Diesem Aufsatz verdankt der vorliegende Text wesentliche Einsichten.

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  3. Diese Differenzierung spielt schon bei der Etablierung der Experimentalphysik durch Robert Boyle eine entscheidende Rolle. Die Legitimation der neuen Wissenschaft als relevantes Wissen erzeugende Disziplin ist dort erkauft durch eine scharfe Grenzziehung zwischen experimentell herstellbaren und validierbaren ›Tatsachen‹ und der erklärenden Theorie, die als Metaphysik den Wahrheitskriterien des experimentellen Wissens nicht genügt; vgl. Steven Shapin, Pump and Circumstance, Robert Boyle’s Literary Technology. In: Social Studies of Science 14 (1984), S. 481–520, hier S. 500–502. to Zu Christian Ernst Wünsch vgl. Christoph Meinel, »Des wunderlichen Wünsch seltsame Reduktion ...«. Christian Ernst Wünsch, Kleists unzeitgemäßer Zeitgenosse. In: KJb 1996, S. 1–32. 13 Zu Kleist und seinem Verhältnis zur wissenschaftlichen Experimentierpraxis vgl. Jürgen Daiber, »Nichts Drittes ... in der Natur?« Kleists Dichtung im Spiegel romantischer Selbstexperimentation. In: KJb 2005, S. 45–66.

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  4. Zur doppelten Entdeckungsgeschichte der Kleistschen bzw. Leidener Flasche durch Ewald Jürgen von Kleist und Pieter van Musschenbroek vgl. Jörg Meya, Otto Sibum, Das fünfte Element. Wirkungen und Deutungen der Elektrizität, Reinbek 1987, S. 64–69.

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  5. Vgl. dazu auch Bernhard Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen. Experimente zum ›Fall‹ der Kunst, Tübingen und Basel 2000, S. 37–51.

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  6. Zur sprachphilosophischen Bedeutung des Textes vgl. die eingehende Analyse von Dominik Pass, Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden. In: KJb 2003, S. 107–136.

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  7. Bernhard Siegert, Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500–1900, Berlin 2003, S. 198.

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  8. Vgl. dazu auch Günter Blamberger, Antiparastatische Genies. Politiken des Privaten in Kleists Essays. In: Politics in Literature. Studies on a Germanic Preoccupation from Kleist to Améry, hg. von Rüdiger Görner, München 2004, S. 25–39, der sich, in Abgrenzung gegen die Klugheitslehren der Moralisten, ebenfalls mit der Zersetzung von ›Wahrheit‹ und deren Auflösung in ›Wahrhaftigkeit der Person‹ und ›Wahrscheinlichkeit der Urteile‹ in Kleists Überlegungen zur Lebensführung befasst.

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  9. Vgl. dazu Andreas Gailus, Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte durchs Sprechen. In: KJb 2002, S. 154–164, hier S. 155; diese Vorgehensweise dokumentiert sich in ›Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden‹ im Überleitungssatz von der Mirabeau-Anekdote zur frei ausgestalteten Lafontaine-Fabel ›Die pestkranken Tiere‹. Dort heißt es: »Doch ich verlasse mein Gleichnis, und kehre zur Sache zurück.« Eine Rückkehr zur Sache aber ist insofern nicht möglich, weil es diese »Sache« im strengen Sinne nicht oder noch nicht gibt, weil sie sich nämlich nur in den Gleichnissen überhaupt in Aspekten darstellt und damit als Gegenstand noch unsicherer Bestimmung und Relevanz konstituiert. Ein Reden über die »Sache« verlangt deshalb die fortgesetzte Digression der Anekdoten (SW9 II, 321).

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  10. Vgl. Otto Lorenz, Experimentalphysik und Dichtungspraxis. Das »geheime Gesetz des Widerspruchs« im Werk Heinrich von Kleists. In: Die deutsche literarische Romantik und die Wissenschaften, hg. von Nicholas Saul, München 1991, S. 72–90;

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  13. Herminio Schmidt, Heinrich von Kleist. Naturwissenschaft als Dichtungsprinzip, Bern und Stuttgart 1978, S. 57–95.

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  14. Vgl. Jürgen Schröder, Kleists Novelle ›Der Findling‹. Ein Plädoyer für Nicolo. In: KJb 1985, S. 109–127, hier S. 121–125.

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  15. Zu dieser spezifischen Form von ›Gedankenexperiment‹ vgl. Sigrid Weigel, Die Funken der Bilder und der Experimentalphysik im Zeitalter der Gefühle. Zur Inszenierung affekttheoretischer Umbrüche in Kleists Erzählung »Der Findling«. In: Dies., Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin, München 2004, S. 173–191, sowie Sigrid Weigel, Das Gedankenexperiment: Nagelprobe auf die ›facultas fingendi‹ in Wissenschaft und Literatur. In: Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur, hg. von Thomas Macho und Annette Wunschel, Frankfurt a.M 2004, S. 183–205.

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  16. Meya, Sibum, Das fünfte Element (wie Anm. 18), S. 82–95; Michael Brian Schiffer, Draw the Lightning Down. Benjamin Franklin and Electrical Technology in the Age of Enliehtenment, Berkelev Los Aneeles und London 2003.

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  17. Dies belegen die entsprechenden Einträge in den Wörterbücher zu Kleists Werken; vgl. Helmut Schanze, Wörterbuch zu Heinrich von Kleist. Sämtliche Dramen und Dramenvarianten, Nendeln 1978, S. 61 (Blitz), 461 (Strahl), 552 (Wetterstrahl);

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  18. Helmut Schanze, Wörterbuch zu Heinrich von Kleist. Sämtliche Erzählungen, Anekdoten und kleine Schriften, 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Tübingen 1989, S. 71 (Blitz), 112f. (elektrisch, Elektrizität), 371 (Strahl).

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  19. Kleist hat sich in den ›Berliner Abendblättern‹ mehrfach mit dem Experimentalwissen der Zeit auseinandergesetzt; vgl. dazu Roland Borgards, Experimentelle Aeronautik. Chemie, Meteorologie und Kleists Luftschiffkunst in den ›Berliner Abendblättern‹. In: KJb 2005, S. 142–161, und Sibylle Peters, Die Experimente der ›Berliner Abendblätter‹. In: KJb 2005, S. 128–141.

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  20. Vgl. Olaf Briese, Die Macht der Metaphern. Blitz, Erdbeben und Kometen im Gefüge der Aufldärung, Stuttgart und Weimar 1998, S. 17–34; Eybl, Gottes Griffel (wie Anm. 35), S. 72f.

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  21. So auch Eybl, Gottes Griffel (wie Anm. 35), S. 78. Zur Lektüreproblematik in ›Der Griffel Gottes‹ vgl. auch Bianca Theisen, Bogenschluß. Kleists Formalisierungen des Lesens. Freiburu i. Br. 1996, S. 95–99.

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  22. Fabian Dierig, Zu ›Der Griffel Gottes‹. In: Brandenburger Kleist-Blätter 11 (1997), C 11,9R hiP. C 17F

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  23. Vgl. Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch (im Folgenden DWB1, 16 Bde., Leipzie 1854–1954, Bd. XXVI, Sp. 1019f.

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  24. Die leitende Qualität der Metalle war seit Stephen Grays Arbeiten der 1730er Jahre eine allgemein bekannte Tatsache; vgl. Friedrich Steinle, Wissen, Technik, Macht. Elektrizität im 18. Jahrhundert. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, hg. von Richard van Dülmen und Sina Rauschenbach, Köln, Weimar und Wien 2004, S. 515–537, hier S. 519f.

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Günter Blamberger Gabriele Brandstetter Ingo Breuer Sabine Doering Klaus Müller-Salget

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Gamper, M. (2007). Elektrische Blitze. In: Blamberger, G., Brandstetter, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2007. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00319-5_19

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