Zusammenfassung
»Il ne faut pas pardonner, il faut comprendre« — Cosimas stolze, harte, von Mitleid so wenig wie von Selbstmitleid getrübte Entgegnung auf das Verzeihensangebot des Mannes, dessen Name sie noch trug, ist diesem zeitlebens auf die Stirn gebrannt geblieben. Dennoch, so meint man, müßte er als Musiker groß genug gewesen sein, daß eine Würdigung auch ohne die oft erzählte Ehekatastrophe sollte auskommen können. Sie kann es nicht: denn der Treubruch betraf sein Selbstverständnis zu sehr, zu tief, um nicht auch in die Geschichte der musikalischen Interpretation zu gehören. Der sich selbst als ein durch Wagner Erweckter, zu bedingungsloser Dienstschaft an einer Sache bekannte, die der Meister stets mit seiner Person ineins zu setzen wußte, sah sich zu denkbar schlimmer Treueleistung gezwungen; der Träger eines großen Namens mußte in aller Öffentlichkeit nahezu ein mit seiner Frau vollzogenes ius primae noctis hinnehmen und berufshalber die Hörner des düpierten Ehemanns in Europas und Amerikas Konzertsälen vorzeigen. Und als Opfer dieses prominentesten Ehebruchs des Jahrhunderts traf es in ihm einen Mann, dem das Bewußtsein, von sich aus wenig zu sein und alles aus sich machen zu müssen, eine sehr preußische Empfindlichkeit in Ehrendingen zum Übermaß gesteigert hatte; Cosimas Wort mußte er auch verstehen als Hinweis, daß ihm zu verzeihen nicht zustünde.
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Gülke, P. (2006). »Nicht verzeihen: begreifen«. In: Auftakte — Nachspiele. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00165-8_10
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00165-8_10
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-02122-9
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