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Wassermänner, Sirenen und Andere Monster

Fabelwesen im Spiegel von Kleists ›Berliner Abendblättern‹

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Zusammenfassung

In den ›Berliner Abendblättern‹ findet sich unter dem Datum des 10. Dezember 1810 die Bemerkung, man könne »die Menschen in zwei Klassen abtheilen; in solche, die sich auf eine Metapher und 2) in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus« (BKA II/7, 310). Die Rede ist von zwei Wissensdiskursen; sie zu unterscheiden impliziert ein Wissen höherer Ordnung, nämlich um die Abhängigkeit alles Gewußten von seiner jeweiligen Darstellungsform. Ein solches kritisches Bewußtsein von der Bedingtheit des Wissens ist spezifisch für die Moderne. Es gibt, so hat spätestens Kants Vernunftkritik verbindlich festgehalten, kein absolutes Erkennen, und Wissen ist stets geprägt durch die Strategien und Formen seiner Repräsentation, seiner Fixierung und Übermittlung. Wer sich der Metaphern oder aber der Formeln bedient, verpackt nicht einen vorgegebenen Inhalt in eine äußere Form, sondern die jeweilige Darstellungsform ist die Gestalt des Wissens selbst. Gerade im Bereich der Mathematik ist dies evident; sind doch geometrische und algebraische Gegenstände identisch mit ihren Formeln. Die dazu komplementäre Einsicht, daß auch »Metaphern« etwas anderes sind als auswechselbare äußere Verhüllungen von Aussagen, die im Grunde genausogut auch ›unverhüllt‹ gemacht werden könnten, ist ein Kernstück des sprachreflexiven Diskurses, der von Hamann und Herder ausgehend in die romantische Hermeneutik und Sprachphilosophie hineinführt.

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Anmerkungen

  1. Helmut Sembdner hatte die verwendeten Textgrundlagen 1939 zunächst im ›Museum des Wundervollen‹ vermutet, das Kleist wiederholt zu analogen Zwecken genutzt hat. Helmut Sembdner, Die Berliner Abendblätter Heinrich von Kleists, ihre Quellen und ihre Redaktion, Berlin 1939; sowie Helmut Sembdner, In Sachen Kleist. Beiträge zur Forschung, München 1974, hier S. 102–120: Zu einigen Beiträgen der ›Berliner Abendblätter‹ (Abhandlungen von 1950 und 1953). — Sembdner selbst hat 1950 seine Einschätzung korrigiert, dabei klargestellt, das ›Museum‹ biete keineswegs alle Quellen, und seine neuen Erkenntnisse dargestellt.

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  2. Siehe dazu den Aufsatz Helmut Sembdner, Neue Quellenfunde zu Kleists ›Berliner Abendblättern‹. In: Euphorion 45 (1950), S. 473ff., sowie ders., Zu einigen Aufsätzen der ›Berliner Abendblätter‹, In: Ders., In Sachen Kleist, S. 111. –

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  3. Vgl. dazu auch Friedrich Strack, Heinrich von Kleist im Kontext romantischer Ästhetik. In: KJb 1996, S. 201–218, insbes. S. 214/215 (Anm. 59).

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  4. Vgl. Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a.M. 1993, Kap. I: ›Seefahrt als Grenzverletzung‹, S. 9.

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  5. Friedrich Freiherr de la Motte-Fouqué, Undine. In: Ders., Werke, hg. von Walther Ziesemer, Hildesheim u.a. 1973.

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  6. Ludwig Tieck, Die Elfen. In: Ders., Werke, hg. von Gotthold Ludwig Klee, Bd. 2, Leipzig und Wien 1892.

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  7. E.T.A. Hoffmann, Der goldne Topf. In: Ders., Gesamtausgabe in 15 Bänden, hg. von Walter Harich, Bd. 3, Weimar 1924.

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  8. Hans Christian Andersen, Den lille Havfrue. In: Ders., Eventyr, fortalte for Börn 1835–42, hg. von Erik Dal und Erling Nielsen, Bd. 1, Kobenhavn 1963, S. 87–106.

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  9. Oscar Wilde, The Fisherman and his soul. In: Ders., Stories, hg. von G. F. Maine, London und Glasgow 1964, S. 303–330.

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  10. Johann Wolfgang von Goethe, Die neue Melusine. In: Ders., Werke. Hamburger Ausgabe, 14 Bände, hg. von Erich Trunz, Bd. 8, München 1981, S. 354–376.

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  11. Vgl. etwa Heinrich Heine, Elementargeister. Studie, entstanden 1835/36, erschienen in: Der Salon, Bd. III, Hamburg 1837. In: Ders, Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr, Bd. 9, Hamburg 1987, S. 9–64.

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  12. Richard Ellis, Seeungeheuer. Mythen, Fabeln und Fakten, aus dem Amerikanischen von Monika Niehaus-Osterloh, Basel, Boston und Berlin 1997 (Orig.: Monsters of the Sea, New York 1994), hier S. 8: »Als ich den verschlungenen Spuren der Seeungeheuer nachzuspüren begann, erwartete ich, auf wilde und hysterische Übertreibungen zu treffen, doch statt dessen stieß ich auf eine überraschend schlüssige Berichterstattung, in der sich Sichtungen von Monstern wie ein breites Band durch die Jahrhunderte zogen und zu einem erkennbaren Muster zusammenfügten.«

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  13. Vgl. zum Folgenden: Klaus J. Heinisch, Der Wassermensch. Entwicklungsgeschichte eines Sagenmotivs, Stuttgart 1981. Über Nicola Pesce berichtet früh bereits der Franziskaner Salimbene de Adam aus Parma (1221–1287). Berichtet wird hier, daß Kaiser Friedrich II. den tüchtigen Taucher Nicola gegen dessen Willen mehrfach auf den Grund des Faro geschickt habe, bis dieser von dort nicht zurückgekehrt sei (vgl. S. 38f.). Heinisch kommentiert Texte humanistischer Provenienz, darunter Schriften von Johannes Jovianus Pontanus (1426–1503), Raphael Maffei (1455–1522) und Johannes Ludovicus Vives (1492–1536/44) und bemerkt: »Nach allem, was sich von der Geschichte Nicolas bisher herausgestellt hat, scheint es verhältnismäßig gleichgültig zu sein, daß er, der ja schon Jahrzehnte vor Kaiser Friedrich II. (1215–1250) bekannt war, nun plötzlich erst unter König Friedrich II. (III., 1296–1336), dem Sohne Peters III. von Aragon und König Manfreds Tochter Constanze, gelebt haben soll. Wichtig ist der ›neue Ton‹, in dem von ihm […] gleichsam wie von einem wunderbaren Ungetüm oder Ungeheuer (monstrum) gesprochen wird.« Alexander ab Alexandro berichtet über den Taucher in seinem Werk ›Dies geniales‹ (III. Buch, 8. Kapitel) anläßlich der »Wunder der Tritonen und Nereiden, die man zu unserer Zeit an verschiedenen Orten gefunden hat« (Alexandri ab Alexandro iurisperiti Neapolitani Genialium Dierum livri VI, Moguntiae 1604, fol. 113v–134r; textidentisch mit einer Pariser Ausgabe von 1532; vgl. Heinisch 60). Fünfzig Jahre später erweitert und publiziert der sevillanische Autor Pedro Mejía (gest. 1552) die Schrift Alexanders. Wiederum 100 Jahre später trifft man den Meermann bei Cervantes im II. Teil des ›Don Quijote‹, 18. Kapitel: zu den Tugenden eines edlen Ritters gehört neben Kenntnissen in vielen Wissenschaften auch die Fähigkeit, zu schwimmen, »wie Nicolas oder Nicolao Pesce es konnte« (saber nadar come dicen cha nabada el peje Nicolas ò Nicolao); zit. nach Heinisch, S. 61.

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  14. Benjamin Hederich, Artikel ›Triton‹. In: Ders., Gründliches mythologisches Lexikon, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1770. Darmstadt 1996, Sp. 2404–2405.

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  15. Vgl. Giorgio Agamben, Das Offene. Der Mensch und das Tier, Frankfurt a.M. 2003, S. 35.

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  16. Zu Recht hat etwa Hans Richard Brittnacher anläßlich seiner Überlegungen zu Ulisse Aldrovandis ›Historia monstrorum‹ (1557) auf die Affinität dieses »Kompendium(s) der Abweichungen und Überschreitungen« zum Holzschnitt hingewiesen. Hans Richard Brittnacher, Ästhetik des Horrors, Frankfurt a.M. 1994, S. 190.

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Schmitz-Emans, M. (2005). Wassermänner, Sirenen und Andere Monster. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2005. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00148-1_12

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00148-1_12

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