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Zusammenfassung

„Grüße alle und besonders Deine Frau vom Tartuffe. Sie hat keinen schlechten Blick, aber zu konzentriert, sie sieht nur den Kern; den Ausstrahlungen zu folgen, die ja eben den Kern fliehen, ist ihr zu mühsam“, so heißt es in einem Brief vom September 1917 (B 162). Der Tartuffe schreibt seinen Brief an Max Brod aus Zürau, wohin er gefahren ist, um sich auf dem Hof seiner Schwester Ottla zu erholen. Die Tuberkulose, die in der Nacht vom 9. auf den 10. August mit einem Blutsturz ganz plötzlich zum Ausbruch gekommen war, hatte ihn von der Verpflichtung, ein gesunder, normaler Mensch zu sein, der hätte heiraten sollen, um sein Leben mit einer Frau zu teilen, freigesprochen. Sein bester Freund hatte sich schon überall einen Namen gemacht mit seinem aggressiven Zionismus, der das Heil eines aktiven Lebens im Dienste der Gemeinschaft predigte. Er selbst war aufgrund einiger grausamer, schockierender Erzählungen bekannt geworden; jetzt hatte er das Recht, aufgrund seiner Krankheit in ungestörter Abgeschiedenheit zu leben. Nach seinem Weggang aus Prag, wo er sich unter dem moralischen und ideologischen Druck des Zionismus und der bürgerlichen Gesellschaft veranlaßt gesehen hatte, seinen Lebensweg über die Ehe zu nehmen, hatte er sich nun aufs Land zurückgezogen — „weit von der Bahn, nahe dem unauflösbaren Abend, der herunterkommt, ohne daß sich jemand oder etwas im geringsten gegen ihn wehrt“ (B 164). Diese Einsamkeit, schreibt er zur gleichen Zeit an Max Brod, könne nur dann gut sein, wenn sie keine Selbsttäuschung oder falsche Hoffnung bedeute. Aber wie kann ein vierunddreißigjähriger Mann mit „höchst fraglichen Lungen und noch fraglicheren menschlichen Beziehungen“ an die heilende Kraft eines Lebens in ländlicher Abgeschiedenheit glauben? Für viel wahrscheinlicher hält er es selbst, daß sein Blut ihn dazu verlockt, seinem Onkel Siegfried nachzueifern, der als Landarzt ein eigentümliches Junggesellendasein führt — „auf dem Lande, unausreißbar, zufrieden, so wie einen eben ein leise rauschender Irrsinn zufrieden machen kann, den man für die Melodie des Lebens hält“ (B 164). Zwischen die Hoffnung auf die wohltuende Einsamkeit und die Wahrscheinlichkeit, daß sie sich schlecht auswirkt, drängt sich immer die Figur des Vaters. „Willst Du Bestätigung“, schreibt er in demselben Brief an Brod, „ist gleich der Fluch des Vaters da; wunderschöner nächtlicher Anblick, wenn die Hoffnung mit dem Vater kämpft“ (B 164).

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© 1994 Springer-Verlag GmbH Deutschland

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Baioni, G. (1994). Der Tartuffe. In: Kafka — Literatur und Judentum. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00019-4_7

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01223-4

  • Online ISBN: 978-3-476-00019-4

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