Zusammenfassung
1788, ein Jahr vor der Französischen Revolution, sehen wir Wielands Vertrauen in die Wirkung aufgeklärter Feudalismuskritik erschüttert. Er begreift, wie wenig sie auch dort, wo sie schonungslos gesellschaftliche Mißstände bloßlegte, ihren Zweck erreicht hat. »Voltaire selbst glaubte das große Werk zu Stande gebracht zu haben, rasselte mehr als Einmahl auf dem windigen Triumfwagen der Vana Gloria über die Dummköpfe seines Zeitalters weg, schleppte die Bilder des Aberglaubens, der Intoleranz, der Religionswuth an die Räder desselben gefesselt hinter sich her — und glaubte diese Ungeheuer selbst auf ewig entwaffnet und gefesselt zu haben!« [2] Wielands Hoffnung auf eine gelingende Reformation des Bestehenden endet dort, wo sich der Skeptiker zu Wort meldet. Er ist ehrlich genug, seine aufklärerischen Voraussetzungen anzuzweifeln. Indem die gesellschaftlichen Zustände seinen Glauben an die ungetrübte Verbreitung der Vernunft eines Bessern belehren, sieht er seine Epoche in eine allgemeine Erschütterung und einen Umsturz der alten Ordnung auslaufen; wobei er allerdings, wie er nachträglich vermerkt, von der Nähe dieses Zeitpunkts sich »wenig träumen ließ«. [3]
Ganz gewiß giebt es nur Eine Art von wünschenswürdiger Reformazion des gegenwärtigen politischen Zustandes der Völker, nehmlich, diejenige, die eine natürliche Folge der stillen und wohlthätigen Revoluzion der Begriffe, Meynungen und Gesinnungen ist, welche durch die stufenweise Fortschritte der Vernunft in den Köpfen und Gemüthern der Menschen bewirkt wird. [1]
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Anmerkungen
AA I 15; S. 439
AA I 15; S. 113
AA I 15; S. 136, Anm.
AA I 15; S. 136
H 33; S. 97
H 32; S. 55
Ein »gewaltsamer Zustand kann nicht lange dauren. Der Körper, der von solchen Convulsionen erschüttert und zertrümmert wird, muß unter irgend einer Gestalt wieder in Ruhe und Ordnung kommen. Alles nimmt dann wieder einen gesetzmäßigen ruhigen Gang. Die Freyheit wird wieder in ihre Schranken gesetzt; und in dem Moment, da die alte Verfassung wieder hergestellt, oder eine neue festgesetzt ist, hört das Recht sie zu untersuchen und zu kontrolliren auf.« (AA 22; S. 495)
Rambaldi beschreibt diesen Widerspruch als Krise in Wielands gemäßigter Aufklärungsphilosophie. Sie könne durch die Unmöglichkeit charakterisiert werden, die Entscheidungen der Konstituante theoretisch zu widerlegen und zeige sich »in einer Spaltung, die den Autor veranlaßte, zumindest teilweise politischen Maßnahmen Recht zu geben, die er praktisch fürchtet und zurückweist, eine Spaltung, die sich bis in den literarischen Stil fortsetzt.« (cf. E. Rambaldi, S. 305)
Quando scoppio la rivoluzione la crisi dell’ illuminismo politico settecentesco era dunque in atto. La caratteristica fondamentale dei rivoluzionari, di far seguire gli atti alle parole ed agli scritti, rappresentava qualche cosa di qualitativamente nuovo rispetto al lungo travaglio teorico che l’aveva preparata.« (Rambaldi, S. 285) Am Beispiel Georg Forsters hat W. Rödel gezeigt, welcher Voraussetzungen es bedurfte, um die Illusion eines kampflosen Sieges der Vernunft zugunsten eines persönlichen Engagements für die Sache der Revolution aufzugeben. »Am deutlichsten wird das in einem Brief Forsters an Heyne vom 5. Juni 1792: »… so bekenne ich gern, daß ich allemal lieber für als wider die Jacobiner bin, man mag gegen sie toben wie man will […].« Forster überspringt in diesem Brief zum erstenmal mit aller Konsequenz die Grenze, die der Beurteilung der Revolution durch das bloße Vertrauen auf die Wirksamkeit der Vernunft gezogen war.« (W. Rödel, Forster und Lichtenberg; S. 129 f.)
Als eine dieser großen Revolutionen hat Wieland die Reformation verstanden, deren führende Vertreter nur ausführten, was ohnehin und vielleicht um einen geringeren Preis als die Opfer der Reformationskriege gekommen wäre. »Die Vorsehung bediente sich Luther und seiner Gehülfen, um eine Reformation zu bewirken.« (cf. AA 22, S. 493), schreibt er 1799. Es bleibt für ihn zweifelhaft, daß sie so handeln mußten, und ob sie nicht die verheerenden Folgen der Glaubenskämpfe hätten verhindern können, wenn sie sich wie Erasmus gemäßigt und nicht durch Parteilichkeit, »persönliche Leidenschaften«, »ungestüme Hitze« hätten hinreißen lassen. »Ist es nicht Weisheit, sich in einer freien Wirksamkeit zu erhalten, so lange man hoffen kann (und wer kann gleich sagen, wie lange dies zu hoffen ist?), daß Ruhe und Ordnung unter gemeinnützlichen Bedingungen noch ohne Bürgerkrieg und Auflösung aller Bande des gemeinen Wesens so wieder hergestellt werden könnten?« (H 35; S. 332)
AA I 15; S. 454 f. und S. 601
AA I 15; S. 220
AA I 15; S. 114
AA I 15; S. 216
AA I 15; S. 218
AA I 15; S. 217
»Der Kosmopolit befolgt alle Gesetze des Staats worin er lebt, deren Weisheit, Gerechtigkeit und Gemeinnützigkeit offenkundig ist, als Weltbürger und unterwirft sich den übrigen aus Nothwendigkeit.« (AA I 15; S. 217 f.) Diese Haltung wird von Wieland agnostizistisch gerechtfertigt. Über den Gang der Notwendigkeit lassen sich keine Aussagen machen. (cf. AA I 15; S. 114 u. 220)
AA I 15; S. 221
AA I 15; S. 220
cf. A. Baumgarten, Helvetius; S. 7. Wie wenig selbst die konsequent in politischen Kategorien denkenden französischen Aufklärer an einer revolutionären Veränderung bestehender Herrschaftsstrukturen interessiert waren, hat F. A. Aulard ausführlich belegt. Der Möglichkeit einer Demokratie begegneten sie mit größter Skepsis. (s. F. A. Aulard, Politische Geschichte der Französischen Revolution; S. 19 ff.)
cf. H 31; S. 37. Zwar ist Wieland überzeugt, daß die Menschheitsentwicklung unaufhaltsam voranschreite, zugleich bleibt er aber dem Neuen gegenüber grundsätzlich skeptisch. Fortschrittsoptimismus und skeptizistische Geschichtsauffassung schließen einander nicht aus. »Der Rationalismus kehrt sich gegen sein eigenes Prinzip und schlägt immer wieder in die Skepsis zurück.« (Th. W. Adorno und M. Horkheimer, Dialektik der Aufklärung; S. 18)
AA I 15; S. 675, Anm.
AA I 15; S. 114
cf. Ratz, S. 494
cf. Sengle, S. 452
AA I 15; S. 223
AA I 15; S. 226
Merck, S. 562
AA I 15; S. 349
cf. Mombert, S. 160 f.
H 19; S. 34
H 19; S. 35
AA I 15; S. 136
Rehberg: Über den Adel; S. 213
Garve: Versuche; S. 279
Garve, ebd.
Jacobs: Der Roman der schönen Gesellschaft; S. 12
Horn: Wielands Briefe an Sophie von La Roche; S. 223
AA I 15; S. 108
AA I 15; S. 558
s. AA I 15; S. 438. Wieland liebt es, das Volk als ratlosen, begriffsstutzigen Haufen hinzustellen. cf. H 33; S. 361
Gerade die saubere Scheidung der »Klassen« gehört zu den bevorzugten Maßnahmen des idealen Staatsmanns Tifan im Goldenen Spiegel: »Auch Tifans Policeygesetze waren bewunderungswürdig. Alle Einwohner des Reichs waren claßificirt, und sowohl die Pflichten als die Gerechtigkeiten einer jeden Classe waren genau bestimmt.« (Iselin in seiner Rezension des Goldenen Spiegels; ABD 1772, Bd. 18, 2. St.; S. 347)
AA I 15; S. 97
H 32; S. 40
AA I 15; S. 436
AA I 15; S. 95
AA I 15; S. 99 f.
»Nicht die Emanzipation des Geistes, sondern die Emanzipation der gesellschaftlichen Bedürfnisse und Interessen stellt das eigentliche Problem dar. […] Die Befreiung des Geistes konnte noch mit dem Gefühl der Aufklärung und des Fortschritts verbunden werden. Die Befreiung der Bedürfnisse läßt das Problem in einem dunklen Lichte erscheinen.« F. Jonas, Geschichte der Soziologie, Bd. 1; S. 73
AA I 15; S. 96
Wieland hat, wenn er von der unumgänglichen Interessenidentität Herrscher-Beherrschte spricht, gerade auch an Deutschland gedacht, über dessen Fürsten allerdings schon ein Zeitgenosse, ein Graf von Manteuffel, folgendes Urteil abgibt: »Deutschland wimmelt von Fürsten, von denen drei Viertel kaum gesunden Menschenverstand haben und die Schmach und Geißel der Menschheit sind.« Und E. Fuchs, dessen Sittengeschichte ich dieses Zitat entnehme, kommentiert: »Wie das Negative, so erschließt nun die deutsche Bettelwirtschaft auch das einzig Positive, nämlich die leider nicht zu bestreitende Tatsache, daß die Rohheit der deutschen Fürstengeschlechter ebenfalls von ganz besonderer Art war und in keinem Lande ihresgleichen findet. Diese stupide Rohheit, die im Zeitalter des Absolutismus auf den meisten deutschen Fürstenthronen saß, erfüllte schon damals alle Einsichtigen mit Schauder und Entsetzen.« E. Fuchs, Sittengeschichte, II; S. 70
H 32; S. 36
AA I 15; S. 102
AA I 15; S. 434 f.
AA I 15; S. 599
AA I 15; S. 424 u. 434
cf. H 33; S. 118
cf. AA I 15; S. 101
cf. AA I 15; S. 333
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Weyergraf, B. (1972). Der politische Aufklärer. In: Der Skeptische Bürger. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00004-0_1
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