Zusammenfassung
Montesquieu, der 1689 in der Nähe von Bordeaux geboren wurde und 1755 in Paris verstarb,1 lebte zu einer Zeit, die bemerkenswerte Parallelen zu dem historischen Kontext des Juan de Mariana aufweist.2 Mit dem Pyrenäenfrieden 1659 trat Frankreich Spaniens Nachfolge als erste Macht in Europa an. Das „el siglo de oro“ wurde durch das „grand siècle“ abgelöst; der Hof in Versailles trat alsbald an die Stelle des Eskorial; die Rolle des ersten Mannes wurde nunmehr mit Ludwig XIV. besetzt. Doch wie Karl V. und Philipp II. zuvor in Spanien versuchten nun auch die französischen Premiers, die Kardinäle Richelieu und Mazarin, bzw. ab 1661 der König allein, aus einer Vielzahl mehr oder weniger unabhängiger Provinzen eine Nation zu bilden,3 welche sich zentral vom königlichen Palast aus regieren ließe.4 Dieses Ziel war gleichbedeutend mit einer Entmachtung der Adeligen, welche in den Provinzen bisher maßgeblich waren und die sich als Hüter der staatlichen Fundamentalgesetze sahen.5 An diese habe sich ihrer Meinung nach der König zu halten, was die absolutistische Gegenposition selbstverständlich ganz anders sah.6
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Literatur
Zur Biographie Montesquieus vgl. Göhring (1956); Shackleton (1961); Desgraves (1992).
Zum ereignisgeschichtlichen Kontext vgl. Barudio (1987) S.87ff., Tapié (1991), Mandrou (1992), Hinrichs (1997b).
Kamen (1997) S.36+19 illustriert diesen Sachverhalt mit dem Hinweis, daß noch 1660 die rebellische Stadt Marseille Spanien um Hilfe gegen Ludwig XIV. gerufen hatte; oder daß ein Pariser in Südfrankreich für die einfachsten Bedürfnisse einen Dolmetscher brauchte.
Das stehende Heer wurde ausgebaut, und die Gouverneure des Adels in den Provinzen wurden durch königliche Beamte, sogenannte Intendanten, die zumeist dem Bürgertum entstammten, entmachtet; vgl. Barudio (1987) S.114f. sowie Tapié (1991) S.298, 327 und 345.
Zum politisch-ideengeschichtlichen Kontext vgl. Barudio (1985), Fetscher (1985d), Schwan (1991a), Reinhard (1996).
Ebenso Muhlack (1989) S.42, Schuckert (1957) S.XVIf., Theis (1972) S.332, Schlosser (1990), Schwan (1991a) S.207f., Desgraves (1992) S.111f., Böhlke (1996).
Zu den „Persische Briefe“ vgl. Schnelle (1959), Theis (1972), Dieckmann (1974).
Vgl. Prosperi (1997); zum geistesgeschichtlichen Kontext Keller (1965), Friedell (1995/6) S.409ff., Villari (1997a).
Levack (1997) S.260; vgl. Weigand (1989) S.3; Starobinski (1995) S.60; Hereth (1995) S.15f.
Schlosser (1990) S.15f. erinnert an das besondere Interesse der französischen Elite an Persien; 1647 erschien eine französische Übersetzung des Koran, 1687 die der Werke des Konfuzius und ab 1712 die Märchen aus 1001 Nacht. Im Vergleich zu den „Wilden“ in Amerika begegnete man der persischen Kultur angesichts ihres Entwicklungsstandes mit neugierigen Respekt.
Burke (1996a) S.174 und Keller (1968) S.50; vgl. Kondylis (1996) S.15f und Keller (1965) S.366 beschreibt die Methode als geometrisch, experimentell, genetisch und vergleichend.
Schuckert (1957) S.XIII; nach Weigand (1989) S.4 sieht Montesquieu die Welt nicht als ein mechanisches Spiel von Atomen, sondern als ein sinnhaltiger Ausdruck von Weltvernunft.
Vgl. Schuckert (1957) S.XVII+XXIVf; Schnelle (1959) S.14; Desgraves (1992) S.294.
Zum „Vom Geist der Gesetze“ vgl. Krauss (1956), Keller (1965) und Schunck (1968). Zu möglichen Einteilungen des Werkes vgl. Aron (1972) S.26; Reinhard (1996) S.334; Kondylis (1996) S.17f.
Vgl. Morkel (1966) S.26f., Skirbekk (1993) S.451; Hereth (1995) S.23f+56 und Kondylis (1996) S.39–70. Da die positiven Gesetze weder als völlig willkürlich noch als gegeben gesehen werden, vergleicht sie Weigand (1989) S.10 mit grammatischen Regeln.
Die Ablehnung Hobbes‘schen Absolutismus nimmt bei Montesquieu eine zentrale Stellung ein; vgl. Krauss (1956) S.10; Vollrath (1977) S.399; Falk (1986) S.48; Desgraves (1992) S.227; Starobinski (1995) S.92; Hereth (1995) S.49; Kondylis (1996) S.55.
Vgl. „GdG XXV,13; PB Nr.29,57, 75+134; Bet.201; GWL,S.42; Thomasseau (1977), Prosperi (1997).
Zum Gesetzesbegriff vgl. Aron (1972) S.51, Maier (1964) S.272f., Falk (1986) S.51f.; Weigand (1989) S.15–19, Kipke (1996) S.112f; Kondylis (1996) S.39–70.
Vgl. Desgraves (1992) S.279+304, Keller (1968) S.57–62, Imboden (1959) S.2, Keller (1965) S.362 und das Vorwort „Vom Geist der Gesetze“.
Weigand (1989) S.27+77. Keller (1968) S.33. Vgl. Voltaire: „Labyrinth ohne Faden“.
Zur Erschließung der Sekundärliteratur vgl. Desgraves (1987), Klapp (1956) bis (1985), Klapp-Lehrmann (1986) bis (1996) sowie The Philosopher‘s Index (1997).
Weigand (1989) S.29: Der Mensch sei für Montesquieu das „Unveränderliche im Veränderlichen“ gewesen.
Vgl. Schuckert (1957), S.XVI+XVIII, Morkel (1966) S.30, Jonas (1968) S.21, Schalk (1977) S.231, Weigand (1989) S.29, Hereth (1995) S.22, Böhlke (1996) S.124. Anderer Meinung ist Hennis (1960) S.10f.
Ebenso Keller (1965) S.385, Anm.111; Morkel (1966) S.25; Aron (1972) S.43f.+46; Weigand (1989) S.63.
Dies ist nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln, da sich nach Montesquieu über die Natur des Menschen nicht streiten lasse; vgl. Desgraves (1992) S.389.
Aron (1972) S.51: Diese höchsten Gesetze seien die Gesetze der Vernunft und gründeten „auf der natürlichen Gleichheit und den gegenseitigen Verpflichtungen, die aus dieser grundlegenden Gleichheit erflieBen.“
Ebenso Keller (1965) S.389, Anm.128. Dafür, daß nach der Ansicht Montesquieus die Menschen eigentlich tugendhafter sein wollen, als sie es im Alltag sind, spricht auch das Zitat: „Menschen sind zwar im kleinen oft Spitzbuben, aber im großen und ganzen doch ehrenhafte Leute; sie lieben die Moral“ (GdG XXV,2).
Zu den republikanischen Regierungsformen vgl. Stourzh (1965) und Carrithers (1991). Nach Chaimowicz (1985) S.17 bezeichnet Montesquieu mit Republik nur die entsprechenden politischen Systeme der Antike. Spätestens durch seine Italien-Reise im Jahre 1728 sei er über die Tugendhaftigkeit real-existierender Republiken desillusioniert worden; vgl. Schunck (1968) S.I21; Desserud (1991) S.620, Anm.67; Desgraves (1992) S.212+311.
Zunächst kann kein Zweifel bestehen, daß Montesquieu mit „gemäßigte Regierungsformen“ alle Nicht-Despotien meint; denn er schreibt z.B.: „Es entsteht kein Nachteil, wenn ein Staat von der einen gemäßigten Regierungsform zu einer anderen, z.B. von der Republik zur Monarchie oder von der Monarchie zur Republik übergeht“ (GdG.VIII,8; vgl. VI,2+9). Ebenso Aron (1972) S.31.
Diesen Optimismus in die Leistungsfähigkeit von Institutionen kommentiert Hereth (1995) S.97 mit dem Vorwurf, Montesquieu hänge einem „blinden Institutionenglauben“ an.
Montesquieu betont, daß es sich bei der republikanischen Tugend um ein Gefühl handelt und nicht die Folge von Kentnissen (GdG.V,2). Dazu Stourzh (1965) S.249: „Der Primat des Gefühls… über die Vernunft ist jener ausschlaggebende Aspekt von Montesquieus Menschenbild, der es von der aristotelisch-thomistischen Tradition unterscheidet“.
Nach Lange (1980) S.226 hat Montesquieu mit seinen Äußerungen zur Monarchie das Ideal einer gemäßigten französischen Monarchic entwerfen wollen. Ebenso Schlosser (1990) S.9.
Vgl. Desgraves (1992) S.79. Aron (1972) S.37 schrieb: „Es ist eine Ironie des Schicksals, daß er sich gegen den König wendet, um den Adel zu unterstützen, und dabei nur die Sache des Volkes fördert.“ „Er ist niemals ein Verfechter der Gleichheit und noch weniger der Volkssouveränität“ (ebd. S.56). Ebenso Dietrich (1958) S.51; Knoll (1972); Schalk (1977) S.249; Fetscher (1985c) S.448 und Kondylis (1996) S.96. Einschränkend Troper (1989); ablehnend Vollrath (1977) S.407. Vgl. Schlosser (1990) S.5f.
Vgl. Falk (1986) S.54, Kuhfuß (1975) S.79+82, Chaimowicz (1985) S.2 und Weigand (1989) S.55.
Vgl. auch Aron (1972) S.36f.; Schalk (1977) S.232; Kondylis (1996) S.75+93.
Zum Prinzip der Gewalten(ver)teilung vgl. Imboden (1959), Kluxen (1969).
Das vielleicht wichtigste Kapitel im Werk Montesquieus ist auch eines der längsten. Zwecks einer besseren Nachvollziehbarkeit der Analyse bin ich dem Vorschlag von Riklin (1989) S.440, Anm.1 gefolgt und habe das England-Kapitel in 71 Abschnitte eingeteilt, auf deren Nummern bei den Zitat-Nachweisen nach der Kapitelangabe zusätzlich hingewiesen wird. Achtung! In der Forsthof£ Übersetzung sind die Absätze 16 und 65 in die jeweils vorherigen Absätze integriert.
Vgl. Jonas (1968) S.20; Aron (1972); Weigand (1989) S.5; Kondylis (1996) S.9–38.
Da für Montesquieu Wahlen öffentlich stattzufinden haben (GdG.II,2), ist mit dieser Aussage wohl eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit gemeint. An anderer Stelle heißt es: „selbst in einer Volksregierung darf die Macht nicht in die Hände des niederen Volkes geraten“ (GdG.XV,18).
Aron (1972) S.37 argumentiert, daß durch die Einbeziehung der gegebenen sozialen Kräfte das Vorbild der englischen Verfassung zeitlich relativiert werden müsse.
Ebenso Dietrich (1958) S.49; Maier (1964) S.281; Lange (1980); Schneider (1989) S.81; Riklin (1989) S.432f.; Kondylis (1996) S.75–79.
Dietrich (1958) S.46 hat darauf hingewiesen, daß nirgendwo die Rede davon ist, die Befugnisse des Königs würden von der Macht des Volkes hergeleitet.
Diese Zusammenfassung ergibt sich indirekt aus den zwölf Stellen des England-Kapitels, in denen immer wieder die stereotype Wendung zu lesen ist: „Es gibt keine Freiheit mehr, wenn…“; vgl. Abschnitte 4,5,6,19,37,38,45,48,53,59,60 und 68.
Vgl. Mandrou (1992). Im Westfälischen Frieden hatte zwar auch die Republik der Vereinigten Niederlande ihre volle diplomatische Anerkennung erhalten, doch war dieses System für den Geschmack vieler damaliger Zeitgenossen zu revolutionär.
Vgl. „De l‘esprit des lois“, Buch XI, Kap.20, so wie es Montesquieu auch bei den anderen Regierungsformen nicht um Ist-Zustände ging; vgl. Buch III, Kap.11. Daß der Franzose auch Kritisches zu England bemerkte, davon zeugen seine „Notes sur l‘Angleterre“.
Ebenso Dietrich (1958) S.50: Es gehe um das Idealbild einer Verfassung schlechthin am Beispiel der idealisierten englischen Verfassung. Vgl auch Briihlmeier (1981) S.233; Riklin (1989) S.425; Schlosser (1990) S.26; Desgraves (1992) S.418; Hereth (1995) 5.89f.
So argumentieren Aron (1972) S.27; Weigand (1989) S.40 und Desgraves (1992) S.311; dagegen argumentieren Krauss (1956), Krausss (1963), Schunck (1968), Kuhfuß (1975) S.71 und Kondylis (1996) S.30f.
Später im „Vom Geist der Gesetze“ schreibt Montesquieu im Zusammenhang mit der antiken Republik Roms: „Die Freiheit jedes einzelnen Bürgers ist ein Teil der staatlichen Freiheit. Im Volksstaate ist diese Eigenschaft sogar ein Teil der Souveränität“ (GdG.XV,2). Dietrich (1958) S.42 vermutet, daß Montesquieu mit zwei sich widersprechenden Freiheitsbegriffen arbeitet: zum einen Freiheit im Sinne von Selbstgesetzgebung des Volkes und zum anderen Freiheit als Herrschaft des Gesetzes.
Gemäß der Definition von „Prinzip“ ist diese Aussage gleichbedeutend, daß Veränderungen in der politischen Kultur zu Verfassungswechsel führen; vg. Morkel (1966) S.28; Forsthoff (1992) S.XXVI.
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Schmitz, SU. (2000). Charles de Montesquieu. In: Homo democraticus. Bürgerschaftliches Engagement und Nonprofit-Sektor, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99907-8_6
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