Zusammenfassung
Im Zentrum des vorliegenden Kapitels steht die Frage, ob es besser ist, ergänzende Umwelthaftungsregeln auf Unionsebene oder in den Mitgliedstaaten zu formulieren. Es wird damit die Handlungsebene gesucht, die adäquat ist, um Umwelthaftungsregeln in Europa festzulegen. Ziel ist es, eine sinnvolle Aufgabenverteilung zwischen der zentralen Instanz Europäischen Union und den Mitgliedstaaten als dezentralen Einheiten zu entwerfen. Vertraglich werden Rechtsetzungsaufgaben zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten nach dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip513 aufgeteilt. Dieses wird daher in einem ersten Schritt vorgestellt. Bei der Auslegung des Subsidiaritätsprinzips besteht jedoch noch Interpretationsbedarf. Hier helfen die ökonomische Theorie des Föderalismus, der Vergleich der Kosten institutioneller Regelungen und das Konzept des institutionellen Wettbewerbs. Angewandt auf das Umwelthaftungsrecht liefern sie Argumente dafür, ob den Mitgliedstaaten oder der Europäischen Union die Aufgabe zufallen sollte, haftungsrechtlichen Umweltschutz zu formulieren.
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Literatur
Vgl. Klemmer 1991 und ausführlich zur Interpretation des Subsidiaritätsprinzips im Rahmen des Gemeinschaftsrechts Krämer in Groeben//Thiesing/Ehlermann 1991, Art 130r, Rn 56ff.
Zur Interpretation des Subsidiaritätsprinzips als “Kompetenzausübungsschranke” siehe Jarass/Schreiber 1994, S. 136 und auch Jarass 1995.
Vgl. für widerstreitendende Interpretationen des Subsidiaritätsprinzips Lecheler 1993, Pieper 1994 und Jarass/Schreiber 1994. Die fehlende Eindeutigkeit des Subsidiaritätsprinzips selbst im Verständnis der EU-Institutionen wird durch die zentrale Stellung deutlich, die die Konkretisierung dieses Prinzips im Rahmen der Regierungskonferenz von 1996 erhalten soll, in der Reformen zur Verbesserung der Funktionsweise der Union beschlossen werden sollen. Vgl. Zwischenbericht des Vorsitzenden der Reflexionsgruppe zur Regierungskonferenz 1996 vom 24.08. 1995, SN 509/95, Brüssel, S. 35f.
Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung A3–0380/92 zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf die Umwelt-und Verbraucherschutzpolitik dagegen gefordert, daß ein Handeln auf Gemeinschaftsebene bereits dann als besser gegenüber der Ebene der Mitgliedstaaten und der Gebietskörperschaften anzusehen ist, wenn dadurch ein höheres Niveau des Umweltschutzes zu erzielen ist, vgl. ABI. Nr. C 42/41 vom 15. 2. 93.
Zur Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten siehe Art. 130r Abs. 2 und 3 EGV und vgl. Bongaerts 1992. Vgl. auch Sieben 1990, S. 11.
Hieran werden in den rechtswissenschaftlichen Beiträgen zum Thema keine Zweifel angemeldet. Vgl. Grabitz 1989, Kiethe/Schwab 1993, Bültmann 1994.
Vgl. Van den Bergh 1995, S. 2. Die folgenden Ausführungen beziehen sich vorwiegend auf produktionsbezogene umweltpolitische Maßnahmen unter die auch das Umwelthaftungsrecht fällt. Die Argumentation kann teilweise auf die Harmonisierung von produktbezogenen Maßnahmen übertragen werden. Da allerdings produktbezogener Umweltschutz durch Haftungsregeln primär die Produkthaftung betrifft, die hier nicht näher betrachtet werden soll, kann diese Einschränkung vorgenommen werden. Für Argumente bezüglich der Harmonisierung produktbezogener umweltpolitischer Maßnahmen siehe Eckrich 1993 und Zimmermann/Kahlenbom 1994.
Für einen Überblick über die Theorie des Föderalismus und das Konzept des institutionellen Wettbewerbs siehe CEPR 1993 und Eichenberger 1994 und speziell im Bereich der Umweltpolitik Karl 1995, Nijkamp 1995, Zimmermann/Kahlenborn 1994 und 1995 und allgemein Ehlermann 1995.
Vgl. für die Ursachen dieser Fehlallokation ausführlich CEPR 1993. Musgrave/Musgrave/ Kullmer 1992 unterscheiden neben dieser Allokationsfunktion des Föderalismus noch die Vertei-lungs-und Stabilisierungsfunktion, die aber im folgenden vernachlässigt werden sollen.
Ein Auseinanderfallen von Nutznießern und Kostenträgern öffentlicher Leistungen verstößt gegen den finanzwissenschaftlichen Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz. Vgl. Olson 1969 und im Zusammenhang mit der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland Brümmerhoff 1992.
Prinzipiell ist dieses Problem über eine Internalisierung der Spillover-Effekte bei umweltpolitischen Entscheidungen zu lösen: Jede Gebietskörperschaft, die Umweltbelastungen in einer anderen Gebietskörperschaft hervorruft, muß die dort anfallenden Auswirkungen bei der Festlegung der eigenen umweltpolitischen Maßnahmen berücksichtigen und die damit verbundenen Kosten bzw. Schäden tragen. Dies erfordert kooperatives Verhalten der Beteiligten, von dem aber nicht ausgegangen werden kann, da keine Anreize bestehen, externen Kosten zu berücksichtigen. Es bedarf daher einer übergeordneten Ebene, die die Internalisierung veranlaßt.
Zwar ist in der Union tendenziell eine Angleichung der Präferenzen zu erwarten, allerdings muß aufgrund theoretischer Überlegungen und empirischer Beobachtungen davon ausgegangen werden, daß die Präferenzen der Bevölkerung in der EU für den Umweltschutz von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgeprägt, innerhalb der Mitgliedstaaten allerdings relativ homogen sind. Vgl. Eckrich 1993, S.112ff.
Die Nachfrage nach Umweltqualität ist positiv mit dem Volkseinkommen korreliert. Da das Volkseinkommen (als Indikator kann das Bruttoinlandsprodukt genommen werden) zwischen den Mitgliedstaaten stark divergiert, ist anzunehmen, daß auch die Nachfrage nach Umweltqualität stark streut. Vgl. Eckrich 1993, S. 116.
Vgl. Huckestein 1993b, Schneider/Sprenger 1990 und Kirchgässner 1992a. Siehe auch Klemmer 199*, der kritisch auf weitere Punkte der Kompetenzverteilung eingeht und eine Zuordnung bestimmter Umweltproblembereiche zu den verschiedenen Entscheidungsebenen in der EU vornimmt. Für eine ausführliche Diskussion der Anwendbarkeit der Theorie des Föderalismus auf die Kompetenzverteilung im Rahmen der EU-Umweltpolitik siehe auch Neumann/von der Ruhr 1994.
Weitere Aspekte, die für eine Zentralisierung bestimmter Aufgaben auf EU-Ebene sprechen, sind zu erwartende Economies of Scale, die Verteilung des Risikos von exogenen Schocks, Verteilungsaspekte und die Steigerung der Transparenz durch eine geringere Anzahl von Entscheidungsträgern. Vgl. CEPR 1993, S. 36f.
Bei Irrtum bezüglich der Grenzvermeidungskosten erweisen sich preissteuernde dann den mengensteuernden Instrumenten unterlegen, wenn die Grenzkosten unterschätzt werden und die marginalen Grenzvermeidungskosten geringer als die marginalen Grenzschäden sind, vgl. Weitzmann 1974 oder auch anschaulicher Baumoll Oates 1990, S. 69f.
Vgl. für die Vorteile einer Gefährdungshaftung unter bestehender Informationsasymmetrie bezüglich der Vermeidungskosten eingehend Krichgässner 1992b.
Vgl. ausführlich und modelltheoretisch Zimmermann/Kahlenbom 1994. Dieses Argument entfällt, wenn die beteiligten Gebietskörperschaften sich kooperativ verhalten, wovon allerdings in der Regel nicht ausgegangen werden kann, da dies Kompensationszahlungen bzw. unkompensierte Hinnahe von Nachteilen einzelner Regionen erfordern würde.
Neben direkten Spillover-Effekten durch grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen wurden weiter oben auch solche Spillover-Effekte als Problem einer dezentralen Umweltpolitik erkannt, die nur indirekt beispielsweise über die Mobilität der Bürger angrenzender Regionen auftreten. Um die Optimalität einer dezentralen Umweltpolitik durch Umwelthaftungsregeln zu gewährleisten, muß sichergestellt sein, daß auch diejenigen Ausländer Kompensation bei einem Schaden erlangen, deren Nutzung des nationalen Umweltgutes beeinträchtigt wird. Dies führt zu der Problematik der Optionswerte, die im Rahmen der Umweltökonomie noch wenig beachtet werden. Optionswerte sind Ausdruck von Nutzenerwägungen, die unabhängig von der unmittelbaren Inanspruchnahme eines Gutes auf seine bloße Existenz gerichtet sind. Eine Ausweitung der indirekten Spillover-Effekte auf den Verlust von Optionswerten kann dazu führen, daß jegliche Umweltbeeinträchtigung als grenzüberschreitend angesehen werden muß und damit keinerlei Föderalismus mehr möglich ist. Vgl. Pommerehne/Römer 1992.
Das IPR ist das Recht für solche privatrechtlichen Sachverhalte, die über den räumlichen Geltungsbereich der einzelnen nationalen Rechtsordnung hinausgehen, vgl. Kropholler 1994, S. 1. Da jeder Staat eigene Regeln über den Gerichtsstand, das anwendbare Recht und die Vollstreckbarkeit von Urteilen aufstellt, gibt kein singuläres Internationales Privatrecht.
Die Rechtsposition des Ausländers ist allein schon dadurch geschwächt, daß den Prozeß im Ausland führen muß. Dies kostet mehr Zeit, Geld und Kraft, vg. Schmidtchen 1995, S. 83.
Recht des Erfolgsortes: Italien, Frankreich und tendenziell England; Recht des Handlungsortes: Österreich, die Niederlande und Belgien; günstigeres Recht oder Wahl des Opfers: Portugal und Deutschland, vgl. Kreuzer 1992, S. 272f.
Es fällt Gerichten meist sehr schwer. Schmidtchen spricht von der “Heimatverbundenheit der Gerichte”, vgl. Schmidtchen 1995, S. 85.
Vgl. Salzwedel 1990, S. 42. Ein weiteres Problem stellen Schadensausgleichssysteme mit Auslandsberührung dar, die möglicherweise mit Haftungsprivilegierungen verbunden sind. Vgl. Schmidt-Selzer 1995, S. 159ff eingehend auch Kreuzer 1992, S. 290ff.
Vgl. Klemmer 1991, S. 267 und European Environmental Law Association in Europäisches Parlament 1994a, S. 86. Siebert 1991 und auch Kirchgässner 1992 betonen besonders die Notwendigkeit von einheitlichen Haftungsregeln im Zusammenhang mit Umweltunfällen, deren Auswirkungen in der Regel grenzüberschreitend sind.
Das Konzept des institutionellen Wettbewerbs geht im Kern auf eine Arbeit von Tibout aus dem Jahre 1956 zurück. In der Nachfolge wurde das Konzept auf unterschiedliche Politikbereiche angewendet, vgl. hierzu Siebert/Koop 1990 mit einigen Nennungen. Eine kritische Annahme dieses Konzeptes ist die vollständige Faktormobilität.
Vgl. Berg/Schmidt 1994. Ehlermann 1995, S. 11 geht soweit, Subsidiarität als juristische Ausprägung des Begriffs des institutionellen Wettbewerbs zu bezeichnen.
Vgl. Siebert/Koop 1990, S. 442 und Weale 1994. Straubhaar 1993 entwickelt einen Ansatz, nicht Institutionen gleicher Ebenen in den Wettbewerb einzubinden, sondern vielmehr einen vertikalen Wettbewerb um funktional gemeinschaftliche Aufgaben anzuregen.
Vgl. Siebert 1990, S. 14. Für eine kritische Würdigung der Übertragbarkeit des Konzepts des institutionellen Wettbewerbs auf die Umweltpolitik, siehe Huckestein 1993.
Zu beachten ist, data der langfristiger Angleichungsprozeß der Umweltbedingungen in den Mitgliedstaaten mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar sein muß. Im Wettbewerb der Regulierungen findet eine Anhebung der Umweltstandards erst nach der Verknappung des Faktors Umwelt statt. Diese Verknappung bedeutet aber in anderen Worten eine Verschlechterung der Umweltsituation, die nach den Zielen der EU vermieden werden soll. Vgl. Jachtenfuchs/Hey/Strübel 1993.
Diese Form der indirekten Subventionierung der ansässigen Unternehmen wird auch als Umweltdumping oder race-to-the-botton bezeichnet, vgl. Cumberland 1979, Siebert/Koop 1990, S. 452, Klemmer 1991, Siebert 1991, Sprenger 1991, S. 46 und Huckestein 1993a. Van Long/Siebert 1991 zeigen, daß bei Spillover-Effekten nicht zu erwarten ist, daß der institutionellen Wettbewerb dazu fuhrt, da Umweltstandards unter akzeptable Werte gesenkt werden. Für die Ursachen von Umweltdumping vgl. Oates/Schwab 1988. Siehe auch Kirchgässner 1992a, S. 73, der die Gefahr des Umweltdumpings ausschließt, sofern demokratische Entscheidungsprozesse funktionieren. Vgl. Weale 1994, S. 70f mit einigen Argumenten, warum Umweltdumping innerhalb der EU nicht unbedingt zu erwarten ist. Der institutionellen Wettbewerb versagt auch dann, wenn Umweltschutzvorschriften als Marktzutrittsbarrieren und damit zur Abschottung und Protektion der ansässigen Unternehmen genutzt werden, vgl. Spulber 1989, S. 40, Endres 1994, S. 142f, Zimmermann/Kahlenborn 1994, S. 201.
Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil 1993, S. 378 und 384. Zu den Auswirkungen von umweltpolitischen Maßnahmen auf die komparativen Kostenunterschiede und damit auf den Außenhandel siehe allgemein WieBner 1991.
Als weitere Einflußgrößen wären beispielsweise Verjährungsfristen, die Frage der Bündelung von Ansprüchen oder die Verteilung der entstehenden Verfahrenskosten zu nennen.
Als marginale Unternehmen sollen solche Unternehmen bezeichnet werden, die sich aufgrund einer marginalen Veränderung der Umweltvorschriften dazu entschließen, abzuwandern oder zuzuwandern. Vgl.. CEPR 1993.
Vgl. für einen Überblick Litan 1991 mit einer Auswertung der bekannten empirischen Untersuchungen. Als Ausnahme kann Opaluch/Grigalunas 1989 genannt werden, die einen Zusammenhang zwischen Haftungsregeln und dem Sorgfaltsverhalten der Emittenten nachweisen konnten.
Vgl. OECD 1993. Temporär könne die Kosten für einzelne Branchen und Betriebe erheblich höher liegen, was allerdings die Aussage nicht verändert, daß Umweltkosten keinen empirisch nachweisbaren Einfluß auf die Wettbewerbssituation haben, vgl. Bundesumweltamt 1993.
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Becker, P. (1999). Umwelthaftung und die adäquate Aufgabenverteilung zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten. In: Umwelthaftungsrecht als Instrument der europäischen Umweltpolitik. Ökonomische Analyse des Rechts. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99880-4_9
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