Zusammenfassung
Dieses Kapitel gilt dem Versuch, die Schnittfläche zwischen soziologischer Handlungstheorie und psychoanalytischer Theorie des psychischen Apparats anzugeben, auf die sich die fünf Fallstudien beziehen. Von einer Schnittfläche kann gesprochen werden, insoweit beide Theorien das Individuum zum Bezugspunkt haben und an ihm einander ergänzende Ausschnitte des Psychischen behandeln. Dies klingt einfacher, als es ist. Denn der Geltungsanspruch, der sich an die jeweiligen theoretischen Konzepte knüpft, reicht weiter, als dem empirischen Bezug nach berechtigt ist. Zugleich wird eine Vollständigkeit des Erklärungszusammenhangs unterstellt, die sich relativiert, sobald beide Theorieansätze aufeinander bezogen und aneinander gemessen werden. Um also die gesuchte Schnittfläche einzugrenzen, müssen zum einen idiosynkratische Theorieelemente ausgesondert und andere, unerläßliche herausgestellt werden. Ich bediene mich zu diesem Zweck über weite Strecken des Bildes vom psychischen Binnenraum, auf den Psychoanalyse und Soziologie Bezug nehmen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Parin nimmt eine Erweiterung des Anpassungskonzepts in diese Richtung vor, indem er zwischen Abwehr— und Anpassungsmechanismen unterscheidet. An den Ausführungen über den Anpassungsmechanismus der “Identifikation mit der Rolle”, der für Zwecke der psychoanalytischen Klinik hilfreich sein mag, wird indessen deutlich, daß Rollenhandeln lediglich als Mittel der psychischen “Erleichterung”, des “narzißtischen Gewinns” etc. ins Spiel gebracht wird. Somit läßt auch Parin nicht die unvermittelte Entgegensetzung von Trieb und Norm hinter sich (vgl. Parin 1977, S. 102f.).
Mit der Einschränkung, die ich für sein Anpassungskonzept gemacht habe, gilt auch bereits für Hartmann, daß er eine solche Zweistufigkeit ansatzweise in Betracht zieht. Er gibt als Bedingung für Gesundheit ein Gleichgewicht an zwischen “Substrukturen der Persönlichkeit einerseits und zwischen diesen und der Umwelt andererseits” (Hartmann 1947, S. 70).
Siehe die Literaturhinweise bei Döbert u. Nunner—Winkler (1975, S.31ff.).
Siehe besonders Parsons’ Modifizierungen von Freuds Strukturtheorie, die er in dem Aufsatz “Das Über—Ich und die Theorie der sozialen Systeme” in einem Schema prägnant zusammengefaßt hat (vgl. Parsons 1952, S. 43, Fn. 6f.; 1958).
So schreibt Geulen in einer Übersichtsarbeit zur Geschichte der Sozialisationstheorien: “Das Über—Ich—Modell wird üblicherweise als Kern der psychoanalytischen Sozialisationstheorie angesehen… Es sollte jedoch erwähnt werden, daß das sozialisationstheoretische Potential der Psychoanalyse darüber hinausgeht, insbesondere durch die später weiterentwickelte Theorie der Abwehr” (Geulen 1991, S. 25).
Einerseits radikalisiert Parsons die Freudsche Strukturtheorie. Er behauptet für den psychischen Apparat Durchlässigkeit gegenüber “allen Bestandteilen der gemeinsamen Kultur” (Parsons 1952, S. 32) auf allen Ebenen, also auch der der Kognition bzw. Wahrnehmungsfunktion des Ichs und der des Es, in dem sich abgesunkene Lernschritte überwundener Sozialisationsphasen systemisch zusammenschlössen. Andererseits berücksichtigt Parsons am Über—Ich die moralischen Maßstäbe nur, insoweit sie das soziale System mechanismisch stabilisieren: “… die Stellung des Über—Ichs als Teil der Persönlichkeitsstruktur” müsse “im Rahmen der Beziehung zwischen Persönlichkeit und gesamter gemeinsamer Kultur verstanden werden, die ein stabiles System sozialer Interaktion auf menschlicher Ebene ermöglicht” (ebd.). Folglich weist er Freuds Vorstellung eines gegenüber den Objekten unabhängigen Überichs als “zu begrenzt” zurück: “… der Tenor der Affektanalyse (war) die Hervorhebung der fundamentalen Isolation des Individuums in seinem einsamen Kampf mit dem Es…. Die Struktur dieses theoretischen Schemas hinderte” Freud zu erkennen, daß moralische Maßstäbe (Über—Ich), Kognition (Ich) und Expression (Es) miteinander integrierte Elemente gemeinsamer Kultur sind (vgl. ebd., S. 34f.).
Die Äußerung Freuds, auf die ich mich hier beziehe, lautet wörtlich: “Ja, wenn jenes großartige Gebot lauten würde: Liebe deinen Nächsten wie dein Nächster dich liebt, dann würde ich nicht widersprechen. Es gibt ein zweites Gebot, das mir noch unfaßbarer scheint und ein noch heftigeres Sträuben in mir entfesselt. Es heißt: Liebe deine Feinde” (Freud 1930, S. 469 ).
Das Unbehagen freudianischer Psychoanalytiker an der Ich—Psychologie geht auf das Scheitern von Versuchen zurück, die dualisierende Trieblehre und die Strukturtheorie kompatibel zu machen. Sibylle Drews und Karen Brecht schreiben, in das Strukturmodell seien Instanzen hineinkonstruiert, “die einerseits für die unbewußten Widerstände, andererseits für deren unbewußte Motive verantwortlich konzipiert wurden: Ich und Überich. Das bedeutete, daß das Konfliktmodell nicht auf dem Triebdualismus fußt” (Drews u. Brecht 1975, S. 98). Die unscharfe Formulierung zuletzt vergibt die Chance, im Aggressionstrieb den ausschlaggebenden Stützpfeiler für die theoretische Konstruktion zu erkennen, in die das Strukturverhältnis von Ich, Überich und Es eingelassen ist.
So jedenfalls lautet ein häufiger Einwand gegen die Einführung des Todestriebs. Freud hatte sich in “Jenseits des Lustprinzips” empirisch auf einen “primären Masochismus” und auf das Phänomen des Wiederholungszwangs gestützt (vgl. Freud 1920, S. 59 u. 16ff.).
Diese Beispiele erlauben, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die eigenlogische Konstruktion des psychischen Apparats sich auf die Annahme dualer Triebe stützt und daß den Ausschlag für die Behauptung der Eigenlogik nicht das Prozedieren der Sexualtriebe, sondern der Aggressionstrieb gibt. — Eine anregende Überlegung Freuds verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung. Im Brief vom 27. Mai 1937 an Marie Bonaparte äußert er: “Die Einwärtswendung des Aggressionstriebs ist natürlich das Gegenstück zur Auswärtswendung der Libido, wenn sie vom Ich auf die Objekte übergeht. Es gäbe eine hübsche schematische Vorstellung, daß anfänglich zu Beginn des Lebens alle Libido nach innen, alle Aggression nach außen gerichtet ist, und daß sich dies im Verlauf des Lebens allmählich ändert. Aber das ist vielleicht nicht richtig” (Freud 1937b, S. 536 ).
Die Textpassage bei Habermas, auf die ich mich hier beziehe, lautet: “… das Modell der Verinnerlichung (besagt), daß sich das Subjekt in einem Äußeren wiederfindet, indem es das, was ihm als Objekt entgegentritt, in sich hineinnimmt und aneignet. Die Struktur der Aneignung unterscheidet sich von der Struktur der Spiegelung durch den entgegengesetzten Richtungssinn: das Selbst bezieht sich auf sich nicht, indem es sich zum Objekt macht, sondern indem es am äußeren Objekt, am Handlungsschema oder am Beziehungsschema, das entäußerte Subjektive anerkennt” (Habermas 1981b, S. 21).
Adorno war, meinem Eindruck nach voreilig, der Meinung, daß das Festhalten an der Triebdualität es Hartmann ermöglichte, gesellschaftlichen Phänomenen ihre Selbständigkeit, Objektivität zuzugestehen: “Die strenge Psychoanalyse, die vom Gegeneinander der psychischen Kräfte weiß, kann eher die Objektivität zumal der ökonomischen Bewegungsgesetze gegenüber den subjektiven Triebregungen geltend machen als Lehren, die, um nur ja ein Kontinuum zwischen Gesellschaft und Psyche herzustellen, den Kern der analytischen Theorie, den Widerstreit von Ich und Es, verleugnen. Hartmann hält an einer psychologischen Sphäre sui generis fest” (Adorno 1955, S. 52; s.a. Horn 1971 ).
Horn legt Hartmanns Präferenz für den Typus zweckrationalen Handelns als Indiz dafür aus, daß die Gesellschaft selber einen falschen Handlungsrahmen anbietet im Verhältnis zu unbewußt produzierten, neurosebedingten Handlungszwängen (vgl. Horn 1971, S. 125).
Erikson betrachtet “die Kontroverse über Ich und Selbst (als) noch nicht ausgetragen” (Erikson 1956, S. 192).
Ich weise darauf hin, daß meine Interpretation des Eriksonschen Konzepts der Ich—Identität diejenigen Aspekte betont, die seine psychologische Bedeutung verdeutlichen. Erikson hat verschiedentlich durchaus auch die interaktionelle Quelle der Identitätsbildung berücksichtigt. So heißt es an einer Stelle, Identität sei als Prozeß zu verstehen, in dem Ich—Identität und Selbst—Identität zusammengeführt werden. Dieser Prozeß gehe “auf allen Ebenen des seelischen Funktionierens vor sich…, durch welches der Einzelne sich selbst im Lichte dessen beurteilt, wovon er wahrnimmt, daß es die Art ist, in der andere ihn im Vergleich zu sich selbst und zu einer für sie bedeutsamen Typologie beurteilen; während er ihre Art, ihn zu beurteilen, im Lichte dessen beurteilt, wie er sich selbst im Vergleich zu ihnen und zu Typen wahrnimmt, die für ihn relevant geworden sind. Dieser Vorgang ist glücklicher— und notwendigerweise zum größten Teil unbewußt, ausgenommen da, wo innere Bedingungen und äußere Umstände zusammentreffen, um eine schmerzhafte oder stolze ‘Identitätsbewußtheit’ zu vertiefen” (Erikson 1968, S. 19). Es entspricht allerdings der verklärenden Tendenz in Eriksons Ansatz, daß nicht die “schmerzhafte” sondern die “stolze Identitätsbewußtheit”’ die Oberhand gewinnt.
Die Gefahr, Anforderungen, die von normativen Erwartungen an das Handeln des einzelnen ausgehen, vereinfachend zu erklären und individuelle Konformitätsleistungen zu unterschätzen, ist auch in der Soziologie gegeben. Wrongs Warnung vor dem “übersozialisierten Menschen” richtete sich hiergegen (vgl. Wrong 1961). Die Fallstudie zu G.H. ist geradezu ein Lehrstück möglicher Mißverständigung über Einzigartigkeit und Konformität (s.u., S. 158ff.).
Erikson spricht in seiner Weise von “negativer Identität” und gibt einen Hinweis auf ihre unwillkürliche Konformitätsbedeutung. “… manchmal, wenn wir (junge Leute) eine Straße entlang gehen sehen, ist es uns, ohne taktlose Kontrolle, unmöglich zu sagen, wer der Junge und wer das Mädchen ist. Negative Identität? Oh, jawohl, sie scheinen alles sein zu wollen, wovon die ‘Gesellschaft’ sagt, sie sollten es nicht sein: darin wenigstens sind sie ’konformistisch”’ (Erikson 1968, S. 23).
Ich tausche in der Übersetzung von “Mind, Self, and Society”, die ich durchgängig verwende, “Identität” gegen “Selbst”, “Ich” gegen “I” und “ICH” gegen “me” aus. Anstelle einer Begründung verweise ich auf Tugendhat 1979, S. 247; s. a. Fußnote 92 auf S. 220).
Meads Hinwendung zur sozialen Handlung entwickelt sich allmählich in einer erkenntnistheoretischen und wissenschaftslogischen Auseinandersetzung mit der Psychophysiologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie verschiedenen Versionen des Behaviorismus (vgl. Mead 1934b, Teile I und II; Joas 1980, S. 67ff.).
In meiner Darstellung, bei der ich ausschließlich auf die Priorität der sozialen Handlung bei Mead abstelle, bleibt die evolutionäre Ansatzweise der Meadschen Theorie unberücksichtigt. Ein Nachteil ist das deshalb, weil erst diese Perspektive Verbindungen zwischen Mead und Freud umfassend verständlich macht, auf die ich im folgenden durchaus eingehen will. Allerdings ist der evolutionäre Übergang von vorsprachlicher, gestischer Kommunikation zu sprachlich verfaßtem sozialem Handeln bei Mead in mancher Hinsicht klärungsbedürftig. Die Auseinandersetzung damit würde daher den Rahmen sprengen, den ich mir gesteckt habe und der zum Ziel hat, einem Konzept der sozialen Handlung das Wort zu reden, an das die psychoanalytische Strukturtheorie anschließbar ist. Zur Problematik der evolutionstheoretischen Grundlagen der Meadschen Gesellschaftstheorie vgl. die Kritik von Habermas (1981b, S. 11ff. und weitere Literaturangaben daselbst), und — Mead gegenüber Habermas verteidigend — Joas (1980).
In bezug auf William James vgl. Erikson 1968, S. 15 f. Erikson allerdings entzieht sich der Meadschen Kritik an den Pragmatisten durch seine, wenngleich psychologisch abgeschwächte, Rücksicht auf das Selbst: Das Konzept der Ich—Identität schließt Repräsentanzen des Selbst ein und nimmt damit in Anspruch, soziale Erfahrungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus besagt es, daß das Selbst, vertreten durch Vorstellungsrepräsentanzen eigener Erfahrungen, in den Sog präsymbolischen Erlebens gelangen kann.
Denken setzt immer ein Symbol voraus, das im anderen die gleiche Reaktion wie im Denkenden hervorruft“ (Mead 1934b, S. 189).
Das ‘me’ ist die Quelle der emotionellen Reaktion auf die Werte, zu denen man sich als Mitglied der Gesellschaft bekennt“ (Mead 1934b, S. 243).
Ein Teil der Vorstellungen — die “unbestimmt im Raum hängenden” — bleibt also, von der Konstruktion der sozialen Handlung her betrachtet, auch theoretisch unbestimmt. Hierzu gibt es eine bemerkenswerte Parallele bei Simmel, der über den “seelischen Prozeß” äußert: “unsere tatsächlichen, psychologischen Prozesse sind in viel geringerem Grade logisch reguliert, als es nach ihren Äußerungen scheint. Achtet man genau auf die Vorstellungen, wie sie in der Zeitreihe kontinuierlich durch unser Bewußtsein gehen, so ist ihr Flackern, ihre Zickzackbewegungen, das Durcheinanderwirbeln sachlich zusammenhangloser Bilder und Ideen, ihre logisch garnicht zu rechtfertigenden, sozusagen nur probeweisen Verbindungen — alles dies ist äußerst weit von vernunftmäßiger Normiertheit entfernt”. Seine “absolut genaue Verlautbarung (würde) jeden Menschen… ins Irrenhaus bringen” (Simmel 1908, S. 387). Das heißt, wie für Mead scheint auch für Simmel eine logische Durchdringung des Psychischen nicht vorstellbar zu sein; das logischen Normen Gehorchende ist der Natur immer bereits entwunden (vgl. ebd., S. 386f.). Daß es die Arbeit des Ichs ist, die den Vorgang der Aneignung innerer Natur organisiert und daher einer theoretischen Bestimmung ebenso wie bewußte Organisationsleistungen an Vorstellungen und Bildern fähig ist, bleibt der in etwa zeitgleichen — im Unterschied zu Mead und Simmel auf Psychisches konzentrierten — Entdeckung Freuds vorbehalten.
Joas erwägt, das Unbewußte der Psychoanalyse an die Meadsche Handlungstheorie anzuschließen, indem er auf die Arbeit des Ichs rekurriert, allerdings bereits unter dem Vorzeichen von Symptombildung: Er möchte die Meadsche “Theorie sozialer Identitätsbildung systematisch auf ein Versagen des Ich in Integrations— und Vergegenwärtigungsleistungen” zurückbeziehen. Ein Versagen des Ichs anzunehmen würde nun aber auf eine Reifizierung seiner Funktionen hinauslaufen. Dies wäre nur zu rechtfertigen, wenn gleichzeitig, wie Freud es tut, von einer Geschlossenheit des psychischen Apparats ausgegangen würde. Ich habe zu zeigen versucht, daß dies eine theoretisch durchaus vertretbare Position ist. Sie gibt allerdings, wie Joas richtig sieht, das Problem auf, das Unbewußte des psychischen Apparats zugleich auch als “potentiell Bewußtes” aufzufassen, also die Vorstellung von Geschlossenheit und Eigenlogik mit der Vorstellung eines Übergangs in Bewußtes, dem Selbst Zuzurechnendes zu vereinbaren (vgl. Joas 1980, Fn. 60 auf S. 222f.). Genau aus diesem Grund hielt Freud an der Vorstellung eines topisch Unbewußten neben dem strukturell Unbewußten fest. Insgesamt dürfte die theoretische Lösung nur über geeignetes empirisches Material vorangetrieben werden können. Dies sollen die Fallstudien in Kapitel 5 ermöglichen.
Hier liegt allerdings ein schwerwiegendes Problem. Was Mead unter dem “alten” Handlungsprinzip verstanden haben könnte und die unterschiedlichen Aspekte subhumaner Verhaltensweisen einschließt, wäre der psychoanalytischen Bestimmung des Es gegenüberzustellen. Hinzu kommt das Problem, wie die Umformung dessen, was ich psychologische Reflexivität innerhalb des psychischen Apparats genannt habe (s.o., S. 62ff.), durch das Selbst zu denken wäre.
Interessant in diesem Zusammenhang ist Meads kritische Anmerkung zu William Alonson Whites Buch “Thoughts of a Psychiatrist an the War and After” in einem Rezensionsentwurf. Sich gegen die triebpsychologische Argumentation von White, der zu den ersten Psychoanalytikern in den USA zählte, wendend, führt Mead an: “Was… von dieser Psychologie übersehen wird, ist der Umstand, daß jede wirkliche Einübung das Ergebnis eines Konflikts von Antrieben ist, der zu einer Rekonstruktion und Reorganisation der Natur des Individuums führt…. Die menschliche Natur bleibt nicht immer dieselbe. Unserer an Freud orientierten Psychologie fehlt noch eine angemessene Untersuchung des Wachstums (des Selbst — K.B.)” (Mead Nachlaß, S. 457). Vgl. auch boas (1980, Fn. 61 auf S. 226), der für die Meadsche Kategorie des self im Deutschen den Ausdruck “Ich—Identität” gewählt hat.
In der Arbeit “Individuierung durch Vergesellschaftung. Zu George Herbert Meads Theorie der Subjektivität” umgeht Habermas diese Gleichsetzung von me und Überich. Der Versuch, psychoanalytisches Strukturmodell und Meadsches Modell des Handlungssubjekts ineinander zu übersetzen, scheint aufgegeben zu sein (vgl. Habermas 1988, S. 219f.). Mead selber vergleicht die Funktion des me mit Freuds Ich: “Gewöhnlich bestimmt die Struktur des ‘me’ den Ausdruck des ’I’. Um eine Formulierung Freuds zu verwenden: das ‘me’ funktioniert im Sinne eines Zensors. Es bestimmt den Ausdruck, der zulässig ist, bestimmt die Bühne und gibt das Stichwort” (Mead 1934b, S. 254).
Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Handlungstheorie siehe Heim (1993), der — im Unterschied zur Absicht hier, Auswirkungen der Psychoanalyse auf die soziologische Konzeptualisierung der Handlung aufzuzeigen — an den Teilansichten sozialen Handelns festhält, mit deren Integrierung die Soziologie sich schwertut. Entsprechend sind für Heim von Bedeutung “verzerrte” Kommunikation, “doppelte” Intentionalität, “exteriorisierte” innere Natur etc.
Das einzig ‘Reale’ ist Emotion = rücksichtsloses Agieren [Reagieren], d.h. das, was man sonst geisteskrank nennt.) Reine Intelligenz wäre so ein Produkt des Sterbens, oder zumindest des geistigen Fühlloswerdens“ (Ferenczi 1931, S. 252).57 ”Wir bezeichnen eine Person als konventionelles Wesen; ihre Ideen entsprechen genau denjenigen ihrer Nachbarn; sie ist unter diesen Umständen kaum mehr als ein ’me’. Ihre Anpassungen sind unbedeutend… Im Gegensatz dazu steht die Person, die eine ausgeprägte Persönlichkeit besitzt und auf die organisierte Haltung so reagiert, daß ein bedeutender Unterschied zu verzeichnen ist. Bei einer solchen Person ist das ’I’ die wichtigere Phase der Erfahrung“ (Mead 1934b, S. 244 ).
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1995 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Brede, K. (1995). Über den psychischen Aufbau der sozialen Handlung. In: Wagnisse der Anpassung im Arbeitsalltag. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99824-8_3
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99824-8_3
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-12748-4
Online ISBN: 978-3-322-99824-8
eBook Packages: Springer Book Archive