Zusammenfassung
Selbstmord steht als Todesart unter 50 Todesursachen nach internationalen Statistiken an neunter Stelle. Damit bringen sich ungefähr ebenso viele Menschen um, wie Menschen Opfer von Verkehrsunfällen werden. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, daß sich allein in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin 1986 11.599 Menschen das Leben nahmen1. Selbstmordversuche sind noch weitaus zahlreicher. Farberow und Shneidman (1961) rechnen mit einem Verhältnis von 8:1, d.h., auf acht Selbstmordversuche mit nicht-tödlichem Ausgang kommt ein tödlich endender Selbstmordversuch2. Suizidale Handlungen sind ein universelles Phänomen, d.h., zu allen Zeiten der menschlichen Kulturgeschichte wird über Selbstmorde berichtet. Für die Indianer Südamerikas und Malaien auf Indonesien waren geringste Anlässe — Kränkungen, Ärger — ein Grund, sich das Leben zu nehmen. Bei Negerstämmen in Afrika waren Selbstmorde aus Rache — eine betrogene Ehefrau konnte durch ihren Selbstmord den Ehemann zur Rückzahlung des Brautgeldes zwingen — keine Seltenheit (Amelunxen 1962).
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Literatur
Vgl. World health statistics report 27, 1974, 198; Statistisches Jahrbuch 1988, S. 390.
Vgl. zu einem Überblick über vorliegende Selbstmordtheorien und zu ihrer Kritik Lettieri (1978), Akers (1977), Resnik et al. (1974), Braun (1971).
Biographische Ansätze (z.B. Jacobs 1971, 31, 110) bieten hier keinen Ausweg. Sie betonen die Wichtigkeit zurückliegender Ereignisse und das prozeßhafte Geschehen, ohne dabei jedoch zu überprüfbaren Hypothesen zu kommen; vielmehr erfüllen phänomenologisch orientierte deskriptive Aussagen eher heuristische Zwecke, die außerdem kaum neue Erkenntnisse liefern. Z.B. stellt Jacobs vor allem die,Wichtigkeit bedeutsamer sozialer Beziehungen’ heraus (vgl. Jacobs 1971, 113), ein Ergebnis, zu dem unter anderen Erkenntnissen bereits Durkheim in seiner nicht-biographischen, auf die gesellschaftliche Ebene bezogenen Selbstmordtheorie kam.
Vgl. z.B. die bekannten empirischen Untersuchungen von Durkheim (1967), Gibbs und Martin (1964), Henry und Short (1954) und neuerdings Bock und Webber (1972), Wenz (1979), Gibbs (1982b), Maris (1981); zur methodisch-methodologischen Kritik soziologischer Theorien vgl. Braun 1971, 24–71, 108ff. und Teil 2 der Arbeit.
Motivsammlungen, aber auch Persönlichkeitsprofile (vgl. z.B. Colson 1973) und Risikoskalen dokumentieren eine empirisch-induktive Vorgehensweise, die aus empirischen und theoretischen Gründen die genannten Defizite nicht beseitigen können (vgl. Braun 1971, 78ff.).
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Lindner-Braun, C. (1990). Einleitung: Selbstmord als universelles Problem und Stand der Selbstmordforschung. In: Soziologie des Selbstmords. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99822-4_1
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