Zusammenfassung
Im zweiten seiner beiden berühmtesten Vorträge — „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf” — schreibt Weber mit der von ihm gern praktizierten geschulten Rücksichtslosigkeit des wissenschaftlichen Blicks über den Journalismus, zu dessen Erforschung er wichtige Anregungen gegeben und selbst wegweisende Schritte gemacht hat1: „Die Soziologie der modernen politischen Journalistik auch nur zu skizzieren, wäre im Rahmen dieses Vortrags ganz unmöglich und ist in jeder Hinsicht ein Kapitel für sich. Nur weniges gehört unbedingt hierhier. Der Journalist teilt mit allen Demagogen(!) und übrigens ... auch mit dem Advokaten (und dem Künstler) das Schicksal: der festen sozialen Klassifikation zu entbehren. Er gehört zu einer Art von Pariakaste, die in der ‚Gesellschaft‘ stets nach ihren ethisch tiefststehenden Repräsentanten sozial eingeschätzt wird. Die seltsamsten Vorstellungen über die Journalisten und ihre Arbeit sind daher landläufig. Daß eine wirklich gute journalistische Leistung mindestens so viel ‚Geist‘ beansprucht wie irgendeine Gelehrtenleistung — vor allem infolge der Notwendigkeit, sofort, auf Kommando, hervorgebracht zu werden und: sofort wirken zu sollen, bei freilich ganz anderen Bedingungen der Schöpfung —, ist nicht jedermann gegenwärtig. Daß die Verantwortung eine weit größere ist, und daß auch das Verantwortungsgefühl jedes ehrenhaften Journalisten im Durchschnitt nicht im mindesten tiefer steht als das des Gelehrten..., wird fast nie gewürdigt, weil naturgemäß gerade die verantwortungslosen journalistischen Leistungen, ihrer oft furchtbaren Wirkung wegen, im Gedächtnis haften.“2
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Literatur
Vgl. Arnolf Kutsch, Max Webers Anregung zur empirischen Jornalismusforschung, Publizistik, Bd. 33, 1988, S. 5ff.
Max Weber, Gesammelte Politische Schriften, 4. Aufl., Tübingen 1980, S. 525/26; Hervorhebungen im Original.
Zu diesen beiden kontrovers diskutierten Ausrichtungen des Journalismus vgl. zum Beispiel den in Anm. 4 genannten Sammelband.
Einschlägig auch: Lutz Erbring, Stephan Ruß-Motel, Berthold Seewald, Bernd Sösemann (Hrsg.), Medien ohne Moral, Berlin 1988.
Zum Vergleich der Anforderungsprofile für Journalisten und Wissenschaftler vgl. Spinner, Wissensorientierter Journalismus, in: Ebring et al., a.a.O., S. 238ff., insbes. S. 252ff.
Bert Brecht, Die Dreigroschenoper, in: Gesammelte Werke, Bd. II, Frankfurt am Main 1967, S. 422.
Brecht, Werke, Bd. II, S. 422.
Vgl. Niklas Lohmann, Liebe als Passion, Frankfurt am Main 1982.
Brecht, Werke, Bd. II, S. 469.
Brecht, Werke, Bd. II, S. 395.
Brecht, Die Maßnahme, in: Werke, Bd. II, S. 650/51.
Brecht, Die Dreigroschenoper, in: Werke, Bd. II, S. 457f.
Vgl. Hermann Boventer, Wertorientierter Journalismus, in: Lutz Erbring et al. (Hrsg.), Medien ohne Moral, Berlin 1988, S. 226ff.; ders., Ethik des Journalismus, 2. Aufl., Konstanz 1985.
Zum Begriff und zur Funktion des „moralischen“, regelsetzenden oder -durchsetzenden „moralischen Unternehmers” vgl. Howard S. Becker, Außenseiter, Frankfurt am Main 1981, Kap. B.
Brecht, Erstes Dreigroschen-Finale, in: Werke, Bd. II, S. 431.
Vgl. im folgenden Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 3. Aufl., München 1972, S. 235 ff., sowie daran anschließend M. Rainer Lepsius, Kritik als Beruf, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 16, 1964, S. 75ff. Ferner Spinner, Art. „Kritik“, in: Wolfgang R. Langenbucher et al. (Hrsg.), Kulturpolitisches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland/DDR im Vergleich, Stuttgart 1983, S. 337ff.
Siehe Schumpeter, a.a.O., S. 237.
Dazu Spinner, Das ‘wissenschaftliche Ethos’ als Sonderethik des Wissens, Tübingen 1985.
Vgl. Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen, München 1977 (dtv-Taschenausgabe).
Dazu ausführlicher Lepsius, a.a.O.
Vgl. Lepsius, a.a.O.
Vgl. folgende Arbeiten des Verfassers zur Idee des „findigen“, wissensorientierten Journalismus: 1. Das ‘wissenschaftliche Ethos’ als Sonderethik des Wissens, Tübingen 1985; 2. Die alte Ethik der Wissenschaft und die neue Aufgabe des Journalismus, in: Rainer Flöh’ und Jürgen Fricke (Hrsg.), Moral und Verantwortung in der Wissenschaftsvermittlung, Mainz 1987, S. 73–89; 3. Wissensorientierter Journalismus, in: Lutz Erbring et al. (Hrsg.), Medien ohne Moral, Berlin 1988, S. 238–266; 4. Über das unheilbar gute Verhältnis zwischen Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten — und das problematische Verhältnis zwischen dem, was sie zu vertreten hätten, es aber öffentlich nicht tun. Veröffentlicht unter dem von der Redaktion gegebenen Titel „Freie Bahn den Überfliegern” in: Deutsche Universitäts-Zeitung, Jg. 44, Nr. 17 vom 5.9.1988, S. 22–24; 5. Findiger Journalismus: Wissensermittlung statt Wissensvermittlung, in: Stephan Ruß-Mohl (Hrsg.), Wissenschaftsjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit, Stuttgart 1990, S. 178–182.
In diese Richtung weist auch Michael Haller, Wie wissenschaftlich ist der Wissenschaftsjournalismus?, Publizistik, Bd. 32, 1987, S. 305ff.
Zur praktischen Recherchieraufgabe und Reportagearbeit des Journalismus vgl. die beiden Handbücher für die Journalistenausbildung von Michael Haller: Recherchieren, 3. Aufl., München 1989; Die Reportage, München 1987.
Bestätigungsfehler“ nennt man in der Wissens-und Problemlösungspsychologie die vermeintlich „natürliche”, aber „irrationale“ Tendenz des Menschen, bestätigende gegenüber widerlegender, dem eigenen Kenntnis-oder Erwartungsstand widersprechender Information vorzuziehen. Ich übertrage diesen (bei den ersteren noch umstrittenen, bei den letzteren meines Erachtens eindeutigen) Befund von Individuen auf Institutionen der Politik (dazu Spinner, Über das unheilbar gute Verhältnis…, a.a.O.) und der Massenmedien, in die er m.E. massiv „eingebaut” ist. Sie und die politischen Parteien wissen nur allzu genau, wie man die Erwartungen der Leser bestätigt, um sie bei der Stange zu halten.
Ein solches Modell wird skizziert bei Spinner, Das Prinzip Kritik als Leitfaden der Rationalisierung in Wissenschaft und Gesellschaft, Jahrbuch 1980 der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft, Berlin 1981, S. 256ff.; ferner ders., Kritik gestern und heute: Vom Räsonieren, Schwadronieren, Reflektieren zur Gegeninformation, als Einleitung zu Volker Schanz, Determinanten praktischer Kritik, Mannheim 1987, S. Iff.
Eine kleine Sammlung der allerjüngsten (Fall Barschel, Geiseldrama Gladbeck; auch der sog. Fall Rushdie, der auf anderer Ebene liegt) findet sich unter dem Titel „Skandale und politische Ethik“ in HEFT 2/89 der Zeitschrift Medium.
Obwohl die inkriminierten „Würzburger Verhältnisse“ den Vertretern der involvierten Fachwissenschaft (Soziologie) bekannt waren, ist der Stein des wirksamen Anstoßes erst durch den Zeitungsartikel eines Journalisten ins Rollen gebracht worden: Otto Köhler, Doktorspiele in Würzburg, DIE ZErr, Nr. 45 vom 4.11.1988, S. 70 (ganzseitiger Artikel). Dazu auch die aufgeschreckte Reaktion aus der unmittelbaren Umgebung: Wolfgang Lipps halböffentliche „Erklärung” in: Soziologie — Mitteilungsblatt der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Heft 1, 1989, S. 127ff.
Vgl. Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Frankfurt am Main 1985; auderdem von demselben Autor: Das Verschwinden der Kindheit, Frankfurt am Main 1983; Die Verweigerung der Hörigkeit, Frankfurt am Main 1988.
Zur Kritik aus pädagogischer Sicht vgl. Hertha Sturm, Die grandiosen Irrtümer des Neil Postman, epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 71 vom 10.9. 1986, S. 3ff.
Vgl. Karl Bidder, Sprachtheorie, 1. Aufl. Jena 1934, 2. Aufl. Stuttgart 1965, passim.
Daß eventuelle Fehlinformationstendenzen des Wissenschaftsjournalismus von Wissenschaftlern „richtiggestellt“ werden, wie es neuestens Mathias Kepplinger mit dem Vorwurf des Luftschloßbaus „Künstlicher Horizonte” (so der Titel seines Buches gegen die Technikfolgen-Berichterstattung in der bundesrepublikanischen überregionalen Tages-und Wochenpresse, Frankfurt und New York 1989) versucht, paßt ebenso ins Bild wie vor Jahren Elisabeth Noelle-Neumanns These der „Schweigespirale“ (München 1980) gegen den Fernsehjournalismus. Wissenschaftliche Journalismus-und Medienkritik entspricht der in der Wissenschaft angenommenen Rangskala der involvierten Wissensarten und damit der kognitiven Hackordnung „wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt versus außerwissenschaftliche Meinungsmache”. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es kein Einbahnstraßen-Verkehr des Überprüfungsprozesses bleibt. Leider noch sehr unüblich und deshalb um so lobenswerter ist die prompte journalistische Gegenreaktion auf Kepplinger durch Michael Haller, Warner, Windmacher, Wissenschaftler, Die Zeit, Nr. 13 vom 23. März 1990, Dossier S. 17–18. Aber noch fast gar nicht findet die offene Auseinandersetzung innerhalb des (Wissenschafts-) Journalismus statt, um wissensorientierten Qualitätswettbewerb der Berichte anstelle des marktorientierten Verdrängungswettbewerbs der Medien zu praktizieren, der mit der Güte der Darstellungen wenig zu tun hat.
Vgl. James S. Coleman, Die asymmetrische Gesellschaft, Weinheim und Basel 1986; Herbert I. Schiller, Die Verteilung des Wissens, Frankfurt/Main 1984. Weitere informationelle Asymmetrien werden diskutiert bei Christian Doelker, Kulturtechnik Fernsehen, Stuttgart 1989, Kap. 7.
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Spinner, H.F. (1992). Über die Geschäftsbedingungen der Massenmedien. In: Haller, M., Holzhey, H. (eds) Medien-Ethik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99816-3_11
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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