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„Irlandisierung“, nicht Ende? Einige Überlegungen zur Zukunft der deutschen Volksparteien nach dem Zerfall ihrer Voraussetzungen

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Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft: Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich

Zusammenfassung

In ihrem 1992 erschienenen, aber bereits im Frühjahr 1991 fertiggestellten Buch zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie kamen Peter Lösche und Franz Walter nach fast 400 Seiten gründlicher Analyse zu einem einigermaßen verblüffenden Schluß. Wahltaktisch, so schrieben sie, befinde sich die SPD gegenüber der CDU „bereits heute strukturell im Vorteil“.1 Das durfte man seinerzeit schon als ziemlich atemberaubenden Befund zur Kenntnis nehmen. Hatten die Sozialdemokraten denn nicht gerade erst, wenige Monate bevor Lösche und Walter letzte Hand an ihren Text legten, bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen ein Wahldebakel von geradezu historischem Ausmaß erlitten? Hatten sie nicht mit Oskar Lafontaine den falschen Kanzlerkandidaten zur falschen Zeit aufgeboten, auf die falschen Themen gesetzt, die Stimmung in der Bevölkerung fundamental mißinterpretiert? Stand die SPD nicht gerade zu dieser Zeit mehr denn jemals seit den fünfziger Jahren quer zum Mainstream der deutschen Gesellschaft: in ihrer Programmatik, in ihrem Habitus und in der Mentalität ihrer Funktionäre? Gerade 33,5 Prozent der Stimmen brachte die Sozialdemokratie bei der „Einheitswahl“ im Dezember 1990 noch hinter sich, im alten Westen der Republik mit 35,9 Prozent geringfügig mehr, dafür im neuen Osten um so kläglichere 25 Prozent.

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Literatur

  1. Peter Lösche/Franz Walter, Die SPD: Klassenpartei — Volkspartei — Quotenpartei, Darmstadt 1992, S. 385 f.

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  2. Vgl. dazu jedenfalls ausgesprochen bedenkenswert Isaiah Berlin, Politische Urteilskraft, in: Derselbe, Wirklichkeitssinn: Ideengeschichtliche Untersuchungen, Berlin 1998, S. 91–112, hier S. 108: „Wissenschaft, Theorien und dergleichen sind manchmal zweifellos nützlich, aber sie können noch nicht einmal annähernd ein Ersatz für eine bestimmte Gabe der Wahrnehmung sein, für die Fähigkeit, das Gesamtmuster einer menschlichen Situation aufnehmen zu können, die Art und Weise, wie bestimmte Dinge zusammenhängen: ein Talent, dem — je feiner, je treffsicherer es ist — Abstraktionskraft und Analyseföhigkeit als etwas Fremdes, wenn nicht gar Feindliches gegenüberzustehen scheinen.“

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  4. Vgl. aus jüngerer Zeit nur Peter Lösche/Franz Walter, Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel, Darmstadt 1996;

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  14. Vgl. Elmar Wiesendahl, Wie geht es weiter mit den Großparteien in Deutschland?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1–2/98, S. 13–28, hier S. 17.

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  15. Vgl. etwa die schematische Aufzählung bei Ulrich von Alemann, Parteien, Reinbek 1995, S. 70 ff.

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  16. So aber Richard Stöss, Parteienstaat oder Parteiendemokratie?, in: Oscar W. Gabriel/Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.), Parteiendemokratie in Deutschland, Opladen 1997, S. 13–36, hier S. 34 ff.

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  17. Vgl. Viola Neu/Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Die DVU bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vom 26.4.1998, Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung, St. Augustin 1998.

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  18. Vgl. Tobias Dürr, Aufkündigungen eines Einverständnisses — Ostdeutsche Bebenkunde mit Hamburger Frühwarnung: das gesamtdeutsche Parteiengelände erodiert, in: Frankfurter Rundschau vom 13.6.1998, S. ZB 3.

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  20. Instruktiver und deutungsstärker als vieles andere sind dazu seit Jahren die Reportagen von Christoph Dieckmann in der Zeit, von Birk Meinhardt in der Süddeutschen Zeitung, zuweilen auch von Alexander Osang in der Berliner Zeitung. Als glänzendes Beispiel aus jüngerer Zeit nur Birk Meinhardt, Wenn die Graswurzeln braun werden: Lieder für Alte, Baby-sitting für Junge — hilfsbereit und höflich, still, aber gar nicht heimlich pflanzen die Nationalen ihre Ideologie in den Alltag, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.11.1998.

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  21. Vgl. Pierre Bourdieu, Über das Femsehen, Frankfurt am Main 1998, S. 26 f.

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  22. Ebenda, S. 27.

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  23. In den Sinn kommen hier jedenfalls die so zugespitzten wie berechtigten Fragen Michael Grevens: „Ist es nicht so, daß der fundierte Journalismus über Parteien, ihre Rolle im politischen System, ihren Beitrag zur Demokratie oder auch nicht (...) und zu vielem mehr, ist es nicht so, daß dieser Journalismus der akademischen Parteienforschung regelmäßig um Längen voraus ist? Was erführe man aus ihr, was man nicht längst in den Journalen gelesen hätte? Welches Problem wäre bei ihnen nicht bereits intensiv erörtert worden, bevor sich Forscher seiner umständlich annehmen, ohne daß am Ende mehr Einsicht und mehr Wissen entstünden? Natürlich ist es hernach .wissenschaftlich“ behandelt, das jeweilige Problem -aber weiß man deswegen stets mehr als vorher? Und erreicht nicht (...) auch die durchschnittliche wissenschaftliche Veröffentlichung kaum mehr als jenen Grad von Plausibili-tät, den wir auch der sorgfaltig recherchierten journalistischen Darstellung zubilligen?“ Michael Th. Greven, Die Parteien in der politischen Gesellschaft, in: Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.), Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, Opladen 1993, S. 276–292, hier S. 280.

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  30. auch Lösche, Kanzlerwahlverein? (Anm. 5), S. 82 f.

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  34. Vgl. Wolfgang Schroeder, Die Unionsparteien nach Kohl: Nationaler Neuanfang als nachholender Generationswechsel, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 45 (1998) 11, S. 977–983, hier S. 979. Zu den Ursachen der Erosion des politischen Katholizismus überhaupt vgl. das Kapitel von Franz Walter in diesem Band, S. 43–71.

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  36. Zahlen nach: Statistisches Landesamt Hamburg (Hrsg.), Analyse der Wahlen zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen 1997, Hamburg 1997; Analyse der Bundestagswahl in Hamburg, Hamburg 1998.

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  38. Ebd.

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  40. Vgl. als in dieser Hinsicht kennzeichnenden Versuch, der Praxis von Politik als bloßer Problemlösung gleichwohl so etwas wie eine theoretische Grundlegung zu geben: Anthony Giddens, The Third Way: The Renewal of Social Democracy, Cambridge u.a. 1998. Dazu mit guten Argumenten kritisch: Tony Wright, Defining the Project: The Third Way is easy to poke fun at, but without some ideological framework politics will degenerate into faction and fixing, in: Prospect, Oktober 1998, S. 10.

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  41. Gewissermaßen als vorläufiges deutsches Äquivalent zu Giddens: Bodo Hombach, Aufbruch: Die Politik der Neuen Mitte, Düsseldorf 1998.

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  42. Vgl. im übrigen auch Thomas Meyer, Die Transformation der Sozialdemokratie: Eine Partei auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Bonn 1998.

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  43. Zum folgenden vgl. insgesamt Michael Gallagher, Political parties in the Republic of Ireland, Manchester 1985 sowie Jürgen Elvert, Das politische System Irlands, in: Wolfgang Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 1997, S. 249–281.

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  46. zitiert nach Gallagher, Political Parties (Anm. 38), S.1.

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  47. Elvert, Das politische System Irlands (Anm. 38), S. 263.

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  48. Labour als dritte irische Partei gewann im Durchschnitt der Jahre 1923–1997 nur 11 Prozent der Stimmen. Vgl. Elvert, Das politische System Irlands (Anm. 38), S. 263.

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  49. Meng, Nach dem Ende der Parteien (Anm.9), S. 32.

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  50. Dieses Zitat sowie die folgenden bei Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur: Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Bonn 1956, Teil I, Kap. 10, S. 47–50.

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Tobias Dürr Franz Walter

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© 1999 Leske + Budrich, Opladen

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Dürr, T. (1999). „Irlandisierung“, nicht Ende? Einige Überlegungen zur Zukunft der deutschen Volksparteien nach dem Zerfall ihrer Voraussetzungen. In: Dürr, T., Walter, F. (eds) Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft: Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99787-6_9

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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