Zusammenfassung
In der Art, wie sich Unruhen regional ausbreiten, liegen wertvolle Hinweise für das Verständnis des kollektiven Protests. Die sorgfältige Analyse ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung erlaubt nicht nur Rückschlüsse auf die Konfliktursachen, sondern auch auf die Rolle von Kommunikationsnetzen und deren Verfügbarkeit, die Funktion radikaler Führer bzw. staatlicher oder lokaler Autoritäten. Einige Historiker haben diesen Zusammenhang übersehen. Selbst Wells, der das Erklärungspotential der regionalen Proteststreuung durchaus anerkennt, hat im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1801 geschrieben: „...die Unruhen breiteten sich aus. Dabei ist es unwesentlich, ob Nachahmung die Ursache war oder eine gleichförmige Reaktion entlang bestimmter Kommunikationsnetze“2. Stevenson ist noch weiter gegangen und hat im Blick auf Hungerproteste gemeint, „von Ausbreitung(smustern) der Unruhen zu sprechen, sei irreführend“3. Beide machen es sich zu leicht, zumal wenn es um Wellen konzertierter kollektiver Aktionen geht. Solche Ereignisse bieten uns die seltene Möglichkeit, ja „...das Privileg, als Beobachter teilzunehmen, wenn die gesamte Gesellschaft und ihre Institutionen in Bewegung geraten“4. Sie offerieren uns die Chance, im Vergleich unterschiedlich strukturierter Gemeinwesen die spezifischen Bedingungen zu identifizieren, unter denen sich die massive Mobilisierung von Menschen vollzieht. In diesem Beitrag diskutiere ich mehrere Fallstudien über die regionale Ausbreitung von Nahrungsrevolten in Südwest-England in den Jahren 1766, 1795 und 1801. Zwar haben sich Bohstedt und Williams bereits speziell mit diesem Thema beschäftigt, ich meine aber, daß bestimmte Aspekte des Verteilungsmusters von ihnen übersehen worden sind, weil sie es versäumt haben, die Proteststreuung jener Jahre in einem detaillierten Vergleich zu analysieren.5
Der Autor dankt Roger Wells und Carville Earle für ihre eindringlichen und hilfreichen Kommentare. Verbleibende Fehler und Unzulänglichkeiten gehen zu Lasten eigener Intransigenz. Übersetzung: Heinrich Volkmann.
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Literatur
R.A.E.Wells, Wietched Faces: Famine in Wartime England 1793–1801, Gloucester: Alan Sutton 1988, S. 180.
J.Stevenson, Popular Disturbances in England 1700–1870, London: Longman 1979, S. 110.
C.Levi-Strauss, The Scope of Anthropology, London: Cape 1967, S. 11f.
J.H.Bohstedt/D.E.Williams, The Diffusion of Riots: the Patterns of 1766, 1795 and 1801 in Devonshire, in: Journal of Interdisciplinary History,19/1988, S. 1–24.
Schilderungen britischer Nahrungsunruhen des 18. und frühen 19.Jahrhunderts finden sich bei A.Charlesworth (Hrsg.), An Atlas of Rural Protest in Britain 1548–1900,London: Croom Helm 1983, Kapitel 3.
J.H.Bohstedt, Riots in England with Special Reference to Devonshire, unveröff. Ph.D. Thesis, Harvard University 1972, S. 140.
Die Unruhen von 1766 im Südwesten sind am eingehendsten von D.E.Williams, English Hunger Riots in 1766, unveröff. Ph.D. Thesis, University of Wales, behandelt worden. Ich stütze mich in dieser Darstellung der Unruhen auf Kapitel 3.
Für die Unruhen von 1795 und 1801 beziehe ich mich auf J.H.Bohstedt, Riots and Community Politics in England and Wales 1790–1810,Cambridge/Mass.: Harvard UP 1983, Kap. 2; ders., Riots (Anm. 8), passim; R.A.E.Wells, The Revolt of the South-West 1800–01, in: Social History,6/1977, S.713–744 und ders., Winched Faces (Anm. 2), Tab. 5 und 12.
Vgl. Charlesworth, An Atlas (Anm. 6), S. 4f.; R.A.E.Wells, Counting Riots in Eighteenth Century England, in: Bulletin of the Society of the Study of Labour History,37/1978, S.68–72.
J.Brewer/J.Styles, Introduction, in: dies. (Hrsg.), An Ungovernable People, London: Hutchinson 1980, S. 17.
A.Charlesworth, Social Protest in a Rural Society: The Spatial Diffusion of the Captain Swing Disturbances 1830–31, Norwich: Geo Abstracts 1979.
Neben William Randalls Schilderung der Unruhen in Gloucestershire habe ich auch A.J.Randall herangezogen: The Gloucestershire Food Riots of 1766, in: Midland History,10/1986, S. 72–93.
J.G.Rule, The Experience of Labour, London: Croom Helm 1981, S. 160.
A.J.Randall, Labour and the Industrial Revolution in the West of England Woollen Industry, unveröff. Ph.D. Thesis, University of Birmingham 1971, S. 385–387.
J.G.Rule, The Labouring Miner in Cornwall c. 1740–1870: A Study in Social History, unveröff. Ph.D. Thesis, University of Warwick 1971, S. 349–395.
R.A.E.Wells, Britain’s Avoidance of Revolution in the 1790s Revisited, in: Bulletin of the Society of the Study of Labour History, 54 /1989, S. 35.
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Charlesworth, A. (1994). Die räumliche Ausbreitung von Nahrungsrevolten in Südwest-England 1766, 1795 und 1801. In: Gailus, M., Volkmann, H. (eds) Der Kampf um das tägliche Brot. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99757-9_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99757-9_3
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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