Zusammenfassung
Kleist, der Schriftsteller, begegnet uns, seinen Lesern, mit Schriftzeichen. Meist stellt er sie zu Worten zusammen, gelegentlich, so schon im Titel der Erzählung Die Marquise von O..., stehen sie für sich. Die drei Punkte hinter dem O — in zeitgenössischen Drucken werden dafür oft Asterisken gebraucht — verweisen auf andere, verschwiegene Schriftzeichen. Kleist nennt uns die Buchstaben nicht. Warum? Warum darf der Name nicht genannt werden, warum erscheint die Marquise bloß im Zeichen des O? Über diese Frage ist unlängst der letzte, ein wenig unergiebige Disput der Forschungsgeschichte geführt worden,1 und ebenso sind schon die ersten Reaktionen auf den Erstdruck der Erzählung im Februarheft des Phöbus 1808 davon bewegt. Varnhagen von Ense war verärgert: „Der große Cervantes würde nimmer sagen: in dem ***Kriege, ein Oberst der ***Truppen, bei der Bestürmung von M***, die Marquise von O***. O über den ekelhaften Kerl, der als Dichter ordentlich an sich halten will und beileibe nicht die ganze Welt enthüllen mag, in der seine Gestalten leben!“ (an Fouqué, 4. April 1808, LS 260).2 Womöglich hat Kleist als Dichter gerade deshalb an sich gehalten, um im Nicht-Nennen etwas über die Welt zu enthüllen, in der seine Gestalten leben? Denn es ist ja nicht nur der Autor, der uns, seinen Lesern, etwas verhüllt, auch seine Gestalten hüllen sich in Schweigen: das Nicht-Nennen, das Nicht-Aussprechen ist offenbar ein thematisch bedeutendes Problem der Erzählung selbst. Die Beschränkung auf das Zeichen des O hat also einen immanenten Grund in der Erzählung selbst.
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Grathoff, D. (1988). Die Zeichen der Marquise: Das Schweigen, die Sprache und die Schriften. In: Grathoff, D. (eds) Heinrich von Kleist. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99716-6_12
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