Zusammenfassung
Wenn von Masse die Rede ist, sei sie in eine Form gepreßt wie bei Massenaufmärschen oder nicht formiert wie die Fluten der Fußgänger, so ist zugleich von der Großstadt die Rede. Sie ist der Ort, an dem sich der Einzelne mit Massenphänomenen konfrontiert sieht, sei es durch Beobachtung oder Teilnahme. Die Strukturen seiner Identität werden dabei um so mehr in Frage gestellt, je stärker sich diese Identität aus realen Erfahrungen oder auch bloß aus melancholischen, rückwärtsgerichteten Projektionen einer Welt speist, die jenseits, die außerhalb der Großstadt liegt.
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Anmerkungen zu Kapitel 6
Über das Thema Großstadt gibt es eine Fülle von Literatur, näheres siehe etwa bei Volker Klotz, Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin (München: Hanser, 1969) oder Klaus R. Scherpe, Hg. Die Unwirklichkeit der Städte. Großstadtdarstellungen zwischen Moderne und Postmoderne (Reinbek: Rowohlt, 1988).
Anton Kaes, Deutschlandbilder. Die Wiederkehr der Geschichte als Film (München: edition text + kritik, 1987) 173.
Alfred Döblin, Aufsätze zur Literatur (Freiburg: Olten, 1963) 127.
Harald Jähner, Erzählter, montierter, sou fflierter Text. Zur Konstruktion des Romans ‘Berlin Alexanderplatz’ von Alfred Döblin (Frankfurt: Peter Lang„ 1984) 10.
Albrecht Schöne, »Döblin - Berlin Alexanderplatz,« in: Der deutsche Roman, Hg. Benno von Wiese, 2 Bände (Düsseldorf: Bagel, 1963) Bd.2: 303.
Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung (Frankfurt: Fischer, 1982) 71. Es ließe sich fragen, ob nicht auch Döblins Konzept des »epischen Werkes« einen dialektischen Versuch darstellt, eine Antwort auf die Möglichkeit der Darstellung von Individualität und Identität in der Moderne zu geben. »Sie erkennen hier, daß epische Werke [...] weder gleichen dem grenzenlosen alten epischen Typ noch dem schlechten modernen dramatischen Romantyp. Ich spreche hier von einem sich entwickelnden Typ moderner epischer Kunstwerke, die ganz bestimmte Formgesetze in sich tragen.« (Döblin, Aufsätze 127).
Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf (Olten: Walter-Verlag, 1961) 474–475. Die folgenden Seitenangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe.
Walter Benjamin, »Krisis des Romans,« in: Die Gesellschaft 7 (1930) Heft 6: 566.
Wenn im folgenden von diesem Text weiterhin als einem »Roman« gesprochen wird, so geschieht dies mit den geäußerten Vorbehalten. Richtiger wäre es wohl, Berlin Alexanderplatz als ein episches Werk zu bezeichnen, dessen theoretische Grundlagen Döblin in Der Bau des epischen Werkes erläutert hat. Döblin selber hat sich jedoch nicht strikt an diese Unterteilung gehalten, und schon in seinem Essay Bemerkungen zum Roman von 1917 sind wesentliche Grundlagen des epischen Werkes vorhanden.
Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der kommunistischen Partei, Werke (Berlin: Dietz Verlag, 1959), Bd.4: 469.
Freud veranschaulicht diesen Mechanismus der Bestrafung anhand der Legende der Lady Godiva: »In der schönen Sage von der Lady Godiva verbergen sich alle Einwohner des Städtchens hinter ihren verschlossenen Fenstern, um der Dame die Aufgabe, bei hellem Tageslichte nackt durch die Straßen zu reiten, zu erleichtern. Der einzige, der durch die Fensterläden nach der entblößten Schönheit späht, wird gestraft, indem er erblindet.« Sigmund Freud, Die psychogene Sehstörung in psychoanalytischer Auffassung, Studienausgabe, Hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Strachey (Frankfurt: Fischer, 1974) Bd.VI: 212.
Döblin schreibt in seinem Nachwort zu einem Neudruck von 1955: »Da dachte er nun [Franz Biberkopf. B.W.], eben aus der Zelle kommend, es ließe sich frisch, fröhlich, frei ein neues Leben beginnen. Aber da hatte sich draußen nichts verändert, und er selbst war der gleiche geblieben. Wie sollte da ein neues Resultat entstehen? Offenbar nur, indem einer von den beiden zerstört wurde, entweder Berlin oder Franz Biberkopf. Und da Berlin blieb, was es war, so fiel es dem Bestraften zu, sich zu verändern. Das innere Thema also lautet: Es heißt opfern, sich selbst zum Opfer bringen.« (508)
Ulrike Scholvin, Döblins Metropolen: Über reale und imaginäre Städte und die Travestie der Wünsche (Weinheim: Beltz, 1985) 127–128.
Laura Mulvey, »Visual Pleasure and Narrative Cinema,« in: Screen, 16.3 (1975): 10.
Der Begriff des »Panzers«, der »Panzerung des neurotischen Charakters« als ein System der Abwehr spielt eine wichtige Rolle in Wilhelm Reichs Charakteranalyse: »Jede Charakterformation erfüllt, wie wir früher ausführten, zweierlei Funktionen: erstens die Panzerung des Ichs gegen die Außenwelt und die eigenen Triebansprüchen zweitens ökonomisch, die Aufzehrung der durch die Sexualstauung erzeugten Uberschüsse an sexueller Energie, also im Grunde die Bindung der ständig neu produzierten Angst.« Wilhelm Reich, Charakteranalyse(Köln: Kiepen-heuer und Witsch, 1971) 254.
David Dollenmayer, The Berlin Novels of Alfred Döblin (Berkeley: University of California Press, 1988) 91.
Robert Minder, Dichter in der Gesellschaft. Erfahrungen mit deutscher und französischer Literatur (Frankfurt: Insel, 1966) 174–175.
Zur Frage der Leitmotive in Berlin Alexanderplatz vergleiche: Klaus Müller-Salget, Alfred Döblin. Werk und Entwicklung (Bonn: Bouvier, 1972) 326–342.
Otto Böcher, Die Johannesapokalypse (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1975) 87.
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Widdig, B. (1992). Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf: Wem der Star gestochen wird .... In: Männerbünde und Massen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99691-6_6
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