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Part of the book series: Studien zur Sozialwissenschaft ((SZS,volume 108))

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Zusammenfassung

Die französische Revolution mit ihren Folgen als einschneidendes Ereignis der Tagespolitik und die Aufklärung als geistesgeschichtliche Bewegung seit dem 16. Jahrhundert haben Ende des 18. Jahrhunderts zu einer intensiven Auseinandersetzung in der Staatstheorie geführt. Der von rationalistischer Logik und ökonomischem Nutzenkalkül dominierte angelsächsische Liberalismus kündigte sich als herrschende Theorie des kommenden Jahrhunderts an, nicht ohne eine Fülle von Gegenströmungen hervorzurufen, die häufig kurzlebig blieben, zum Teil sich aber in den Rang neuer Staatstheorien emporheben konnten. Solche Strömungen waren etwa der Kommunismus eines Babeuf, der Anarchismus Proudhons, der Aristokratismus von Burke in Großbritannien, von de Maistre und Bonald in Frankreich, von Haller und Adam Müller im deutschsprachigen Raum. Die Restauration in der ökonomischen Theorie wurde vom Genfer Sismondi angeführt. Der französische Traditionalismus beeinflußte christliche Liberalismus-Kritiker wie Baader und Buß auf katholischer, Schleiermacher und Stahl auf evangelischer Seite. Im folgenden sollen die konservativen Gegenbewegungen zum Liberalismus auf ihre Aussagekraft zur Problematik staatlichen Handelns in der Innenpolitik hin untersucht werden.

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Literatur

  1. Barrington 1954, S. 252, bezeichnet Burke als einen der Pioniere der ökonomischen Wissenschaft und betont, daß Burke und Smith unabhängig voneinander zu ähnlichen Ergebnissen kamen: “He (Adam Smith, V.M.) is reported as having said that Burke was the only man he ever met who thought exactly as he himself did on economic problems without any prior communication having passed between them” (S. 256).

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  2. Von einer “Theorie” kann kaum gesprochen werden; vgl. Pfeffer 1935, S. 449.

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  3. Burke 1887, S. 156 f.; Barrington 1954, S. 258, nennt Burke einen “Free Trader”.

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  4. Vgl. Meinecke 1928, S. 227 Fn. 3; bezüglich dessen “Staatsfeindschaft” rückt er Haller in die Nähe von Wilhelm von Humboldt (S. 232 Fn. 2); Metzger 1966, S. 273, fühlt sich bei Haller an gewisse Züge des Aufklärungs-Liberalismus erinnert, in dem “soziale” Gesetze eines vor-staatlichen Naturzustandes eine große und künstliche “Staatsmaschine” überflüssig machen.

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  5. Vgl. zur organischen Staatstheorie Lavergne-Peguilhen 1870; Kaufmann 1908; Melchior 1935.

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  6. Carl Schmitt (1968, S. 48) rechnet Wagner nicht uneingeschränkt zur Romantik, weil dessen Neigung zur “Konstruktion” völlig unromantisch sei.

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  7. Wagner 1805, S. 179; vgl. die auffällige Ähnlichkeit dieser Formulierung mit Luhmanns moderner “Theorie selbstreferentieller Systeme”, in der der Staat als “Formel für die Selbstbeschreibung des politischen Systems der Gesellschaft” gilt (Luhmann 1984, S. 102).

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  8. Ebd., S. 233 (Hervorhebungen im Original); es ist dies die konservative Vision vom Absterben des Staates neben der marxistischen (Diktatur des Proletariats), anarchistischen (Steuerung durch Solidarität und Altruismus) sowie der liberalen (Steuerung durch die unsichtbare Hand).

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  9. Schlegel 1966, S. 486; als “Übel” bezeichnet Schlegel den “allgemeinen inneren Unfrieden”.

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  10. Ebd., S. 490 Fn. 1 (Hervorhebung im Original).

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  11. Ebd., S. 543; Metzger 1966, S. 259, zitiert Schlegel mit Außerungen, wonach der Staat “das ganze wirtschaftliche Leben des Volkes aufs strengste zu überwachen” habe, “so daß alle Volksschichten zu ihrem gebührenden Anteil kommen”. Dazu zähle auch die Forderung nach “scharfer Reglementierung des Handels” (ebd.). Positiv solle der Staat an der Bildung und Sittlichkeit des Menschengeschlechtes mitarbeiten.

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  12. Heiner 1971, S. 96; die Beschränkung auf bloße “Schutz-und Ordnungsfunktion” ist m.E. aufgrund des bisher Gesagten nicht haltbar, käme dies doch einer Zustimmung Schlegels zur herrschenden liberalen Doktrin gleich.

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  13. Müller 1922 I, S. 16 (Hervorhebung im Original); im Zusammenhang mit Müller muß auch dessen Freund, der Publizist und Diplomat Friedrich Gentz (1764–1832), genannt werden, der Burke ins Deutsche übersetzt hat und Müllers Anschauungen recht nahe stand. Uber seine Ansicht vom Staat hat Reiff 1912, S. 44 ff., geschrieben: “The duty of the state is for Gentz, in general, identical with the purpose of the social compact: it consists, in the maintenance of order and peace, in the assurance of a certain amount of liberty, in the protection of law and in the advancement of the general welfare.…the protection of law stands in the first place, the promotion of welfare, however, in the second place, and in establishing this scale Gentz deviates from rationalism more than anywhere else.… He lays,… more stress on sagacity and experience and is insistent only on that nothing but the law shall be authoritative in the states…. for no government,… can be efficient and beneficial, except it be strong and centralized.” Nach Ansicht Samuels (1925, S. 121 f.) steht Gentz auf dem Boden der englischen Freihandelslehre und des ökonomischen Individualismus, zieht die Grenzen der Staatswirtschaft sehr eng und ist ein Gegner jedes Staatsinterventionismus.

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  14. Vgl. Luden 1811, S. 216; Marks 1987, S. 128, bezeichnet Ludens Theorie als sozial-staatlich konzipierten klassischen Liberalismus (was ein Widerspruch in sich ist). Wie Marks selbst feststellt, hat Ludens Staat nicht nur Sicherheit nach außen zu gewähren (S. 126) und rechtlich-politische sowie ökonomische Rahmenbedingungen bereitzustellen (S. 129), sondern auch die Gesamtkultur seiner Bürger zu fördern und zu lenken (S. 126 f.).

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  15. Die Bezeichnungen sind der “Rechtsphilosophie” entnommen; in Klammern stehen die Bezeichnungen, die Hegel (1965, S. 402 f.) in seiner früheren “Philosophie des Geistes” gewählt hat.

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  16. Rosenzweig 1974, S. 631; für Cullen 1979, S. 93, sind jedoch die Arbeitnehmer ausdrücklich aus den Korporationen ausgeschlossen.

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  17. Ahrweiler 1976, S. 124; die Interpretation der Polizei als “Agentur des Staates” ist m.E. nicht im Sinne Hegels. Hegel scheint die Polizei eher als eine Institution der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen, die wie die Korporation die Aufgabe hat, “Staatlichkeit” herzustellen; Polizei ist konstitutiv für den Staat und nicht umgekehrt.

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  18. Ebd., § 245; pointierter formuliert dies der Philosoph und Hegelianer Carl Ludwig Michelet (18011893). Die Lösung der sozialen Frage besteht für ihn in der gerechten Güterverteilung, “die aber nicht von Oben her durch den Staat bewirkt werden darf, weil sie sonst als demüthigendes Almosen erschiene. Dieselbe darf darum auch nicht einmal in Form einer Staatshilfe, z.B. durch Geldunterstützung der Arbeiter gewährt werden; sondern hier gilt der Satz: ‘Hilf Dir selbst, so wird der Himmel Dir helfen”’ (Michelet 1878 III, S. 317).

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  19. Vgl. Oizerman 1982, S. 288, der darin einen Grundwiderspruch sieht, der “die idealistische Dialektik zerrer(Bt” (S. 289; Hervorhebung im Original); Benhabib 1984, S. 177, spricht von einer paradoxen Versöhnung von moderner Freiheit und Autorität; nach Riedel 1982, S. 194, hebt Hegels Lösung die Dialektik nicht auf, sondern überspringt sie.

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  20. “… Hegel lacks the trust in individuals required for allowing a fully conflictual political society to work out its problems” (ver Eecke 1980, S. 100).

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  21. Hegel 1974, S. 275; für eine moderne Parallele im Zuge der verwaltungswissenschaftlichen Verrechtlichungsdebatte vgl. etwa Willke 1983, S. 307: “Der Staat verzichtet auf Momente seiner Hoheitlichkeit, und er tauscht aufgrund der Mitwirkung gesellschaftlicher Akteure formale Kompetenz mit materialer Effektivität seiner Steuerungsprogramme ein.”

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  22. Vgl. Baumgardt 1927, S. 384: “Ja, bei all den vielen staatstheoretischen Interessen, die Baader stets besessen hat, den Ertrag an wirklich realisierungsfähigen politischen Einsichten wird man hier fraglos als sehr gering veranschlagen müssen” (Hervorhebung im Original).

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  23. Ketteler 1924, S. 87; Stegmann 1965, S. 125, charakterisiert die Genossenschaftsidee SchulzeDelitzschs als “voll und ganz in den Vorstellungen des zeitgenössischen Wirtschaftsliberalismus” wurzelnd. Seine Vorstellungen “anerkannten lediglich den Gedanken der Selbsthilfe und des freiwilligen Zusammenschlusses, lehnten finanzielle Unterstützung durch den Staat ab und sahen in ihm nur den Schützer der Rechtsordnung”. Mit dem alten Stände-und Zunftgedanken hatten Schulze-Delitzschs Vorschläge nichts zu tun (vgl. auch oben, 2.3.4.).

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  24. Ketteler 1924, S. 74 (Ketteler greift hier ein Argument Lassalles auf); Stegmann 1965, S. 43, betont, daß Ketteler anfangs ein Gegner von Staatsinterventionen war.

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  25. Ganz im Sinne Kettelers postuliert Georg Ratzinger (1844–1899) in seiner “Volkswirthschaft in ihren sittlichen Grundlagen” (1881) das Eingreifen des Staates zur Sicherung der materiellen Interessen der Arbeiterklasse: “So lange die gesellschaftlichen Organisationen mangeln, muß der Staat sie ersetzen” (S. 409); Moennig 1927, S. 43, sieht in Ratzinger einen Anhänger Vogelsangs und des liberal-katholischen Ökonomen Charles Périn, der öffentliche Armenpflege allerdings ablehnte.

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  26. Vogelsang 1886, S. 218; für den Vogelsang-Schüler Albert Maria Weiß (1844–1925) zeigt sich die Schwäche des Staates darin, “daß auch das Kleinlichste befohlen werden muß” (1904 II, S. 974); trotz Gegnerschaft zum Liberalismus kommt Weiß bei der Eingrenzung staatlicher Tätigkeit auf die bekannte Smith-Formel zurück: “… mittelbar und aushilfsweise durch Förderung aller jener materiellen und kulturellen Aufgaben, zu denen die Thätigkeit der einzelnen und der Gesamtheit für sich allein nicht hinreicht” (S. 1003).

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  27. Vgl. Stegmann 1965, S. 155; falsch ist m.E. die Einschätzung Moennigs (1927, S. 45 ff.), die Pilgram als Gegner der Staatsintervention einstuft.

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  28. Vgl. Ritter 1954, S. 125 f.; Stegmann 1965, S. 163; Moennig 1927, S. 73; Becher 1965, S. 39, charakterisiert Hertling als weniger interventionsfreudig, weniger staatsgläubig, gar nicht sozialistisch und nie gemeinwirtschaftlich eingestellt: “Wir können niemals solche Wege gehen, die dahin abzielen, alle und jede sozialen Schäden und Gefahren durch eine absolute zwangsweise Staatsintervention abstellen zu wollen” (zit. ebd.).

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  29. Vgl. Hertling 1893, S. 62; “his point of view bore many resemblances,… to the liberal conception of the state as a passive policeman” (Bowen 1947, S. 109).

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  30. Hertling 1907, S. 149; Hertling stützt sich dabei auf die alte Interventionsformel Adam Smiths: “Der Staat soll diejenigen, das Allgemeinwohl fördernden, positiven Maßregeln ins Werk setzen, deren Durchführung über die Kräfte der einzelnen oder freier Assoziationen hinausgeht” (zit. bei Becher 1965, S. 23).

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  31. Hertling thematisiert hierbei nur das Interesse des Produzenten, nicht aber der Arbeiter an einer Erhaltung der Produktionsstätte. Seine Absage an direkte staatliche Eingriffe in die Produktion modifiziert Hertling, als er sich 1907 mit der Ubemahme gewisser Monopolbetriebe einverstanden erklärt. Die Grenzen staatlicher Intervention seien dort, wo der Staat nicht mehr das natürliche Recht der Menschen durch rechtliche und sozialpolitische Maßnahmen gegenüber den Starken schützen müsse und Selbsthilfe möglich sei (vgl. Becher 1965, S. 27).

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  32. Hitze 1880, S. 392 (Hervorhebungen im Original); “… he called upon the state to participate actively in the organizing task and he made room for a large body of continuing state functions in his new order” (Bowen 1947, S. 105 f.).

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  33. Ebd., S. 451 (Hervorhebungen im Original); vgl. auch Becher 1965, S. 38; nach Becher (S. 67) befürwortet Hitze eine staatliche Umverteilung durch Lohn-, Steuer-und Familienpolitik.

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  34. Duroselle 1951, S. 704, und Michel 1895, S. 265, betonen den Staatsinterventionismus VilleneuveBargemonts.

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  35. Die ökonomischen Ansichten der Lamennais-Schule wurden besonders von dem belgischen Ökonomen Charles de Coux (1787–1864) vertreten, der an der katholischen Universität Löwen lehrte und die Lösung der sozialen Frage im “rétablissement d’associations légales de maîtres et d’ouvriers” (Duroselle 1951, S. 43) sah; als Staatsinterventionist kann er nicht bezeichnet werden (vgl. Coux 1832, S. 77 f.). Unter Lamennais’ Einfluß stand auch der Literat und Politiker Alphonse de Lamartine (1790–1869), der ‘schon in den dreißiger Jahren eine Sozial-und-Steuerpolitik, billige Kredite, Bodenverteilung, innere Kolonisation, den Ausbau des Unterrichtswesens und Hilfskassen forderte. Lamartine polemisierte gegen das Konkurrenzprinzip, befürwortete ein Recht auf Arbeit, leimte aber Verstaatlichungen ab. Anders als Tocqueville war der Zentralist Lamartine überzeugt, daß der energisch intervenierende Staat die Freiheit schützen kann. “Lamartine proclame le devoir. Il presse, il adjure l’Etat d’intervenir” (Michel 1895, S. 333; vgl. auch Albertini 1957, S. 35).

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  36. “… die Comtesche Soziologie als intervenierende Planungswissenschaft (setzt, V.M.) einen enormen Funktionszuwachs des modernen Verwaltungsstaates voraus,… ohne selber zu planen, dient sie der Analyse von Planungsaspekten. Die Soziologie in der Rolle des social engineer hilft allenfalls noch bei der Beseitigung von institutionellen Getriebeschäden… Ihre Instrumente… füllen die Besteckkästen der Verwaltungsgremien und Bürokratien” (Massing 1966, S. 88; Hervorhebung im Original).

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  37. Marcuse 1932, S. 168; der Einfluß Saint-Simons, dessen Sekretär Comte in seiner Jugend war, kommt hier deutlich zum Ausdruck.

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  38. Interventionen sollten nach Le Play allenfalls erzieherischen Charakter haben; vgl. Werth 1928, S. 89.

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  39. Weill 1913, S. 82 (Hervorhebung im Original).

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  40. Den “Palliativen” wie Gewinnbeteiligung, Lohnerhöhungen und Arbeiterselbsthilfe zieht Le Play die Heilmittel (remèdes) vor, die das Ubel an den Wurzeln packen - die Elemente seiner “Réforme sociale” (vgl. Werth 1928, S. 90).

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  41. Gantzer 1983, S. 150; die positive Funktion von Kapitalgesellschaften sieht Le Play vor allem im Bergbau, im Eisenbahnbau und im Bankwesen.

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  42. “… le gouvernement… devrait préalablement s’enquérir des faits auprès des notabilités agricoles, manufacturières et commerciales, avec lesquelles d’ailleurs sa mission politique le mettrait journellement en contact. Ces avis, tenant compte des divers besoins qui se manifestent dans une circonscription étendue, appuyés sur les déclarations des personnes les plus compétentes, élabrés avec la sollicitude que donne le sentiment de la responsabilité personelle, contrôlés par les avis fournis sur les mêmes questions pour les autres régions et surtout par les enquêtes directes du gouvernement central, fourniraient pour l’administration générale du pays des lumières qui ont manqué jusqu’à ce jour. Us offriraient des garanties qu’on ne saurait trouver dans l’initiative des intérêts privés” (Le Play 1864 II, S. 349 f.).

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  43. Während im deutschen Katholizismus die Auseinandersetzung zwischen der liberal-korporatistischen und der etatistischen stattfand, gab es im französischen Konservatismus einen vergleichbaren Streit zwischen der klassisch-liberalen und der korporatistischen Strömung. Hauptvertreter der “Liberalen” war der bereits erwähnte belgische Ökonomieprofessor Charles Périn, der Nachfolger de Coux’ auf dem Lehrstuhl in Löwen. De Waha (1910, S. 211) urteilt: “Seine Staatsauffassung ist die des Rechts-, nicht des Wohlfahrtsstaates” und “Die Grundstimmung bei Périn ist eine nichtinterventionistische, staatsfeindliche” (ebd., Fn. 2). Périn vertritt eine christliche Caritas zur Lösung der sozialen Frage, ohne aber, wie vor ihm Villeneuve-Bargemont, die “charité” zur Regierungsaufgabe zu erklären. Staatshilfen zum Schutz der Arbeiter lehnt Périn ab, wie er jede Gesetzgebung im Widerspruch zum Prinzip vollkommener Freiheit der Arbeit sieht (vgl. Moenning 1927, S. 42; Ritter 1954, S. 40). Die Gegenspieler Périns waren vor allem der Marquis René de la Tour du Pin (1834–1929) und Graf Albert de Mun (1841–1914), die sich an einem mittelalterlichen korporatistischen Ideal orientierten und die Gründung von Arbeitersyndikaten förderten. Eine liberale Haltung zur Staatsintervention nahm der konservative Philosoph und Soziologe Hippolyte Taine (18281893) ein (vgl. Michel 1895, S. 536). Die Vollkommenheit der sozialen Organisation steht nach Taine in einem umgekehrten Verhältnis zum Quantum der Staatsintervention (vgl. Nève 1908, S. 208). Den Assoziationen komme eine intermediäre, staatliche Omnipotenz begrenzende Funktion zu. Allerdings hat der Staat bei Taine auch die Pflicht, die Arbeit der Assoziationen zu beaufsichtigen und zu schützen. Dies könne bis zum Dirigismus oder zur Übernahme dieser Arbeit durch den Staat gehen (S. 220). Der Philosoph Ernest Renan (1823–1892) betont ebenfalls die Pflichten des Staates, den er als eine “machine de progrès” (Michel 1895, S. 274) betrachtet, die sich ihrer Interventionsaufgabe nicht entziehen kann. “L’idéal d’un gouvernement serait un gouvernement scientifique, où les hommes compétents et spéciaux traiteraient les questions gouvernementales comme des questions scientifiques, et en chercheraient rationellement la solution”, schreibt Renan (zit. bei Leroy 1964, S. 224) und schließt sich damit weitgehend der Auffassung Comtes an.

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  44. Vgl. Gide 1970, S. 28; Staatsinterventionen seien dort angebracht, wo durch die Reglementierung der Arbeit, der ungesunden Wohnungen und der Lebensmittelfälschungen Schaden verhindert werden kann, und wo über die gesetzliche Form obligatorischer Versicherungen der Solidaritätsgeist zu wecken ist. Den freien genossenschaftlichen Zusammenschluß bewertet Gide gleichwohl höher, auch wenn ihm staatlicher Zwang vorangegangen ist. Gide selbst präferiert die Konsumgenossenschaft (vgl. de Waha 1910, S. 449). Die Reorganisation der Gesellschaft müsse von der Konsumentenseite ausgehen (S. 450), weil nur Konsumentensolidarität den Kapitalismus überwinden könne (S. 451). Die Arbeiter müßten Miteigentümer der als Produktivgenossenschaften organisierten Unternehmen werden, um das System der Lohnarbeit abschaffen zu können. De Waha 1910, S. 456, urteilt: “Der Solidarismus oder Kooperatismus Gides läuft auf ein großzügiges, soziales Reorganisationsprogramm hinaus, das dem korporativen Ideal der Sozialkatholiken sehr nahe kommt” (Hervorhebung im Original).

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  45. Durkheim 1922, S. 359; Michel 1895, S. 480, schreibt zu Durkheim: “Avec le progrès de la civilisation, dit-il, deux effets parallèles se produisent: accroissement des fonctions de l’Etat, accroissement de la vie individuelle.”

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  46. “… plus une organisation est complexe, et plus la nécessité dune réglementation étendue se fait sentir” (Durkheim 1922, S. 359).

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  47. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Philosoph und Neukantianer Charles Renouvier (18151903), der einen “interventionistischen Individualismus” vertritt. Für Renouvier (1908 II, S. 135) stellt die Regierung ein System geeigneter Instrumente zur Erreichung gemeinsamer Ziele, die auf andere Weise nicht erreicht werden können. Das positive Recht hat die moralischen Grundsätze in einer Gesellschaft durchzusetzen und die Rechte aller gegen partikulare Willensakte zu schützen (S. 137). Wie der liberale Ökonom Dunoyer lehnt Renouvier allerdings eine präventive Gesetzgebung ab, da diese auf Urteilen und Prognosen beruhen müsse, mithin dem Irrtum des Gesetzgebers ausgesetzt sei (S. 130). Nach dem Renouvier-Schüler Henry Michel (1857–1904) müssen sich staatliche Interventionen einzig an der “idée de justice” (1895, S. 652) orientieren.

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  48. Fouillée 1909, S. 365 f.; Fouillée nähert sich hier wieder liberalen Ansätzen, wonach sich der Staat in einem eng, begrenzten Wirkungskreis engagieren soll, während sich im ökonomischen System funktionale Aquivalente wie Assoziationen und korporative Zusammenschlüsse bilden: “La sociologie prévoit donc le moment où l’Etat ne pourra plus appliquer aux grandes associations la maxime du laissez-faire, où il sera obligé de contrôler, de prendre part lui-même à certaines opérations, d’exproprier parfois pour utilité publique les grandes compagnies, enfin de se substituer à elles, s’il le faut, ou de leur substituer de vastes coopératives pour certains services devenus si généraux qu’ils intéresseront l’universalité des citoyens au même titre que les postes et les télégraphes” (S. 412 f.).

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  49. Duguit 1908, S. 150 (Hervorhebung im Original); Duguit ist im übrigen ein Vertreter des Rechtspositivismus und verpflichtet den Staat zur Sozial-, Bildungs-und Arbeitsmarktpolitik, wenn die positiv-rechtlichen Grundlagen hierfür gegeben sind (S. 64 f.). In einer späteren staatsrechtlichen Arbeit betont Duguit (1923 HI, S. 435) ebenfalls die Pflicht des Staates, seine Bürger gegen soziale Risiken abzusichern, jedem die Existenz zu garantieren (als “devoir objectif’ des Staates, S. 632). den Arbeitsmarkt zu regulieren, den Arbeiter zu schützen (S. 629) und jedem Arbeitswilligen zu Arbeit zu verhelfen (S. 630).

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  50. Pesch 19241, S. 183 (Hervorhebungen im Original); ebenso 1911, S. 470.

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  51. Carlyle 1932, S. 278; wie Carlyle, so ist auch der Schriftsteller Hilaire Belloc (1870–1953) ein scharfer Kritiker des kapitalistischen Systems, allerdings mit eher anarchistischen als staatssozialistischen Schlußfolgerungen. In der Schrift “The Servile State” (1912) beklagt er die Versklavung einer großen Mehrheit durch eine kleine Minderheit von Industriellen. Die sozialistischen Experimente erhöhten jedoch die Abhängigkeit der Gemeinschaft von der Kapitalistenklasse nur noch. Sein anti-modernistischer Distributismus sieht eine Restauration des Privateigentums vor; jedem sollten “three acres and a cow” gegeben werden. In der breiten Streuung von Eigentum erkennt er einen Ausweg für westliche Gesellschaften, denen sonst nur die Wahl bleibe zwischen sozialistischem Bankrott und kapitalistischer Versklavung (vgl. Wilson 1984, S. 184 ff.). Ähnlich dachte John Emerich Edward Dalberg-Acton (1834–1902), wie Carlyle ein Verehrer der deutschen Romantik und insbesondere des Korporatisten Mario. Der Staat könne nur indirekt helfen und den Einfluß des Guten fördern, nicht aber das gesamte Wirtschaftsleben steuern. “Self-government” auf der Basis moralischer Verantwortlichkeit ist für Acton Merkmal einer legitimen Regierung. In der Verbreitung von Wohlstand habe der Staat die Möglichkeit, dem einzelnen indirekt Hilfe zukommen zu lassen (vgl. Fasnacht 1952, S. 81 ff. und 124 f.).

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  52. Hardenberg (1750–1822), der der liberalen Königsberger Schule um Kraus nahestand, hat sich in seiner Rigaer Denkschrift vom 12. September 1807 über seine Vorstellungen von den Aufgaben des Staates ausgelassen. Treue 1932, S. 122, nennt sie ein “schwer zu überbietendes Bekenntnis zum Smithianismus”. Hardenberg schrieb darin unter anderem: “… die Hindernisse,… im Wahn, das Wohl des Staats zu befördern, müssen weggeschafft werden,… Wenn man bei einem stetigen richtigen Überblick planmäßig und zusammenhängend verfährt, nur das Natürliche bezweckt, nur die Hindernisse, das Schädliche wegzuschaffen strebt, das was den freien Gebrauch der Kräfte des einzelnen lähmt, der unbeschränkt sein muß, wenn er die nützlichen Kräfte anderer oder des Ganzen nicht hemmt, das entfernt, was die Sicherheit gefährdet, - wenn man endlich nicht von Staats wegen die Vormundschaft des einzelnen da übernimmt, wo der einzelne selbst wirken kann, so hat man die Forderungen erfüllt, die man an die Polizei zu machen berechtigt ist… Bei der Handelspolizei beherzige man ja vor allen Dingen das Laissez-faire,… Der Staat kann und muß nach den Umständen diese oder jene (Fabriken, V.M.) unterstützen, ihre Anlage befördern, sie aus der Fremde herbeiziehen;… Die Erleichterung des Handels und Verkehrs durch Wegbau, innere Schiffahrt und Handelsverträge,… ist von großer Wichtigkeit… Über die Armenpolizei begreift es das Wesentliche in sich: daß man die Quellen der Armut verstopfen und die Unterstützung nur nach dem Grade der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsleistung geben, den Kommunitäten die Hauptsage übergeben müsse… daß der Staat für die Bildung und Anstellung geschickter wissenschaftlicher Àrzte und Heilkünstler besorgt sei und Anstalten für hilflose Kranke zweckmäßig einrichte, mit einem Worte: das beachte, was der einzelne nicht beachten kann” (Winter 1931, S. 319 ff.).

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  53. Spiegel 1968, S. 246; in einem Aphorismus stellt Schleiermacher die Frage, inwiefern die Administration ihrer materiellen Seite nach vom Gewerbe und von den Abgaben abhängt; vgl. Schleiermacher 1927, S. 628.

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  54. Ebenso betont Heinrich Ritter (1839, S. 240), daß zur Sicherung des Eigentums im “volksbildenden Staat” auch die Sicherung und Förderung des äußeren Gemeinguts und die Ordnung des Gemeinwesens als Staatszwecke hinzukommen.

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  55. Kluckhohn 1925, S. 58, bezeichnet ihn neben Novalis sogar als ersten Vertreter der organischen Staatsauffassung.

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  56. Rößler 1857, S. XXII f.; vor Rößler lehnten sich bereits die Arbeiten von Schwarz (1828), Gans (unveröffentlichte Vorlesungen 1832/33) und Eisenhart (1844) eng an die Hegelsche Staatstheorie an. Schwarz (1828, S. 21 ff.) nennt als Aufgaben der Polizei Störungen der äußeren Ordnung zu verhindern und positive Anstalten für das physische Wohl zu errichten (Gewerbe in ein richtiges Verhältnis zueinander bringen, Industrie und Handel beleben, Hilflose versorgen). Bei Gans hat die Polizei “das Hemmende des Zufalls abzuwenden und die Ordnung zu erhalten” (1981, S. 90, Sicherheitspolizei), Mängeln in den täglichen Bedürfnissen vorzubeugen (Gewerbepolizei) sowie dafür zu sorgen, “daß kein Pöbel existirt” (S. 91, Erziehungs-und Armenpolizei). Der Eiselen-Schüler und List-Anhänger Hugo Eisenhart schreibt, daß “nur die durchgreifenden Maßregeln einer großartigen Wohlstandspflege” (1844, S. 225; Hervorhebungen im Original) das heutige Europa vor dem gleichen Schicksal bewahren könnten, wie es das alte Rom ereilte. Anstatt einer nur politischen Staatslehre fordert Eisenhart eine “Socialwissenschaft” (1843, S. XXII).

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  57. Demgegenüber nennt der Marburger Staatswissenschaftler Johann Carl Glaser (1814–1894) nur drei Kreise von Regierungstätigkeiten: Pflege der Wirtschaft, Sorge für Bildung und Pflege des Rechts (1864, S. 81). Der württembergische Regierungssekretär a.D. G. Roller sieht zwei Hauptaufgaben des Staates: Sicherung des Lebens und der Gesundheit (1868, S. 10 ff.) und Sorge für ein richtiges Verhältnis zwischen Nahrungsmitteln und Bevölkerung (S. 25 ff.). Für den ersten Fall fordert er eine zentrale öffentliche Anstalt, die den medizinisch-statistischen Zustand des Landes erfaßt; um Krankheiten besser feststellen und kontrollieren zu können, spricht sich Roller für eine Krankenversagung auf öffentliche Rechnung aus (S. 17). Für zentrale Verwaltungen empfiehlt er, die Art der Durchführung nach einem Gesamtplan festzulegen; von dieser “Art der Durchführung” unterscheidet er allerdings die “Vollziehung”, in der jeder Beamte ohne Garantie allein handeln könne (S. 95).

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  58. Die in diesem Zusammenhang zu nennenden Brüder Leopold (1790–1869) und Ludwig von Gerlach (1795–1877) können als Anhänger der Staatstheorien Hallers und Adam Müllers bezeichnet werden; vgl. Shanahan 1962, S. 124.

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  59. Lavergne-Peguilhen 1870, S. 18; die Geschichte der Soziologie nimmt nach wie vor von diesem Pionier der Disziplin keine Kenntnis. Koselleck 1967, S. 475 Fn. 112, weist darauf hin, daß Lavergne vielleicht als erster den Begriff der “Gesellschaftswissenschaft” verwendet hat.

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  60. Lavergne-Peguilhen 1870, S. 138; anders Koselleck 1967, S. 475, wonach der Staat bei Lavergne die Produktion zu sichern, zu vermitteln und (auch durch Steuerpolitik) anzuregen hat.

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  61. Huber 1867, S. VI; der konservative Sozialreformer Freiherr von Broich (1832–1903), ein Gegenspieler Schulze-Delitzschs, ging noch einen Schritt weiter als Huber und trat für “Selbsthilfe ergänzt und gestärkt durch Staatshilfe” ein (vgl. König 1926, S. 54).

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  62. Paulsen 1931, S. 76 f.; Huber selbst (1864, S. 59) spricht vom Pflichtberuf des Staates bei der “mittelbaren Förderung einer socialen Bewegung” sowie als “großer Arbeitgeber”; vgl. auch Munding 1894, S. 171 f.

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  63. Paulsen 1931, S. 186; vgl. auch Shanahan 1962, S. 342; der katholische Publizist Joseph Edmund Jörg schrieb über Huber: “Sozial aber stellte sich Herr Huber von vornherein auf den Boden des öconomischen Liberalismus” (1867, S. 211).

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  64. Bowen 1947, S. 19, bezeichnet ihn als “feudal socialist”.

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  65. Biermann 1909 I, S. 199; “a combination of political radicalism and social conservatism” (Bowen 1947, S. 53).

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  66. Gierke 1963, S. 717; Gierke vereinbart diese Forderung mit liberalen Sätzen, etwa daß Selbsthilfe die Staatshilfe ausschließt oder daß der Staat “in letzter Instanz da einzutreten (habe), wo die Einzelkraft auch in ihrer Vereinigung für die Erreichung der Zwecke menschlicher Persönlichkeit nicht ausreicht” (Adam Smith-Formel). Zulässige indirekte Interventionen des Staates sind für Gierke Erziehungs-, Bildungs-und Musterinstitute sowie Wohltätigkeitsanstalten für Notfälle; direkt könne der Staat durch Wirtschaftsförderung, Sparkassen, Versicherungen und Vorschußkassen oder Verkehrsinstitute “subsidiär” eingreifen (vgl. Gierke 1868 I, S. 1040 f.).

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Müller, V. (1991). Konservative Staatstheorie. In: Staatstätigkeit in den Staatstheorien des 19. Jahrhunderts. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 108. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99519-3_3

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