Skip to main content
Book cover

Das Fremde pp 173–184Cite as

Bild-Welten und Welt-Bilder

Über versuchte Nähe zur fremden Wirklichkeit

  • Chapter
  • 462 Accesses

Zusammenfassung

Die Dämonie des Fahrens und des Photographierens — welch genaue Beobachtung all dessen, was wir gemeinhin unter Reisen verstehen: jenes Anrennen gegen die Vergeblichkeit, alles sehen oder irgendwie erfassen zu wollen. Unter dem auferlegten Diktat der Zeit wird nach einer Orientierung gesucht, dem räumlichen und chronometrischen Chaos der auf einen eindringenden Reise durch Markierungen von album- und diawürdiger Details zu entgehen. Gestatten sie doch — wie einst den Schreibern von Reisebriefen und -tagebüchern, nur sehr viel flüchtiger und punktueller — das Abenteuer zu domestizieren, sich am Ariadnefaden der Bilder, ihrer Motive und Numerierungen durchs Dickicht des Fremden zu bewegen. So wird das Terrain abgesteckt, das Labyrinthische überwunden und dem Unregelmäßigen, Zufälligen und Rätselhaften das genau Abgemessene, Karthographierte und Strukturierte entgegengestellt. Verschwunden sind die Rätsel und auch das Wagnis, sich Fremdem, Neuem, Ausländischem gar auszusetzen. Noch schwingt im Wortstamm “Ausland” das abgeleitete “Elend” mit, jedoch ein solcher Bezug auf Fuchterregendes, Unbekanntes, ja selbst auf Auslöschung und Tod wird schnell verdrängt durch die Umkehrung: Ausland wird zum Ferien “paradies”, zum vertrauten Areal, scheinbar abseits der “Hölle” des Alltäglichen. Und tatsächlich, wo sich der Reisende des 20. Jahrhunderts auch immer hinbewegt, an die äußersten Küsten oder auf die höchsten Gipfel, er ist zu Hause. Sowohl gegen die Kälte des Nordens wie die Hitze des Südens ist er gewappnet, nichts bleibt dem Zufall überlassen. Die Flut der Reisehilfen gaukelt denn auch vor, er sei keiner dieser Unverständigen und hilflos Umherirrenden, die sich nur lächerlich machen in ihrem Ruch als “Kodak-Imperialisten”. Neln, kein echter Reisender zeichnet sich noch dadurch aus, daß er sein Ziel nicht kennt und etwa glaubt, in Indien anzukommen, wenn er in Wirklichkeit an der amerikanischen Küste vor Anker geht. Denn alles ist längst berechnet, vorausgeplant und gesteuert. Aber schließlich hatte auch die Weltreise bereits beim ersten Mal ihre Unschuld verloren; daß die Exoten und Wilden Projektionen ihrer Mörder sind, das wußten irgendwie schon die Weltreisenden des 18. Jahrhunderts. Und wenn man die letzten Paradiese der Menschheit — so es sie im Zeichen des Massentourismus noch geben kann — besuchen will, glaubt man ernsthaft, daß man mit dem schlechten Gewissen eines Post-Kolonisators und -Parizipanten mehr gesehen hat als die Phantombilder aus diesen Gegenden, die das Fernsehen liefert? Wohl kaum.

Eine größere Anzahl der gezeigten Aufnahmen sind auf jährlichen Ferienreisen im offenen Wagen entstanden... Ich wüßte nicht, was solche Fahrten mehr bereicherte und spannender machte als dies beständige Ausspähen nach Motiven (...). Aber nicht immer ist es leicht, dann auch wirklich den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Nur zu oft steht die Dämonie des Fahrens der Dämonie des Photographierens entgegen.

Ein Leica-Amateur, 1935

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Buying options

Chapter
USD   29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD   49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD   59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Learn about institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Anmerkungen

  1. Lévi-Strauss 1978, 32.

    Google Scholar 

  2. v. Braun 1989, 18.

    Google Scholar 

  3. ebenda, 30.

    Google Scholar 

  4. ebenda, 32.

    Google Scholar 

  5. Mattenklott 1983, 200.

    Google Scholar 

  6. Kristeva 1990, 16f.

    Google Scholar 

  7. ebenda, 17f.

    Google Scholar 

  8. vgl. Kreidt 1987, 248.

    Google Scholar 

  9. Proust 1967, 1001f.

    Google Scholar 

  10. Bourdieu 1983, 87.

    Google Scholar 

  11. Raulff 1983, 191.

    Google Scholar 

  12. Bourdieu 1983, 49.

    Google Scholar 

  13. Anders 1983, 111.

    Google Scholar 

  14. Mettner 1983, 172.

    Google Scholar 

  15. Holmes 1980, 119.

    Google Scholar 

  16. Borges 1961, 136.

    Google Scholar 

  17. Raulff 1983, 191.

    Google Scholar 

  18. vgl. Baudrillard 1986.

    Google Scholar 

  19. Mattenklott 1983, 207.

    Google Scholar 

  20. Lingau 1989/90, 65.

    Google Scholar 

  21. vgl. Safranski 1990.

    Google Scholar 

Literatur

  • Anders, Günther: Ikonomanie. In: Wolfgang Kemp: Theorie der Fotografie III, 1945–1980. München 1983, 108-113.

    Google Scholar 

  • Baudrillard, Jean: Jenseits von Wahr und Falsch, oder Die Hinterlist des Bildes. In: Bildwelten — Denkbilder, hrsg. v. Hans Matthäus Bachmayer, Otto van de Loo, Florian Rötzer. München 1986, 265-268.

    Google Scholar 

  • Borges, Jorge Luis: Von der Strenge der Wissenschaft. In: ders.: Der schwarze Spiegel. München 1961, 136.

    Google Scholar 

  • Bourdieu, Pierre: Die gesellschaftliche Dimension der Photographic In: Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, von Pierre Bourdieu u.a. Frankfurt 1983, 85-109.

    Google Scholar 

  • Braun, Christina von: Der Einbruch der Wohnstube in die Fremde. In: dies: Die schamlose Schönheit des Vergangenen. Zum Verhältnis von Geschlecht und Geschichte. Frankfurt 1989, 15-35.

    Google Scholar 

  • Holmes, Oliver Wendell: Das Stereoskop und der Stereograph. In: W. Kemp: Theorie der Fotografie I. 1893-1912. München 1980, 115-119.

    Google Scholar 

  • Kreidt, Dietrich: Kann uns zum Vaterland die Fremde werden? Exotismus im Schauspieltheater. In: Exotische Welten — Europäische Phantasien. Ausstellungskatalog des Instituts für Auslandsbeziehungen und des Württembergischen Kunstvereins. Stuttgart 1987, 248-255.

    Google Scholar 

  • Kristeva, Julia: Fremde sind wir uns selber. Frankfurt 1978.

    Google Scholar 

  • Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen. Frankfurt 1978.

    Google Scholar 

  • Lingnau, Jochen J.: Die Entdeckung der Bilder als Lebensform. In: Bildmaschinen und Erfahrung. Hrsg.: BILDO-Akademie, Berlin 1989/90, 51-65.

    Google Scholar 

  • Mattenklott, Gert: Vorgestellte Reisen — REISEVORSTELLUNG. In: ders.: Der übersinnliche Leib. Beiträge zur Metaphysik des Körpers. Reinbek bei Hamburg 1982, 188-210.

    Google Scholar 

  • Mettner, Martina: Amateurphotographie. Reisen und Urlaub im Bild des Touristen. In: K. Pohl (Hrsg): Ansichten der Ferne. Reisephotographie 1850-heute. Giessen 1983, 151-184.

    Google Scholar 

  • Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Bd.1. Frankfurt 1967.

    Google Scholar 

  • Raulff, Ulrich: Seh-Komfort. In: K. Pohl (Hrsg.): Ansichten der Ferne, a.a.O., 188-192.

    Google Scholar 

  • Safranski, Rüdiger: Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare. München 1990.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1991 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Heger, RJ. (1991). Bild-Welten und Welt-Bilder. In: Schäffter, O. (eds) Das Fremde. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99447-9_11

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99447-9_11

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-12245-8

  • Online ISBN: 978-3-322-99447-9

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics