Zusammenfassung
Gegenstand des vorliegenden Kapitels ist der Verlauf der öffentlichen Debatten über Hausmüll in der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der 70er Jahre. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf der neueren Abfallgesetzgebung. Die wesentlichen Stationen der gesetzlich-administrativen Bearbeitung des Abfalls in diesem Zeitraum sind:
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das Abfallbeseitigungsgesetz (AbfG) von 1972 als erstes und umfassendes Rahmengesetz zur Abfallfrage;
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das Abfallwirtschaftsprogramm (AbfWP) der Bundesregierung von 1975, in dem unter dem Eindruck der Ölkrise die Idee der Abfallverwertung prominent wird;
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die Novellierung des AbfG von 1986 durch das Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen, in dem die umweltproblematischen Aspekte des Abfalls betont und der Vermeidungsgedanke eingeführt wird;
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die Verpackungsverordnung (VerpackVO) von 1991, die auf eine Reduzierung des Verpackungsmülls zielt;
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die TA Siedlungsabfall von 1993, die enge Kriterien für Abfalldeponierung vorschreibt und damit die Müllverbrennung als primäre Beseitigungstechnologie durchsetzt;
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das Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen von 1994, das die Abfallgesetzgebung unter neuen Prämissen organisiert.1
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Literatur
Bei den erwähnten Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Verordnungen handelt es sich (wie aus der Funktionslogik massenmedialer Öffentlichkeit heraus erwartbar) um die wichtigsten Anlässe öffentlicher Diskussionen über Abfälle auf Bundesebene. Damit soll keineswegs die Bedeutung von anderen Gesetzen (insbesondere des Bundesimmissionsschutzgesetzes von 1974 und seiner Novellierungen), politisch-administrativen Regulierungsbemühungen (Elektronikschrott-Verordnung, Verordnungen zu Altautos, Altölen usw.), veröffentlichten Abfallskandalen und Auseinandersetzungen um Anlagenstandorte bestritten werden (vgl. dazu SRU 1990; Weidemann 1994; Thywissen 1995 ).
In Kapitel 7 werden die Abfalldiskussionen in Deutschland und Frankreich unter systematischen Gesichtspunkten vergleichend analysiert.
Wir müssen nicht im Dreck ersticken“ - Mit diesen Worten ‘wirbt’ Bundesinnenminister Genscher fur seine Gesetzesvorlage zum AbfG im Bundestag (SZ,23.9.71). Hier wie auch im weiteren muß leider auf eine Seitenangabe bei den zitierten Pressemeldungen verzichtet werden. Diese wurden weder in Deutschland noch in Frankreich von den Dokumentationsstellen erfaßt.
Die Durchsetzung von Einweg-Getränkeverpackungen als Ersatz für Glas-Mehrweg-Flaschen wird noch 1974 vom SRU “als wenig wahrscheinlich” eingeschätzt. Verwiesen wird darauf, daß auch unter umweltschutzbezogenen Optimierungsgesichtspunkten alles für die Glas-Mehrwegflasche sprechen würde (SRU 1974: 101).
In der juristischen Interpretation wird die erste Definition als ‘subjektiver’, die zweite als ’objektiver’ Abfallbegriff bezeichnet (vgl. Bickel 1992).
Die Abfallgesetze der Länder bestehen vor allem aus Vollzugs-und Zuständigkeitsvorschriften (vgl. Zilleßen 1991: 28). Das AbfG wurde in Einzelfragen mehrfach novelliert, z.B. durch Regelungen der Beseitigung gewerblicher Sonderabfälle (21.6.76), der Verwertung von Klärschlämmen in der Landwirtschaft (4.3.82) und des grenzüberschreitenden Abfallverkehrs (’Seveso-Novelle’, 31. 1. 85 ).
Die Montage des geplanten Titelbildes nimmt die späteren (Menschen-)Flut-und Lawine-Themen vorweg und ähnelt den in der Asyldiskussion entworfenen ‘Menschenflut’-Titelbildern des Spiegel vom Ende der 80er Jahre. Aus aktuellem Anlaß wird ein Titelbild aus einem anderen Themenfeld gewählt, die Titelstory jedoch beibehalten.
Unschwer läßt sich darin eine kollektive Variante von ‘Analfixierung’ vermuten. Die Experten selbst nehmen die Übersetzungen der Zahlen in Metaphern vor, um die Dringlichkeit ihrer Botschaft deutlich zu machen (vgl. als Fundgrube Reimer 1971 ).
Schlagworte aus einem Artikel zur weihnachtlichen Müllflut (Die Zeit,8.1.71).
Dieser Diskussionsstrang wird als ‘kulturkritischer Abfalldiskurs’ bezeichnet (vgl. Kapitel 7).
Abfall ist Rohstoff - nur am falschen Ort“ (Staatssekretär Hartkopf, Bundesinnenministerium, zit. nach Handelsblatt,28.5.75).
Die Ersetzung der ungeordneten Abfallablagerungen durch geordnete Deponien ist erst Anfang der 80er Jahre abgeschlossen.
Der Schutz des Bodens und der Gewässer ist Hauptziel“, heißt es in der Begründung der Bundesregierung für ihren Gesetzesentwurf zum neuen Abfallgesetz vom 21.2.85 (BT-DRS 10/2885: 11).
Weitere wichtige Regelungen im Abfallbereich auf Bundesebene waren die Altölverordnung vom 27.10.87, die Abfallverbringungsverordnung vom 18.11.88, die Abfallbestinunungsverordnung, die Reststoffbestimmungsverordnung und die Abfall-und Reststoffüberwachungsverordnung vom 3.4.90, die Erste allgemeine Abfallverwaltungsvorschrift (Grundwasserschutz) vom 31.1.90, die Zweite allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (TA Abfall: Umgang mit besonders überwachungsbedürftigen Abfällen) vom 12.3.91 und das Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen (Abfallverbringungsgesetz vom 30.10.94).
Stichwort, unter dem eine Anfrage der Grünen vom 22.3.89 im Bundestag zu den möglichen Auswirkungen einer MVA im Einzugsbereich des Flughafens Frankfurt/Main auf den Flugverkehr im Sachregister der BT-DRS verzeichnet ist (11. Wahlperiode).
Auch die etablierten Fachzeitschriften des Abfallsektors (z.B. Entsorga, Müll und Abfall) sind bemüht, hinsichtlich der Entsorgungs-und Recyclingtechniken auf dem Stand der (kritischen) öffentlichen Diskussion zu bleiben. Ihrem Selbstverständnis als Dienstleister nach liefert die Entsorgungsbranche für jeden gesellschaftlich gewünschten Umgang mit Abfällen die richtige, und das heißt Anfang der 90er Jahre, unter Umweltaspekten optimierte Technik.
Die ‘Müllbewegung’ war ein bundesweites Phänomen, und insoweit haben hier die Verweise auf Bayern exemplarischen Charakter. Allerdings hat sie in Bayern vergleichweise große öffentliche Aufmerksamkeit und Bedeutung erlangt.
So werden Müllverbrennungsanlagen in der taz bezeichnet (19.2.91).
Diesem ‘früher-heute-Schema’ entspricht in der Diskussion um die Kernenergie nach Tschernobyl das Ost-West-Schema: der Osten wird mit unterentwickelter, mangelnder, unsicherer Technik assoziiert, der Westen mit der modernen, fortschrittlichen, sicheren Technik (vgl. Poferl 1997).
Seine grüne Nachfolgerin Höhn vollzieht dann die “Abkehr vom Müllofen” (taz,18.1.96).
Neben dem Sondergutachten “Abfallwirtschaft” des SRU (1990) sind hier beispielsweise zu nennen: die Bearbeitung des Themas “Abfall und Umwelt” auf dem 17. Umweltforum der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e.V. (AGU 1989); der WAGE-Umweltdialog “Weniger Abfall - gute Entsorgung” in den Jahren 1989–1991 (Weizsäcker 1991); die Untersuchung von Wiedemann/Femers/Hennen (1991) über Entsorgungskonflikte; das TA-Projekt “Abfallvermeidung und Hausmüllentsorgung - Vermeidung und Verminderung von Haushaltsabfällen” des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (vgl. Looß/Katz 1993); die Studie von Martens (1993) zu Konfliktpositionen in der baden-württembergischen Abfalldiskussion; die psychologische Untersuchung von Matthies (1994) zur Wahrnehmung des “Umweltproblems Müll” in Ost-und Westdeutschland.
Erst vor kurzem wurde in Münster ein Verfahren ‘kalter Verbrennung’ in Kombination mit biologisch-mechanischen Behandlungen des Hausmülls entwickelt, das die Grenzwerte der TA Siedlungsabfall zu erfüllen scheint (Vortrag von M. Timmermeister, Workshop ’Entsorgungsnetzwerke’, Duisburg-Rheinhausen, 5.12.96).
Die vorgegebenen Quoten stellen für Glas-und Papierindustrie angesichts der etablierten Altglas-und Papiersammelstellen ein weniger großes Problem dar als für Weißblech-oder Kunststoffindustrie. Auch Materialeigenschaften begünstigen oder erschweren Sortierung und Verwertung. Bspw. war Weißblech bislang mit Magneten gut maschinell aus dem Müll zu sortieren, ohne daß es hierfür gesonderter Mülltrennungen durch den Endverbraucher bedurfte.
Zu den geladenen Sachverständigen der ersten Anhörung am 10.5.93 zählen neben einigen Wissenschaftlern auch je ein Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, des BUND, des BDI, des DIHT, des VCI, des Verbands Deutscher Mineralbrunnen, des Vereins Pro Mehrweg, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des Zweckverbands Sondermüllentsorgung Mittelfranken, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, der ÖTV, des IFEU-Instituts Heidelberg, des Öko-Instituts Darmstadt und des Umweltbundesamtes. Bei der zweiten Anhörung am 27. und 28. 9.93 waren jeweils ein Vertreter des Öko-Instituts, des IFEU-Instituts, des “Besseren Müllkonzepts”, von Thyssen Stahl, des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, des Bundesverbandes des Groß-und Einzelhandels u.a.m. anwesend.
Vgl. z.B. die Wuppertal-Studie “Zukunftsfähiges Deutschland” (BUND/Misereor 1995), den Bericht der Enquete-Kommission “Schutz des Menschen und der Umwelt” mit seinen “Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff-und Materialströmen” (Enquete-Kommission 1994) und die letzten Umweltgutachten des SRU (1994; 1996).
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Keller, R. (1998). Chronik einer angekündigten Katastrophe: Die bundesdeutsche Abfalldiskussion. In: Müll — Die gesellschaftliche Konstruktion des Wertvollen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99391-5_6
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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