Zusammenfassung
Der Name „Bürgerinitiative“ hat etwas Herausforderndes an sich. Diese Herausforderung kann vom schlichten Zur-Kenntnis-nehmen, über den protestierenden Vorwurf des Versagens anderer, bis hin zur „systemüberwindenden“ Kriegserklärung reichen. D.h. mit dem Wort Bürgerinitiative können sehr unterschiedliche Inhalte, Ziele und Aktionsformen verbunden sein. So kann, um bei den genannten drei Beispielen zu bleiben, mit der Verwendung des Wortes zunächst auf die schlichte Selbstverständlichkeit aufmerksam gemacht werden — was man zur Kenntnis nehmen möge — daß in einer Demokratie Bürger jederzeit befugt und aufgerufen sind, im Rahmen der geltenden Gesetze und unter Beachtung der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten demokratisch legitimierter Institutionen ihren Beitrag zur Wahrung ihrer eigenen Interessen und der ihrer Mitbürger zu leisten. Daß in diesem Sinne Bürger Initiativen ergreifen, sollte in einer Demokratie die selbstverständlichste Sache der Welt sein.
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Anmerkungen
In seinem 195 3 erschienen wichtigen Aufsatz „Zum Begriff der politischen Freiheit“ hebt F. Neumann hervor: „Politisches Handeln in einer Demokratie ist die freie Wahl der Repräsentanten und die spontane Reaktion auf die Entscheidungen dieser Repräsentanten. Das wiederum setzt voraus, daß soziale Gebilde, wie etwa politische Parteien und Gewerkschaften, vom Staat unabhängig, daß sie offen und dem Druck von unten zugänglich bleiben; daß die Wähler, wenn mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert, in der Lage sind, sich spontan zusammenzutun, um sie zu lösen ...: keine Freiheit ohne politische Aktivität.“ (Zitiert nach W. Steffani (Hrsg.) : Parlamentarismus ohne Transparenz. Opladen 1973, S. 21.) Siehe auch F. Hegner, „Entstehungsbedingungen von Bürgerinitiativen im Spannungsfeld von Bürger und Verwaltung“, in : H. Matthöfer (Hrsg.) : Bürgerbeteiligung und Bürgerinitiativen; Argumente in der Energiediskussion. Bd. 3, Villingen 1977, S. 158–206, sowie F. Minssen, „Die Arbeitsgemeinschaft für Bürgerinitiativen“, in: Partizipation — Aspekte politischer Kultur. Offene Welt Nr. 101/1970, Opladen 1970, S. 168–173.
Siehe H. Marcuse, „Repressive Toleranz“, in: Robert P. Wolff, B. Moore und H. Marcuse: Kritik der reinen Toleranz. Frankfurt/Main 1966, S. 93–128; hier allerdings mit strenger Parteilichkeit im Sinne „kritischer Theorie“ verstanden, wonach Intoleranz „vor allem gegenüber den Konservativen und der politischen Rechten“ geboten sei (ebd. S. 121).
Zum Ganzen jetzt H. Mandt, „Grenzen politischer Toleranz in der offenen Gesellschaft — Zum Verfassungsgrundsatz der streitbaren Demokratie“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3/1978, S. 3–16. Zu Marcuse ebd. S. 15 f.
Näheres dazu bei S. Mampel: Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Text und Kommentar, Frankfurt/Main 1972, S. 174 ff. und 488 ff.
Zur Grundwertedebatte mit Stellungnahmen von Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Werner Maihofer u. a. siehe G. Gorschenek (Hrsg.): (1977). Siehe auch R. v. Weizsäcker: CDU-Grundsatzdiskussion — Beiträge aus Wissenschaft und Politik. Bonn 1977, bes. S. 25–80.
Dazu F. Fuchs und E. Jesse, „Der Streit um die ‚streitbare Demokratie‘ — Zur Kontroverse um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 3/1978, S. 17–35, bes. S. 20 ff.
Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Konzept aus „linksliberaler“ Perspektive bietet E. Denninger (Hg.) Freiheitliche demokratische Grundordnung — Materialien zum Staatsverständnis und zur Verfassungs-wirklichkeit in der Bundesrepublik. 2 Bde., Frankfurt/Main 1977.
Zur Pluralismusdiskussion Kremendahl (1977) sowie Maier/Oberreuter (Hg.) (1977).
In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Die Demokratie des Grundgesetzes ist eine grundsätzlich privilegienfeindliche Demokratie“. BVerfGE, Bd. 40, S. 296 ff. (Zitat S. 317).
Daß das Petitionsrecht dem Bürger eine Chance eröffnet, mit Initiativen auf den politischen Prozeß einwirken zu können, verdeutlicht die Geschäfts-ordnung des Landtages von Schleswig-Holstein, in der der Petitionsausschuß den Namen „Ausschuß für Bürgerinitiativen und andere Eingaben“ (§ 9 Abs. 1 Ziff. 11 GG), trägt. Siehe Hübner, in: (1972) S. 199–201, sowie Battis (1975), S. 139–149, bes. 148 f.
Das Gemeinwohl wird zum zentralen Definitionsmerkmal bei T. Rasehorn: „Bürgerinitiativen sind autonome, spontane, aktionsbereits und projekt-orientierte Vereinigungen, die über das Partikularinteresse ihrer Mitglieder hinaus auf das Gemeinwohl motiviert sind.“ T. Rasehorn, „Bürgerinitiativen und Gemeinwohl“, in : D. von Posser und R. Wassermann (Hg.) : Freiheit in der sozialen Demokratie. Karlsruhe 1975, S. 317–324, Zitat S. 317.
Mayer-Tasch (1976), S. 14.
Hierzu mit weiteren Literaturhinweisen Stolleis (1978), S. 37–45.
Siehe E. Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien. 5. Auflg., Stuttgart 1973,S. 197 ff. und Kremendahl a.a.O., S. 450 ff.
Fraenkel a.a.O., S. 200.
Zum Folgenden siehe die grundlegende Arbeit von v. Arnim (1977).
v. Arnim a.a.O., S. 50 f.
Ebd., S. 51.
Dazu v. Armin a.a.O.
Daß v. Arnim den Neopluralismus Ernst Fraenkels unter Berufung auf neueste politologische Forschung (lediglich R. Eisfeld und Gudrich/Fett (!) werden hierbei angeführt) als eine Form des Laissez-Faire-Pluralismus unter die Rubrik „pluralistisches Harmoniemodell“ subsumiert, stellt eine bedauerliche Fehlinterpretation seines sonst verdienstvollen Buches dar. Zum Neopluralismus Ernst Fraenkels siehe Kremendahl a.a.O. und meinen Aufsatz „Pluralismus — Konzeptionen, Positionen, Kritik“ in: Maier/Oberreuter a.a.O. S. 3–33. bes. S. 16 ff.
Art. 79 Absatz 3 GG.
Ob man allerdings extrem unsozial-egoistische — d. h. durchaus menschliche — Bürgerinitiativen als „unmenschlich“ charakterisieren sollte, dürfte sicherlich nicht nur eine Geschmacksfrage sein. Siehe hierzu K. Oeser, in: W. H. Butz u. a. (1974), S. 47.
v. Armin a.a.O., S. 248 ff.
Thesen mit Erläuterungen in: Union in Deutschland; CDU-Dokumentation 42/43 vom 8.12.1977, „Bürgerinitiativen als Problem von Staat und Gesellschaft“, S. 1 f.
Offe, in: Grossmann (Hg.) (1971), S. 152–165.
Ebd., S. 159 und 162 f.
Zur Kritik an Offes Konzeption Oeser a.a.O., S. 29 ff., bes. S. 33 ff.
Die erforderlichen Unterlagen, aus denen im Folgenden zitiert wird, sind mir freundlicherweise von Herrn Oberstudienrat Paul Willenborg, Sprecher der Cloppenburger Bürgerinitiative „Schutz der Umwelt“, zur Verfügung gestellt worden.
Bescheid des Finanzamtes Cloppenburg vom 20. Mai 1977, S. 1.
Ebd.
Mayer-Tasch (Anm. 10, a.a.O., S. 161 f.) verweist in diesem Zusammenhang auf das sogenannte „Gesetz“ der „antagonistischen Kooperation“, Siehe auch Grossmann a.a.O., S. 166 ff.
Siehe Oeser a.a.O., S. 46 f.
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© 1978 Westdeutscher Verlag, Opladen
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Steffani, W. (1978). Bürgerinitiativen und Gemeinwohl. In: Guggenberger, B., Kempf, U. (eds) Bürgerinitiativen und repräsentatives System. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99364-9_3
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