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Die Erhebung von Geltungsansprüchen als kommunikative Synthesis von Bedeutungsselektionen

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Zusammenfassung

Bisher haben wir das Problem der Koordination von Bedeutungsselektionen ohne Bezug auf die weitergehenden Rationalitätsansprüche diskutiert, die nach den Annahmen der Habermasschen Universalpragmatik mit jeder Äußerung im Kontext kommunikativen Handelns verknüpft sind. Folgen wir jedoch der Argumentation von Habermas, dann besteht zwischen dem Verstehen einer Äußerung und der Kenntnis der Bedingungen für die Einlösung der mit ihr verbundenen Geltungsansprüche (Wahrhaftigkeit, Wahrheit, Richtigkeit) ein interner Zusammenhang. Danach verstehen wir eine Äußerung nur, wenn wir wissen, “ ..unter welchen Bedingungen der mit ihr verbundene Geltungsanspruch akzeptabel ist, d.h. von einem Hörer normalerweise anerkannt werden müßte”. Die kommunikative Synthesis der Bedeutungszuweisungen erscheint zwar nicht daran gebunden, daß der Hörer die Interaktionsofferte des Sprechers akzeptiert. Sie verlangt aber doch, daß zumindest Übereinstimmung darüber besteht, welche Gründe gegebenenfalls ausreichen müßten, um einen widerstrebenden aber rational motivierten Adressaten zur Annahme zu veranlassen. Betrifft ein Dissens nicht nur Geltungsansprüche, sonder auch die Art der Gründe, mit denen sie eingelöst werden könnten, ist kein übereinstimmendes Verstehen erreicht.

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Literatur

  1. Siehe Habermas 1981, Bd.1, S.168; vgl. dazu auch a.a.O., S.424ff.

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  2. Siehe entsprechend Habermas 1981, Bd.1, S.450. Den Anknöpfungspunkt innerhalb der Sprechakttheorie bietet hier Searles Nachweis (vgl. 1982, S.139ff.), daß die wörtliche Bedeutung eines Sprechaktes gebunden ist an ein bestimmtes Hintergrundwissen über die Welt. Das Lebensweltkonzept rastet an dieser Stelle ein.

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  3. Siehe Habermas 1981, Bd.2, S.199; a.a.O., S.189 spricht Habermas auch von der Lebenswelt als einem “..kulturell überlieferten und sprachlich organisierten Vorrat von Deutungsmustern..”.

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  4. Siehe dazu — jedoch mit ausgesprochen harmonistischer Tendenz — Habermas 1988, S.417. Wir kommen darauf zurück.

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  5. Vgl. Habermas 1976, besonders S.251ff.; 1981, Bd.1, S.376.

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  6. Sprechakttheoretisch ist diese konditionale Begründungsverpflichtung als Konformitätsbedingung im Sinne Wunderlichs (s.o.) zu betrachten.

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  7. Vgl. dazu u.a. Habermas 1991, S.24.

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  8. Und nicht etwa gerade dabei war, den Text einer Rolle zu sprechen, einen Scherz zu machen o.ä.

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  9. Siehe Spranz-Fogasy 1986, S.20; entsprechend Knoblauch 1991, S.173f. und 178.

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  10. Siehe Schegloff/Sacks 1974, S.239.

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  11. Schegloff/Sacks 1974, S.240.

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  12. Wir entnehmen dieses Beispiel aus Knoblauch 1991, S.177.

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  13. Siehe Knoblauch 1991, 5.178. Schank (1987, 5.34f.) deutet derartige Unterbrechungen als eine Verletzung der turn-taking Regeln, die charakteristisch für Konflikte sei und “eklatant unkooperatives Handeln” bedeute. Uns interessiert hingegen, inwiefern Unterbrechungen u.U. gerade zur Lösung eines Kooperationsproblems erforderlich sind.

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  14. Knoblauch 1991, a.a.O.

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  15. Entnommen aus Knoblauch 1991, S.178 und 183. Da wir die Sequenz ohne Unterbrechung zitieren, lassen wir — abweichend vom Original — die Nummerierung der Beiträge durchlaufen.

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  16. Dafür spricht vor allem, daß er mit der geringen Größe des Recorders einen Sachverhalt anspricht, der zumindest geeignet ist, die Behauptung eines geringen Stromverbrauchs zu stützen.

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  17. Dies gilt zumindest dann, wenn man mit Habermas an der Annahme einer internen Verknüpfung zwischen der Ausführung einer Behauptung und dem Erheben eines darin thematischen Geltungsanspruchs festhält, mithin also die Möglichkeit offensichtlich grundloser Behauptungen ex definitionem ausschließt.

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  18. Diese Annahme wird gestützt durch Knoblauchs Erläuterung zu dieser Szene; vgl. 1991, S.178, Anmerk.9.

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  19. Man kann freilich fragen, ob der Sprecher nicht doch ursprünglich davon überzeugt war, daß 3.2 Watt eine korrekte Angabe sind; warum sollte er sonst einen derartig genauen Wert nennen? Vielleicht haben ihn strategische Gründe (wie z.B. die Annahme, daß er gegen die vermutlich überlegene Kompetenz des anderen nur verlieren könne oder das Ziel, sich von der Fortsetzung seiner Darstellung nicht ablenken zu lassen) zu dieser Reaktion veranlaßt. — Wir halten diese Überlegung für durchaus plausibel. Sie bewegen sich jedoch ausschließlich in der psychischen Systemreferenz und verfehlen daher, als Einwände gedeutet, die Ebene unserer Argumentation.

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  20. So auch Knoblauch 1991, S.178.

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  21. Leicht möglich wäre auch ein alternativer Verlauf, bei dem sich der Autor erst durch den apodiktischen Widerspruch zur Verteidigung seiner Äußerung als Behauptung motivieren lassen würde, obwohl er mit dieser Außerung ursprünglich keinen entsprechenden Geltungsanspruch intentional verband. In diesem Falle würde eine Synthese der Bedeutungszuweisungen als Resultat einer nachträglichen kommunikativen Katalyse von Motiven erreicht.

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  22. Siehe Knoblauch 1991, S.183.

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  23. Anders wäre es vermutlich gewesen, wenn Uschi behauptet hätte, daß Becker 96 Prozent Steuern zahlen müsse.

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  24. Ein mögliches Motiv für ein solches Verhalten könnte etwa darin bestehen, daß sie mit der von Christian in der Diskussion bisher vertretenen Position sympathisiert und ihn durch ihre Reparaturaufforderung vor einem Fehler bewahren will, der den Opponenten eine unnötige Angriffsfläche böte. Mit dem Ausdruck “Gesamtbeitrag” bezeichnen wir mehrere Beiträge eines Sprechers, die durch interne Sinnbeziehungen miteinander verknüpft sind, aber im Wechsel mit Außerungen anderer Sprecher realisiert werden.

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  25. Siehe zum folgenden Knoblauch 1991, S.183.

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  26. Vgl. dazu Schneider 1994.

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  27. So wenn er (a.a.O., S.184) im Blick auf die Fortsetzung der Diskussion zwischen Willi und Herbert im Anschluß an die oben zitierte Sequenz feststellt: “But in this case, too, both speakers try to avoid the asymmetry of knowledge”.

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  28. So die Darstellung Gadamers 1986, S.282.

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  29. Siehe Melanchthon, Opera XIII, S.417f., zitiert nach Gadamer 1986, S.282.

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  30. Siehe Gadamer 1986, S.309.

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  31. Siehe Gadamer 1965, S.351ff.

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  32. Vgl. dazu Collingwood 1955 und 1957; als Analyse zu Collingwoods “Logik von Frage und Antwort” siehe Schneider 1991, Kap.3.

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  33. Wir verwenden im folgenden den Ausdruck “Text” für jeden derartigen Zusammenhang.

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  34. So etwa die Steuern, die “..a kid like Boris Becker..” mit horrendem Einkommen zahlt, als Illustration dafür, daß die Einkommenssteuersätze zu niedrig sind.

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  35. Damit ist nicht gesagt, daß Christian für sich von vornherein einen entsprechenden Unterschied zwischen den Teilen seiner Gesamtäußerung gemacht hat, den er jetzt nur noch mitteilt. Wahrscheinlicher klingt vielleicht die Vermutung, daß die argumentativen Schwierigkeiten, in die er sich mit seiner 0-Steursatz-These manöverierte, ihn zu der Erkenntnis kommen ließen, daß sie für seine Zwecke überflüssig war und ihn dazu veranlaßten, sie als unnötigen Ballast über Bord zu werfen. Vielleicht aber plante er bis zu Uschis Unterbrechung eine völlig andere Fortsetzung seines Beitrags, bei der er nicht so leicht auf die 0-Steuersatz-These hätte verzichten können und sah sich erst durch Uschis Widerspruch dazu veranlaßt, nach einer alternativen Fortsetzung zu suchen, die es ermöglichte, diesen Widerspruch als irrelevant zu umgehen. Was sich retrospektiv als vorgegebener Scopus seines Gesamtbeitrages ausnimmt, ware so ein innovatives Produkt einer kommunikativen Ausweichstrategie. — All dies ist möglich, bezieht sich jedoch auf die Ebene psychischer Prozesse und berührt insofern nicht die Geltung unserer Argumentation.

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  36. Vgl. entsprechend Luhmann 1984, S.212, der “..ein Elementarereignis von Kommunikation .. als kleinste noch negierbare Einheit” definiert.

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  37. Dies schließt die Möglichkeit ein, daß ein früherer Beitrag durch einen späteren des gleichen Sprechers in eine periphere Position manöveriert und damit sein Scopus den austauschbaren Einheiten eines veränderten oder umfassenderen Arguments zugeschlagen wird.

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  38. Vgl. dazu Habermas 1981, Bd.1, S.168 und 424ff.

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  39. Zum Begriff des Rahmens vgl. Goffman 1980. Anders als bei Goffman geht es hier jedoch nicht um die Rahmung des Interaktionstyps, sondern um eine sekundäre Rahmung, die die primäre Rahmung der Interaktion als Argumentationssituation voraussetzt.

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  40. Vgl. dazu Habermas 1981, Bd.2, S.184ff.

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  41. Es handelt sich dabei um eine Fernsehdiskussion, die im Rahmen der Reihe “Der heiße Stuhl” von RTL im Sommer 1992 etwa zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele in Barcelona gesendet wurde. — Die Beteiligten waren: Manfred Ommer (ehemaliger Europarekordinhaber über 100m) als Befürworter der Freigabe von Doping auf dem “heißen Stuhl”; ihm standen als Opponenten gegenüber: Prof Dr. Joseph Keul (Mannschaftsarzt für Olympia und Betreuer der Daviscup Tennis-Damen); Dr. Hans Evers (Vorsitzender der Anti-Doping Kommission des Deutschen Sportbundes); Gabi Lesch (Leichtathletin und Aktivensprecherin); Michael Groß (Ex-Schwimmweltmeister und Goldmedaillengewinner); Wilhelm Schmidt (sportpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion); Moderator: Olaf Kracht. Die zitierten Beiträge der Beteiligten sind jeweils mit dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens, die Beiträge des Moderators mit ‘M’ gekennzeichnet.

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  42. Verwendete Transkriptionszeichen:: steht (a) bei Dehnungen des ohne Leerschritt vorausgehenden Lautes oder (b) bei kurzem Innehalten, wenn der : durch einen Leerschritt vom vorangehenden und vom nachfolgenden Laut getrennt ist; intonatorisch angezeigtes Ende eines turns; interne Gliederungsabschnitte eines turns (häufig abweichend von den Regeln orthographischer Zeichensetzung); kursiv kennzeichnet Überlappungen; hh deutlich vernehmliches Ein oder Ausatmen; ? Identifikation nicht eindeutig; (unv.) unverständliche Stelle.

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  43. Entsprechende Bestimmungen des Scopus finden sich mehrfach in Ommers Argumentation. — Mit Garfinkel und Sacks (1970, S.351) könnte hier auch von “formulations” gesprochen werden, die sie wie folgt definieren: “We shall speak of conversationalist’s practices of saying-in-so-many-words-what-we-are-doing as formulating”; vgl. dazu auch Heritage/Watson 1979.

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  44. Von den Opponenten erstmals ausdrücklich ins Gespräch gebracht wird die erwähnte Vorbildfunktion kurz darauf in einem Beitrag von Michael Groß: 59 G: Ja, zunächst is mer als Leistungssportler, ich spreche aus eigener Erfahrung, Vorbild für hunderttausende Kinder, es is ja so, wenn Leistungssportler dopen würden, ich sach ma eh die ganzen Schwimmer auf der Welt wärn vollgedopt, dann müßten sich 14 oder ich sach ma 13-jährige Mädels übernehmen, um so werdn zu werdn wie die, muß ich mich genauso dopen, sprich :: die Eltern müßten entscheiden, wir geben unserem Kind Doping, das wär eigentlich die Konsequenz, es ist ja : faktisch so, daß man mit 13–14 Jahren knüppelhart trainiern muß, und das : in heutzutage : eh läuft das natürlich auch ohne Doping, aber wenn das Doping legalisiert werden würde, müßten 13–14jährige Mädchen mit Doping vollgepumpt werden. 60 M: Müßten die das, Herr Ommer. 61 O: Ich weiß gar nicht, warum die das müßten. Groß konstruiert hier einen direkten Kausalzusammenhang zwischen der Zulassung von Doping für erwachsene Sportler, und dem Doping von Kindern, das als Folge zu erwarten sei. Ommer hat zuvor bereits betont, daß er nur die Legalisierung für Erwachsene anstrebe, keinesfalls aber für Kinder oder Jugendliche. Darin, daß dies ein unerwünschter Effekt wäre, besteht insofern kein Dissens. Ommer bestreitet allein die empirische Triftigkeit des von Groß behaupteten Zusammenhanges, ohne dafür jedoch eine Begründung zu geben. Die Frage wird dann nicht weiter erörtert.

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  45. Ob Groß eine entsprechende Mitteilungsabsicht mit seinem Beispiel verband ist dabei sekundär, ebenso auch die Frage, ob Groß dieser Prämisse überhaupt zustimmen würde. Es genügt, daß es sich hierbei um eine ohne Zusatzvoraussetzungen mögliche Auslegung des gewählten Vergleichs handelt. (Jeder Vergleich ruft zur Beobachtung von Ahnlichkeitsbeziehungen auf, ohne sie vollständig explizieren zu können. Er baut auf kongruente Kri- terien der Relationierung beim Empfänger, der das nicht Gesagte schon ergänzen wird und ist damit in besonderer Weise offen für abweichendes Verstehen.)

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  46. Siehe dazu auch 330 0: Herr Kracht, meine- meine These is, es is in der Leistungsgesellschaft, in der mir Leben: völlig normal, daß jemand seine Leistung steigern will, um nach oben zu kommen. und-: (überlappend mit 331 G?) —

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  47. 299 S: unv. darf ich aber noch ein Argument in aller Kürze einführn, ich finde daß der Herr Ommer eines gemacht hat, ich glaube, wir sind auf einem ganz gefährlichen Weg, daß wir die Sportler gewissermaßen als unsere Sklaven vermarkten, daß wir dafür sorgen, daß sie bei solchen Leichtathletiksp- (überlappend mit NN: Davon leben sie doch), daß sie bei solchen Leichtathletiksportfesten gedopt an den Start gehr, damit irgend jemand sein Schnitt macht und sein Gewinn dabei herausholt, (überlappend mit M: Na ja gut::) darauf verzicht ich auf solche Leichtathletikveranstaltungen unv. (überlappend, im ersten Teil mit M: Frau Lesch:; im zweiten Teil mit O: Sie vielleicht, aber nicht die Öfeendichkeit), und ich muß sagen, der Herr Ommer mit seiner (überlappend mit M: Herr Schmidt :: Herr Schmidt:) Effekthascherei hier an diesem Tisch so(unv.), (überlappend mit O: Aber niemand-) seine finanziellen (unv.), weiter nix (überlappend mit 300 M).

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  48. Auffällig ist dabei die (auch an anderen Stellen sichtbar werdende) Austauschbarkeit bzw. Kombinierbarkeit dieser diskreditierenden Etiketten. Sie werden tendentiell als äquivalente Disqualifikationsausdrücke verwendet ohne Rücksicht darauf, daß sie ihrem semantischen Gehalt nach nicht ohne weiteres gleichzeitig und im Hinblick auf denselben Sachverhalt erfüllt sein können.

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  49. Als weiteren Beleg dazu ein Kommentar von Günther Nonnenmacher in der Frankfurter Allgemeine vom 23. Januar 1993 mit dem Titel “Träumer und Heuchler” . Unter dieser Überschrift wird das Verhältnis der Deutschen zum Einsatz militärischer Gewalt als Mittel der Politik diskutiert und eine grundsätzlich antimilitaristische Haltung angesichts von Konflikten wie im ehemaligen Jugoslawien oder mit dem Irak als ‘out of step’ mit der Realität kritisiert. Am Schluß des Kommentars findet sich dann der Satz, der für den Titel Pate gestanden hat: “Politiker, welche behaupten, sie wollten die Wurzeln von Krieg und Gewalt in der Welt ausrotten, die es aber ablehnen, gegen Krieg und Gewalt einzuschreiten, handeln nicht moralisch: im besseren Fall sind sie Träumer, meistens sind sie Heuchler.”

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  50. Mit der Änderung von Selbstdefinitionen variieren die möglichen Beschreibungen abweichender Positionen: Wer sich selbst nicht als Realist sondern als Moralist sieht, für den stehen die Vertreter einer Gegenposition allemal auf der Seite der Unmoral, sei es vorsätzlich oder aus Unwissenheit. Als Zuschreibungen (im Spektrum der Normalität) kommen dann vor allem in Frage: Fehlgeleiteter, Defätist/Konformist, Zyniker sowie die Kategorie des wissenden, aus eigenem Antrieb (und zum eigenen Vorteil) wohl überlegt handelnden ‘Täters’. Wieder andere Fremdkategorisierungen hält bereit, wer sich selbst als Skeptiker begreift und infolgedessen auf der Gegenseite Dogmatismus identifizieren muß usw. Jedes Set derartiger Kategorisierungsmöglichkeiten definiert zugleich einen Selektionsraum für kommunikative Strategien, über die in der Auseinandersetzung mit Vertretern abweichender Positionen disponiert werden kann. Dabei scheint den jeweiligen Selbstkategorisierungen gemeinsam, daß sie die Relation zur Gegenposition asymmetrisieren, indem sie diese dem Negativ-Pol eines Wert/Unwert-Schemas zuordnen. Die wechselseitige Supposition einer diskursiven Rationalitätsanforderungen entsprechenden Motivationsstruktur und Einsichtsfähigkeit, wie sie Habermas als wesentliche Voraussetzung von Diskursen nennt, kann dadurch bereits auf der Ebene wechselseitiger Globaltypisierungen konterkarriert werden.

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  51. Siehe dazu auch Ommers explizite Formulierung seiner diesbezüglichen Diskussionsstrategie in einem Zwischenruf zu 253 S: “Damit will ich nur zeigen, daß sie alle vor Heuchelei und Lügnerei doch -unv.”.

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  52. Bis zu diesem Zeitpunkt ist etwa ein Viertel der Gesamtdiskussionszeit von 50–55 Minuten verstrichen.

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  53. Von Interesse ist dabei auch, daß die Sportlerin und Aktivensprecherin Lesch für die Ablösung der Funktionäre, der Politiker und ehemalige Sportfunktionär Schmidt dagegen nur für die Aufgabe der Leistungsnormen votiert.

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  54. 1090: Aber wen wollen sie überhaupt kontrollieren, sie sprechen heute von Kontrolle, im Tennis kommen keine Kontrollen vor, wie wir wissen, im Schwimmen kommen sie selten vor, in der Leichtathletik kommen sie jeden Tag vor (gleichzeitig, zunächst mit 110 L, dann mit 111 S). 110 L: Ja gut, des is es ‘n andrer Punkt 111 S: Aber darum wolln wer’s doch schärfer machen. Darum is doch auch mein Ansinnen, en Anti-Doping-Gesetz zu machen, wo wer’s schärfer machen, weil der Sport das nich hinkricht zur Zeit, das gebe ich ja gerne (unv.; Stimmengewirr) nur dies dann schärfer zu machen ist doch die Folge und nicht freizugeben (gleichz. mit 112 M).

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  55. Dieses Manöver ist durchaus vergleichbar mit der Einschränkung des Anwendungsbereichs einer wissenschaftlichen Theorie, die auf einem Sektor mit einer übergroßen Anzahl widersprechender Instanzen konfrontiert wird. In beiden Fällen verringern sich dadurch die Möglichkeiten der Kritik.

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  56. 82 M: Herr Schmidt, sagen sie mir eins, knallharte Kontrollen fordern sie, das klingt so mächtig nach Polizeistaat, die die Sportler überall abgreifen, wo sie sie nur kriegen können, also nach Vorbild klingt das für mich auch nich. 83 S: Ja aber, dies is doch zunächst erst mal der Punkt, den wir herstellen müssen, wir müssen die Grundsituation wieder bereinigen, und dazu heißt es, knallharte Kontrollen, dazu heißt es auch insbesondere den Dealern, nicht den Sportlerinnen und Sportlern, mit entsprechenden Folgerungen ans Werk zu gehn, und dafür zu sorgen, daß das dann auch ne Vorbildfunktion wieder hat, wie Michael Groß das mit Recht gesagt hat, das haben wir im Schwimmsport alles jehabt (gleichz. mit 84 0). “Knallharte Kontrollen”, um die “Grundsituation wieder zu bereinigen” und Sanktionierung vor allem der “Dealer” und nicht der Sportler. Dealer vs. Sportler, damit stellt Schmidt das Doping-Problem auf eine Stufe mit dem Problem des Konsums illegaler Drogen. Als eigentliche Täter sollen die Dealer, diejenigen also, die aus dem Doping von Athleten Gewinn ziehen, zur Rechenschaft gezogen werden. Bei dieser Rollenverteilung stehen die Sportler per Implikation auf der Seite der Opfer, vergleichbar den Drogensüchtigen, um deren Schutz es geht. Doping im Sport wird so dargestellt als illegales Geschäft auf potentiell mafioser Grundlage (mit ‘Drogenkartellen’etc.; die ‘Opfer’ treffen freilich bislang die härtesten Strafen, nämlich — bei konsequenter Verfolgung — Berufsverbot) .

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  57. Die Diskussion endete ca. 1 Minute später mit dem Beitrag 376 M.

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  58. 296 0: (...) sie müssen mir aber folgendes erklären, wenn das Doping-System bekämpft werden soll, wie es derzeit läuft, dann müssen sie gewährleisten, daß auf der ganzen Welt Doping-Kontrollen lückenlos durchgeführt werden (überlappend L: Is ja auch klar, und S: Richtig), in der GUS ist man von 6000 Kontrollen zurückgegangen auf dreihundert, weil man se nicht mehr bezahlen konnte (überlappend mit 297 S) 297 S: Interessiert mich ja überhaupt gar nicht, ich will, daß die deutschen Sportler kontrolliert werden : und daß wir Vorbild sind. (Zuschauerbeifall; überlappend mit 298 0) 298 0: Prima und die internationalen die deutschen: die deutschen Sportler sollen sich(Fortdauernder Beifall; mehrer gleichzeitig und unv.;) die armen deutschen Athleten sollen Vorbild sein (überlappend mit 299 S, sowie M: unv.).

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  59. Vgl. 360 0: “..der arme Sport, ..für was der alles herhalten soll..”.

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  60. Die Kernannahmen beider Positionen haben insofern den Status “unkorrigierbarer Aussagen” im Sinne Pollners (vgl. 1976, S.308; Pollner adoptiert diesen Begriff von Gasking 1966). Sie fungieren als widerlegungsimmune Prämissen, die die Interpretation der Phänomene anleiten.

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  61. Zum Konzept der Inkommensurabilität vgl. Kuhn 1969; Feyerabend 1986, bes. Kap.18; siehe auch Rorty 1981, S.343ff. Wir verwenden diesen klärungsbedürftigen Begriff, um eine Situation zu charakterisieren, in der unterschiedliche Hintergrundannahmen zwischen den Kommunikationsteilnehmern dazu führen, daß keine Übereinstimmung mehr über die Einlösungsbedingungen von Geltungsansprüchen besteht.

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  62. Max Miller (vgl. 1992 und 1992a) spricht unter solchen Bedingungen von einem irrationalen oder unkoordinierten im Unterschied zu einem rationalen oder koordinierten Dissens. Ein Dissens ist dann rational, wenn die Beteiligten sich zumindest darüber einig sind, worüber sie sich streiten, d.h. in der von uns bevorzugten Diktion, wenn sie die gegensetzlichen Stellungnahmen auf einen gemeinsamen Problemkontext beziehen und übereinstimmende Geltungsbedingungen zugrunde legen. Miller zufolge können auch Konsense in diesem Sinne rational oder irrational sein. Letzteres ist der Fall, wenn gemeinsame Zustimmung bei jedem Beteiligten auf Gründen beruht, die der andere nicht akzeptiert. Im Sinne der Habermasschen Annahme einer internen Relation zwischen Bedeutung und Geltung wäre unter diesen Voraussetzungen anzunehmen, daß kein übereinstimmendes Verstehen erreicht ist, der scheinbare Konsens also in Wahrheit auf die Akzeptierung material unterschiedlicher Geltungsansprüche hinausläuft, auch wenn diese am gleichen Äußerungsereignis abgelesen worden sind. Damit ist es fraglich, ob es unter den Prämissen der Habermasschen Universalpragmatik — denen Miller im wesentlichen verpflichtet scheint — dann noch sinnvoll ist, von Konsens zu sprechen. Strukturell scheint es sich dabei eher um einen Kompromiß auf der Ebene der Geltungsbegründung zu handeln.

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  63. Wenn nicht gar die Zuschreibung darüber hinausreichender Unzuverlässigkeit nach dem Muster: “Auf sein Wort kann man sich nicht verlassen. Wenn es ernst wird, kneift er”.

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  64. Vgl. Stegmüller 1980, S.77f. und 121ff., der drei Formen einer solchen Immunität unterscheidet. In unserem Zusammenhang von Bedeutung ist vor allem die Immunität des Basiskerns einer Theorie gegenüber Widerlegungen von Hypothesen, die mit Hilfe von Zusatzannahmen daraus gewonnen wurden. Derartige Widerlegungen schlagen nicht unmittelbar auf die Theorie zurück. Die spezifische Hypothese kann durch eine alternative Annahme ersetzt werden, die den empirischen Beobachtungen besser entspricht, oder der kritische Beobachtungsbereich kann aus dem Anwendungsbereich der Theorie gestrichen werden. Siehe dazu auch Lakatos (1974a), der es geradezu als rationalitätsstrategische Maxime formuliert, daß Widerlegungen vom “harten Kern” eines Forschungsprogrammes abzulenken sind.

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  65. Vgl. dazu Nedelmann 1986.

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  66. Damit soll freilich keinem mikrosozialen Determinismus oder Emanatismus das Wort geredet werden. Worum es uns mit dieser Bemerkung nur geht, ist die Markierung potentieller makrosoziologischer Anschlußmöglichkeiten sowie die Auflösung der bei der Lektüre der Theorie kommunikativen Handelns sich leicht einstellenden Fiktion, daß der Diskurs als Ort konfliktenthobener Wahrheitsuche sozial möglich sei. Dem steht u.E. bereits die für ihn konstitutive Differenzierung der Kommunikationsrollen und die rationale Unterdeterminiertheit argumentativer Strategien entgegen.

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  67. Siehe dazu Habermas 1988, S.417: “Zudem bleiben die verschiedenen Lebenswelten, die aufeinanderprallen, nicht verständnislos nebeneinander (Hervorhebung im Original) stehen. Als Totalitäten folgen sie dem Sog ihres Universalitätsanspruchs und arbeiten ihre Differenzen solange aneinander ab, bis die Verständigungshorizonte, wie Gadamer sagt, miteinander ‘verschmelzen’.”

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  68. Ebensogut kann man im Anschluß an Bateson vermuten, daß hier Ansatzpunkte für “schismogenetische” Prozesse der Abweichungsverstärkung bzw. -stabilisierung gegeben sind. Zum Konzept der Schismogenese vgl. Bateson 1981, S.144ff. und 157ff.

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  69. Siehe dazu Schütz 1971, Bd.I, S.12f. und 1972, Bd.II, S.225f. — Man könnte daraus die Vermutung ableiten, daß Mißverständnisse mit wachsenden Vertrautheitserwartungen der Beteiligten ein höheres disruptives Potential gewinnen. Entsprechend scheinen etwa Mißverständnisse aufgrund von Differenzen des Kommunikationsstils nach längerer Dauer von Intimbeziehungen eher zu Konflikten zu führen, als in den frühen Phasen des Kennenlernen; vgl. dazu Tannen 1982, bes. S.222.

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  70. Vgl. dazu auch Pollner 1979, S.315f.

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  71. Wir lassen die Frage offen, inwieweit ein solcher Einstellungswechsel mit dem Habermasschen Diskurskonzept verträglich ist, will Habermas doch von “..’Diskursen’ ..nur dann sprechen, wenn der Sinn des problematisierten Geltungsanspruches die Teilnehmer zu der Unterstellung nötigt, daß grundsätzlich ein rational motiviertes Einverständnis erzielt werden könnte, wobei ‘grundsätzlich’ den idealisierten Vorbehalt ausdrückt: wenn die Argumentation nur offen genug geführt und lange genug fortgesetzt werden könnte” (Habermas 1981, Bd.I, 5.71). — Zur immanent-kritischen Diskussion der Theorie kommunikativen Handelns unter betonter Herausarbeitung der “Kontingenz von Verständigungserfolgen” siehe Wenzel/Hochmuth 1989.

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  72. Siehe Luhmann 1991, S.150, dem es hier um die spezifische Leistung und Leistungsbeschränkung der Beobachtung zweiter Ordnung geht.

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Schneider, W.L. (1994). Die Erhebung von Geltungsansprüchen als kommunikative Synthesis von Bedeutungsselektionen. In: Die Beobachtung von Kommunikation. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99345-8_7

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