Skip to main content

Die Sozialorganizistische Allegorie

Wirklichkeit und Bildlichkeit

  • Chapter
Der Sozialorganismus
  • 18 Accesses

Zusammenfassung

Ein kluger, vielleicht auch nur schlauer altrömischer Edelmann namens Menenius Agrippa, ein Gegenspieler des fragwürdigen, um der Bedrohung sozialer Privilegien willen später sogar die Feinde gegens eigene Vaterland führenden Coriolan, soll mit seiner Parabel von der gesunden Symbiose des Magens und der Glieder die Plebejer, die zur Auswanderung in eine neue Siedlung sich anschickten, von ihrem Beginnen abgebracht und auf den Boden Roms zurückgeholt haben. Wir wissen nicht, ob es sich um eine bloße Sage handelt — auf primitive Menschen haben packende Bilder seit jeher die Wirkung überzeugender Gründe geübt, und wer mit dem einfachen Mann, dem bei einem impulsiven Vorhaben nicht ganz wohl ist, so zu reden versteht, daß ihm das Gegenteil dieses Vorhabens einleuchtet, hat für die erstaunlichsten Bekehrungen gewonnenes Spiel. Das erfolgreiche Gleichnis des Patriziers ist jedenfalls der berühmteste Erstling des Gedankens vom Sozialorganismus, wo nicht sein Erstling schlechthin; wir kennen1 jedenfalls keine Darlegung, die vor -500 (494 soll die secessio in montem sacrum sich ereignet haben) in so schlagender Bildlichkeit einen Stadtstaat und seine Aufgaben mit dem menschlichen Körper und seinen Funktionen gleichsetzt. Es scheint, als ob vom heiligen Berge her alle „organischen“ Volks-, Staats- und Gesellschaftslehren die poetische Belastung ihrer wissenschaftlichen Absicht empfangen hätten, ohne ihrer je wieder vollständig ledig werden zu können: ob mehr als zwei Jahrtausende später der Brite Hobbes in seinem „Leviathan“ die Parabel vom Staat als Wesen unterm Bilde des Ungeheuers aus der ekstatischen Vision des 39./40. Kapitels im Buch Hiob wiederaufnimmt oder mehr als zwei Jahrhunderte nach ihm der Schwabe Schäffle sein vielbändiges Werk über „Bau und Leben des sozialen Körpers“ als den enzyklopädischen Entwurf „einer realen Anatomie, Physiologie und Psychologie der menschlichen Gesellschaft“ erläutert, nicht zu vergessen die Pathologie, deren sich sein Zeitgenosse, der Balte v. Lilienfeld, liebevoll annahm: Keiner ist schließlich übers Gleichnis hinausgekommen, übers pakkende oder abgeschmackte, treffende oder verfehlte Gleichnis. Das meiste davon unterscheidet sich von der schlichten Fabel des Menenius nicht dadurch, daß es richtiger oder tiefsinniger, nur dadurch, daß es verwickelter und oft verworrener ist — und nicht einmal das Zeug hat, auf einfache Gemüter zu wirken.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 44.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Wilh. Nestle hat in einer aufschlußreichen Abhandlung „Die Fabel des Menenius Agrippa“ (Klio, Beiim z. alten Geschichte, Bd. XXI, 3/4, 1927) die auf hellenischen Boden verlegte Entstehung der Fabel in den Zeitraum des ausgehenden 5. Jh. v. u. Ztr. datiert. Damals sei die organizistische Darstellung des Staates aufgekommen und üblich geworden. Metrodoros v. Lampsakos verglich z. B. den Götterstaat so, daß Zeus das Gehirn, Apollo die Galle, Dionysos die Milz usw. vorstellte; später sprach Platon vom „fiebernden Staat” und vom Gesetzgeber als einem Arzt, der die öffentlichen Schäden zu heilen habe; desgl. Aristoteles und die Stoa von Zenon \an. Schon damals erweist sich die kautschukartige „Elastizität“ der Analogie, die auf die kleine Polis wie auf das riesige Imperium, den stoischen Weltstaat und dann wieder die Christengemeinde und -kirche angewandt wird. Sie dürfte als redekünstlerisches, paarendes Bild von den Sophisten geschaffen worden sein.

    Google Scholar 

  2. Nähere Ausführungen dazu in meiner Schrift „Das Denken in der Medizin“, welche unter bewußter Übernahme des einstigen Helmholtzschen Titelwortlautes aus einem Vortrag auf der Landestagung der Ärzte des Roten Kreuzes am 9. März 1947 hervorgewachsen und 1948 bei Georg Thieme (76 Seiten stark) erschienen ist.

    Google Scholar 

  3. Eine wohlabwägende Darstellung hiervon findet sich im Handwörterbuch d. Naturwissenschaften, Bd. V, Art. „Kristalle, flüssige“, bes. in Abt. 7 über die „scheinbar lebenden Kristalle”, S. 1168 f. von H. Brauns.

    Google Scholar 

  4. Karl Hagenbeck, Von Tieren und Menschen (1908). Die Beobachtungen und Erfahrungen dieses Großmeisters neuzeitlicher Wildtierhaltung haben nach seinem in Stellingen geschaffenen Vorbilde binnen eines Menschenalters zu einer völligen Umwälzung der Einrichtung und des Betriebes zoologischer Gärten geführt.

    Google Scholar 

  5. W. Hellpach, Geopsyche (6. Aufl. 1950 ) S. 148 u. 243.

    Google Scholar 

  6. W. Hellpack, Einführung in die Völkerpsychologie (2. Aufl. 1944 ), Abschn. 10: „Völkeralter und Volkstod“.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1953 Westdeutscher Verlag Köln und Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Hellpach, W. (1953). Die Sozialorganizistische Allegorie. In: Der Sozialorganismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-98653-5_1

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-98653-5_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-322-98026-7

  • Online ISBN: 978-3-322-98653-5

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics