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Kaderparteien, Bewegung, Szene, kollektive Episode oder was?

Probleme der soziologischen Kategorisierung des modernen Rechtsextremismus

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Zusammenfassung

Im Vergleich zum organisationsfixierten, völkisch-antimodernen alten Rechtsextremismus läßt sich im rechtsextremen Lager in den letzten Jahren eine Veränderung beobachten, die man mit den Stichworten Verjüngung, Übernahme sub- und jugendkultureller Muster, kulturelle Modernisierung, militant-spontaner Aktionismus, ideologische Pluralisierung und eine damit einhergehende individuell variable Internalisierungstiefe von Ideologieelementen sowie Abkehr von einer Führer- und Hierarchiefixierung hin zu einer schwachen und dezentralen Organisation beschreiben kann. Hinzu kommt, daß das rechte Lager mit dem Issue „Ausländer/Asyl“ erstmals ein Thema besetzt hat, das auch in breiteren Bevölkerungsschichten und in politischen Parteien als „soziales Problem“ angesehen wird.1 Diese Beobachtung hat unter Sozialwissenschaftlern einen Streit darüber ausgelöst, wie man dieses schillernde Phänomen mit soziologischen Kategorien fassen kann. Eine Reihe von Rechtsextremismusforschem hat vorgeschlagen, diese Phänomene unter dem Begriff der sozialen Bewegung zu subsumieren und greift dabei auf die im wesentlichen am Beispiel der links-libertären neuen sozialen Bewegungen entwickelten Theorien zurück.2 Dagegen verwahren sich andere „Bewegungsforscher“, die ihren positiv besetzten Bewegungsbegriff an progressivemanzipatorischen Bewegungen gebildet haben und sich deshalb teils mit empirischen Gegenargumenten, teils aber aus normativer Befangenheit dagegen wehren, daß dieser „Ehrentitel“ dem Rechtsextremismus zukommen soll, der mit seinen Aktionen und Zielen dem Idealbild einer „neuen sozialen Bewegung“ völlig widerspricht.3 Mit der zweiten, rein normativ argumentierenden Ablehnungsvariante wollen wir uns hier nicht befassen, da wir den Begriff der sozialen Bewegung als Strukturkategorie ansehen, die gegenüber ihren Inhalten neutral ist, d.h. die Protestthemen nicht von vornherein politisch oder moralisch bewertet.

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Anmerkungen

  1. Z.B. Hans-Gerd Jaschke, Formiert sich eine soziale Bewegung von rechts? Über die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte, in: Mitteilungen des Instituts für Sozialforschung, Heft 2, 1993, S.28ff.; Claus Leggewie, Rechtsextremismus eine soziale Bewegung?, in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder, Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S.325–338; vgl. unsere eigenen Arbeiten dazu: Werner Bergmann/Rainer Erb, Eine soziale Bewegung von rechts? Entwicklung und Vernetzung einer rechten Szene in den neuen Bundesländern, in: Forschungsjournal NSB 2/1994, S.80–98; dies., Rechte Subkultur und Neonazismus, in: dies. (Hrsg.), Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin 1994 (im Druck); Werner Bergmann, Ein Versuch, die extreme Rechte als soziale Bewegung zu beschreiben, ebd. Es gibt jedoch auch Rechtsextremismusforscher, die dieses heterogene rechte Feld als Rekrutierungsmilieu für Rechtsparteien ansehen, das sich nicht wesentlich von den traditionellen Unterstützermilieus des Rechtsextremismus unterscheidet; so etwa Richard Stöss, Forschungs-und Erklärungsansätze — ein Überblick, in: Kowalsky/Schroeder (Hrsg.) 1994: 2366, hier vor allem S.52ff. Jugendforscher kritisieren zu recht, daß gewalttätig-maskuline Jugendgruppen pauschal dem Rechtsextremismus zugeordnet werden, als handele es sich dabei um Neonazis oder „konstitutionelle Republikaner“.

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  2. Leggewie überbietet (ironisch?) den Begriff „neue soziale Bewegung“ noch, indem er die neue rechte Bewegung als „neueste soziale Bewegung” apostrophiert und ihr damit geradezu eine avantgardistische Position in der postmodernen Gesellschaft zuschreibt (1994:328).

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  3. Die etwa von Ohlemacher (in diesem Heft S. 14) vorgeschlagene „weichere“ Konzeptualisierung als „kollektive Episoden” bleibt in ihrer Formbestimmung völlig unklar.

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  4. Auch aus der Ökologiebewegung kennen wir für die Anfangsphase dieses ideologische Gemengelage, etwa von postmaterialistischen Umweltschützern und konservativen Heimatschützern. Vgl. Thomas Jahn/Peter Wehling, Ökologie von rechts. Nationalismus und Umweltschutz bei der Neuen Rechten und den „Republikanern“, Frankfurt/M. 1991.

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  5. Neuerdings hat Piotr Sztompka die enge Wechselwirkung von interner Morphogenese sozialer Bewegungen mit externen Prozessen betont. Gesellschaftliche Prozesse greifen bereits in den Aufbau von Bewegungen ein und beeinflussen deren Karriere, Schwung und Richtung, wie umgekehrt Bewegungen Veränderungen in der Gesellschaft bereits dann produzieren, wenn ihre eigenen Strukturierungsprozesse noch nicht endgültig abgeschlossen sind (Piotr Sztompka, Jenseits von Struktur und Handlung: Auf dem Weg zu einer integrativen Soziologie sozialer Bewegungen, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.70–79, hier S.78).

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  6. Mehr noch als das Zurückweichen der Staatsgewalt bei der Räumung der Asylunterkunft in Hoyerswerda und andernorts war das Eingehen der Politiker auf die Forderungen des Mobs in Rostock ein tatsächlich wahrnehmbarer Erfolg, der weitere Mobilisierungen auslöste.

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  7. Der Rückgang der Zahl schwerer Gewalttaten gegen Ausländer in den Jahren 1993–94 im Vergleich zu 1991–92 ist primär auf den Verfolgungsdruck zurückzuführen und kann noch nicht als Abflauen der Bewegung gewertet werden. Dagegen spricht auch, daß die Zahl der gefahrloser zu begehenden Agitationsstraftaten weiterhin zunimmt.

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  8. Vgl. zu dieser Kritik an der Bewegungsdefinition des Mainstreams Heinrich W. Ahlemeyer, Was ist eine soziale Bewegung? Zur Distinktion und Einheit eines sozialen Phänomens, in: ZfS 18, 1989, S.175–191, hier S.178.

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  9. Niklas Luhmann hat kürzlich bezweifelt, daß es Protestbewegungen mit klaren Außengrenzen geben kann: „Immer wenn man protestiert, ist man in dieser Bewegung, und wenn nicht, dann nicht“ (Systemtheorie und Protestbewegungen. Ein Interview, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.53–69, hier S.55). Das spezifische Protestthema gibt dem Protest seine Form und erzeugt Bindungen zum Mit-und Weitermachen. Auch nach Ahlemeyers Theorie besitzen Bewegungen besonders labile Operationsgrundlagen, nämlich Mobilisierungen, die Mobilisierungen mobilisieren ( 1989, S. 189 ).

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  10. Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 19.4.1993, Geschäftszeichen 20 Js 48/92 2KLs. Schaut man sich die Prozeßberichte über angeklagte fremdenfeindliche jugendliche Gewalttäter an, dann wird deutlich, wie häufig diese doch über Kontakte zum organisierten Neonazismus verfügten oder Propagandamaterial bei ihnen gefunden wurde (vgl. die Fälle Mölln, Solingen u.a.).

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  11. Vgl. die Interviewauswertung mit gewaltbereiten Jugendlichen von Dietmar Sturzbecher/Peter Dietrich/Michael Kohlstruck, Jugend in Brandenburg 93, Potsdam 1994, S. 45.

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  12. Bei dieser ausländerfeindlichen Bewegung handelt es sich nicht um den Typ einer revolutionären Bewegung, die die Macht im Staat anstrebt, sondern um Protestaktionen, die man als Loyalitätspogrome beschreiben kann, die den Staat zum Handeln in eine bestimmte Richtung zwingen sollen. Aus der Antisemitismusforschung ist diese Handlungsaufforderung und die Form des stellvertretenden Handelns gut bekannt. Vgl. Christhard Hoffmann, Politische Kultur und Gewalt gegen Minderheiten. Die antisemitischen Ausschreitungen in Pommern und Westpreußen 1881, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 3, 1994, S.93120, hier S. 100ff.

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  13. In der Zuschreibung von Motiven von Bewegungsteilnehmern tritt eine charakteristische Differenz zwischen Innen-und Außensicht auf. Die Jugendforschung hat diese Differenz hinsichtlich der Teilnahmemotivation von Skinheads herausgefunden: So sehen Mitglieder der Skinheadszene und deren Sympathisanten als Hauptmotive: „weil sie gegen Ausländer sind, Kameradschaft in den Gruppen finden und weil sie gegen die herrschenden Verhältnisse protestieren wollen“. Die Gegner der Skinheads unterstellen ihnen neben der Ausländerfeindlichkeit vor allem, daß sie gewalttätige Auseinandersetzungen suchen und daß sie Langeweile haben (vgl. Sturzbecher/Dietrich/ Kohlstruck 1994, S. 112 ).

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  14. Dazu kürzlich Klaus Eder, Die Institutionalisierung kollektiven Handelns. Eine neue theoretische Problematik in der Bewegungsforschung?, in: Forschungsjournal NSB, Jg. 7, Heft 2, 1994, S.40–52, hier S.48.

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  15. Vgl. Leggewie, a.a.O., S.325f, der den heutigen Rechtsradikalismus explizit nicht als bloße „episodische Gewalt“ und auch nicht mehr als „Kaderorganisation” begreift, obwohl er Züge von beidem hat (S.328f.). Zur Vernetzung des,,nationalen Lagers“ vgl. neuerdings: Juliane Wetzel, Die Maschen des rechten Netzes. Nationale und internationale Verbindungen im rechtsextremen Spektrum, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1994, S.154178.

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  16. Friedhelm Neidhardt/Dieter Rucht, Auf dem Weg in die „Bewegungsgesellschaft`? Über die Stabilisierbarkeit sozialer Bewegungen, in: Soziale Welt 44/3, 1993, S.305–326, hier S.320f, Leggewie a.a.O., S.336. Die komparative Parteien-und Wahlforschung will eine neue Konfliktlinie entlang der Themen Ökologie, Menschenrechte, Wohlfahrtsstaat, Europa und Ausländer erkennen, deren Endpunkte die ökologischen und rechtspopulistischen Parteien bilden (vgl. Stöss, in: Kowalsky/Schroeder 1994, S. 55f ).

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  17. Vgl. seinen Beitrag: Die Vemetzungstendenzen im deutschen Rechtsextremismus, in: Werner Bergmann/Rainer Erb (Hrsg.), Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin (im Druck). Leute wie Ewald Althans oder Christian Worch wären hier stellvertretend zu nennen. Hatten am „Rudolf-HeßGedenkmarsch“ 1989 nur 200 Personen teilgenommen, waren es bei dem von Althans und Worch 1992 organisierten Marsch schon 2000.

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  18. Vgl. Wetzel 1994; zur Verbindung zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus vgl. Armin Pfahl-Traughber, Brücken zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus, in: Kowalsky/Schroeder (Hrsg.) 1994, S. 160–184.

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  19. Die anhaltend große Mobilisierungsbereitschaft dokumentiert die Brandenburg-Studie von 1993 (Sturzbecher et al. 1994, S.111): Knapp 14% der männlichen Jugendlichen (12–18 Jahre) rechnen sich selbst den Skinheads zu bzw. würden sich ihnen anschließen, weitere 12,5% finden Skins gut.

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  20. Das Verhalten der Bystanders in Rostock-Lichtenhagen wie auch die allerdings nie ganz aufgeklärten Zusammenhänge in Dolgenbrod sprechen durchaus für eine Resonanz bei der betroffenen Bevölkerung. Thomas Ohlemacher selbst hat ja einen kausalen Einfluß des Anstiegs ausländerfeindlicher Meinungen (gemessen über Umfragen) auf die Gewaltspirale für die Gewaltwelle 199193 postuliert (Thomas Ohlemacher, Public Opinion and Violence Against Foreigners in the Reunified Germany, in: ZfS 23, 1994, S.222–236, hier S. 234.

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  21. Eine Umfrage in Berlin im Juli 1994 erbrachte, daß ein knappes Fünftel der Westberliner und fast ein Drittel der Ostberliner gegenüber ausländerfeindlichen Ausschreitungen Verständnis aufbringen. Überdurchschnittlich sind dies junge Männer zwischen 18–29 Jahren, also die Altersgruppe, aus der mehrheitlich die Täter stammen (Der Tagesspiegel vom 22.7.94).

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  22. Erwin K. Scheuch/Hans-Dieter Klingemann, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik 1967, 5. 1129.

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Bergmann, W., Erb, R. (1994). Kaderparteien, Bewegung, Szene, kollektive Episode oder was?. In: Klein, A., Legrand, HJ., Leif, T. (eds) Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-98428-9_4

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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