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Psychologie ohne Reflexion — das Modell Theo Herrmanns

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Reflexive Erkenntnis und psychologische Forschung
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Zusammenfassung

In verschiedenen Schriften, am systematischsten und vollständigsten aber in der bereits 1976 erschienen Arbeit Die Psychologie und ihre Forschungsprogramme, hat Theo Herrmann ein Modell psychologischer Forschung vorgelegt, das diese zunächst deskriptiv rekonstruieren will286, um dann als Basis für die Formulierung bzw. Kritik methodologischer Normen zu dienen.287 Das Modell Herrmanns ist für unsere Frage nach dem Ort von Reflexion innerhalb der Psychologie deswegen von besonderem Interesse, weil es (implizit) eine radikale Antwort auf diese Frage gibt: Reflexive Erkenntnisbildung findet in ihm keinen Platz. Wie deutlich geworden sein dürfte, vertrete ich in dieser Arbeit einen gegensätzlichen Standpunkt. Nach meiner Auffassung ist Reflexion bzw. (der Explikation Schnädelbachs folgend) diskursive Verständigung nicht nur de facto ein Bestandteil psychologischer Forschung, sondern darüber hinaus würde der Verzicht hierauf das Ende von Psychologie als einer empirischen Wissenschaft bedeuten — das vielberufene „Wissenschaftsspiel“ wäre in diesem Fall tatsächlich bloß mehr ein Spiel, ungeachtet der Menge an empirischen Befunden, die dieses hervorbringt. Nun liegt es nicht in meiner Absicht, lediglich eine Position gegen die andere, Herrmanns gegen die meinige zu setzen. Ich glaube vielmehr zeigen zu können, daß Herrmanns Konzeption einer „Psychologie ohne Reflexion“ eine Fehlkonzeption ist, die an der Reflexivität menschlicher Erfahrungs- und Erkenntnisgewinnung scheitert. Diese Reflexivität bekommt Herrmanns Modell zunächst deskriptiv nicht in den Griff, und sie wird dann, bei der methodologischen „Anwendung“ des Modells, präskriptiv ausgeschaltet.

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Literatur

  1. Vgl. z. B. Herrmann 1979c, 29.

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  2. Herrmann 1976a, 11f. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Punkte findet sich in Herrmann 1979c, 28–51, sowie in Herrmann 1984, 18–32.

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  3. Daß man über etwas zuwenig weiß, ist in diesem Falle keine semantische, sondern eine pragmatische Präsupposition, die ich in dieser Arbeit nicht erörtert habe; vgl. etwa Stalnaker 1973.

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  4. Herrmann 1979c, 35. Auf die hier deutlich werdende normative Wendung des Herrmannschen Modells komme ich später ausführlich zu sprechen.

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  5. Wird eine Theoriekonstruktion innerhalb eines Forschungsprogramms als untauglich verworfen, so bleibt davon der Tatbestand unberührt, daß eben diese Theoriekonstruktion in einem anderen Problemlösungskontext durchaus als tauglich gelten kann.« (Herrmann 1976a, 124; Hervorhebung übernommen)

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  6. Herrmann 1979c, 30; Hervorhebung übernommen.

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  7. Dabei greife ich, wie bisher schon, auch auf Texte zurück, in denen nicht ausdrücklich von einer »räsonierenden« oder »arbeitenden Psychologie« die Rede ist, in denen aber erkennbar die eine oder andere Art von Psychologie thematisiert wird. Von »wissenschaftstheoretischem Räsonnement« ist im übrigen bereits in Herrmann 1976a (S. 9) die Rede.

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  8. Psychologie ist hier zunächst einmal nur ein tradierter Name für das Insgesamt einer Familie von Forschungsprogrammen, für welche Familie die Suche nach einem (zumal ein für allemal aufgegebenen) strikt bestimmten Einheitsgegenstand sowie nach jener alles integrierenden Einheitstheorie und außerdem die Abgrenzung gegenüber nicht-psychologischen Forschungsaktivitäten eher in den Interessenhintergrund treten.« (Herrmann 1976a, 38)

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  9. Auch de Groot (1990, 3) spricht, um ein weiteres Beispiel zu nennen, von der Verantwortung,für die Unifikation der Psychologie zu arbeiten.

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  10. Vgl. Herrmann 1991c. In gewisser Weise erhält Herrmann hier neuerdings Schützenhilfe von konstruktivistischer Seite; vgl. z. B. Gergen 1990.

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  11. Vgl. den gleichnamigen, von Grawe, Hänni, Semmer und Tschan (1991) herausgegebenen Sammelband und hierin insbesondere den Beitrag Herrmanns (ders. 1991c ).

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  12. Bereits ein Jahrzehnt zuvor formulierte Herrmann diese Norm wie folgt: »Wer als Psychologe sein Problem hat, sollte sich mit eben diesen befassen, also beispielsweise die Tragfähigkeit einer nachahmungstheoretischen Rekonstruktion des Aggressionsproblems prüfen oder sich an der Entwicklung eines experimentellen Verfahrens beteiligen, das die Prüfbarkeit eines Gedächtnismodells verbessert.» (Herrmann 1979e, 179) »Der Psychologe als Wissenschaftler hat hier und jetzt seine Pflicht zu tun, seine beruflichen Aufgaben zu erfüllen, also psychologische Forschungsprobleme verantwortlich zu bearbeiten.» (Herrmann 1979c, 183)

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  13. Das Argument, daß das Deskriptionsmodell nicht auf die »räsonierende Psychologie« paßt und diese deswegen nicht zum Anwendungsbereich des Modells gerechnet werden sollte, liefe darauf hinaus, den Anwendungsbereich des »Deskriptionsmodells der Psychologie« als das zu definieren, worauf dieses Modell zutrifft, ein Verfahren, das Herrmann selbst als »Empirieabstoßung« beschrieben hat (Herrmann 1976a, 198fí). Dann wüßten wir aber nicht mehr, wovon dieses Modell ein Modell ist.

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  14. Herrmann 1991a, 166; erste Hervorhebung hinzugefügt, zweite übernommen.

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  15. Unzweckmäßig, da fruchtlosen Bemühungen Vorschub leistend erscheint mir die Vorstellung, Theorien u. dgl. seien (modellartige) Abbilder derRealittit«. (Herrmann 1979c, 178) »Da die Hypostasierung einer theoriefreien Realität folgenlos und da es nicht möglich ist, Theorien als Modelle der Realität strikt zu bestimmen, erscheint es auch zwecklos, der Frage nachzugehen, ob Theorien der Komplexität der Realität mehr oder minder gerecht werden bzw. ob sie das komplexe Merkmalsinsgesamt der Realität mehr oder minder vollständig abbilden. Ein mit dem Erwägen dieser Frage auftretender Erkenntnispessimismus ist so die resignative Antwort auf ein Scheinproblem. Ist hingegen das Problem, das in einem bestimmten Forschungsprogramm bearbeitet wird, über einen Annahmenkern expliziert, so kann sinnvoll geprüft werden, wieweit die Merkmale dieses Annahmenkerns durch die Attribute einer Theorie abgebildet sind, wieweit diese Theorie jenes — allenfalls komplexe Problem verkürzt abbildet, usf.« (Herrmann 1979c, 179 )

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  16. Vgl. hierzu Herrmann 1979c, Kap. 5, wo Herrmann den Vorwurf an psychologische Theorien, diese bildeten die komplexe Alltagsrealität nicht ab, mit dem Argument zurückweise, die Komplexität der Alltagsrealität lasse sich nicht mit der Komplexität der Theorie vergleichen, weil es einen Standpunkt, von dem aus dieser Vergleich möglich wäre, ein Standpunkt jenseits einer Theorie, nicht möglich sei. Herrmann übersieht hier aber die Möglichkeit, daß Theorien relativ zu anderen Theorien hinsichtlich der unterstellten Komplexität von Gegenständen mehr oder weniger voraussetzungsvoll sein können. Kurz: Herrmann übersieht, daß es reflexive Gegenstandserkenntnis gibt.

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Günther, A. (1996). Psychologie ohne Reflexion — das Modell Theo Herrmanns. In: Reflexive Erkenntnis und psychologische Forschung. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97655-0_10

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