Zusammenfassung
Die einleitende Frage im Titel „Freiheit in Grenzen“? nimmt Bezug auf eine kleine Broschüre, die 1938 von dem Landschaftsarchitekten Hermann Mattem veröffentlicht wurde und in der er unter dem Titel Freiheit in Grenzen. Haus- und Villengärten vorstellte.1 Ein solcher Titel2 könnte die Vermutung nahelegen, dass Mattem ihn als eine subtile Kritik am Nationalsozialismus benutzt haben könnte. Sah Mattem Freiheit in der Zeit des staatlich geforderten und geforderten Rassismus und Antisemitismus, in einer Zeit der Verfolgung politisch Andersdenkender und anderer Gruppen vielleicht nur noch gegeben in seinem eigenen Garten, abgeschirmt durch Hecken, Zaun, Mauern gegen die tendenziell feindliche öffentliche Sphäre? War hier ein Wiederaufleben der mittelalterlichen Vorstellung des Gartens als hortus conclusus zu verzeichnen,3 einem Ort, der gegen die Außenwelt Schutz bieten konnte, dessen feste und hohe Umzäunung die Einsichtnahme von Gestapo, Blockwart, Fremden und Nachbarn in die eigene Privatsphäre verhindern sollte? Eine sorgfältige Lektüre von Matterns Broschüre allerdings bietet keinerlei Indizien für eine solche Interpretation des Titels als subtile Kritik am Nationalsozialismus.
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Literatur
Zur Biografie Hermann Mattem’s und anderer in diesem Beitrag genannter Landschaftsarchitektlnnen siehe Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Grüne Biografien. Biographisches Handbuch der Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Patzer Verlag, Berlin und Hannover, 1997.
Auf eine andere Publikation mit demselben Titel - Freiheit in Grenzen - soll hier nur verwiesen werden. Sie wurde 1993 von Edith Dietz veröffentlicht, einer Jüdin, die 1942 vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Schweiz flüchten konnte und in dem Band Freiheit in Grenzen (dipa-Verlag, Frankfurt, 1993) über die Zeit von 1942 bis 1946, dem Jahr ihrer Rückkehr nach Deutschland, berichtet.
Siehe zur Idee des hortus conclusus z.B. Dieter Hennebo, Gärten des Mittelalters, neu herausgegeben mit Nachwort und erweitertem Anhang versehen von Norbert Ott unter Mitarbeit von Dorothee Nehring, Artemis Verlag, München und Zürich, 1987.
An dieser Stelle kann nur auf einige wenige Publikationen verwiesen werden, so Joachim Wolschke-Bulmahn und Gert Gröning, “Der kommende Garten”. Zur Diskussion über die Gartenarchitektur in Deutschland seit 1900, Garten und Landschaft, (1988), 3, 47–56; Joachim Wolschke-Bulmahn und Gert Gröning, The ideology of the nature garden. Nationalistic trends in garden design in Germany during the early twentieth century, Journal of Garden History, 12 (1992), 1, 73–80; Joachim Wolschke-Bulmahn, Avantgarde und Gartenarchitektur in Deutschland. Über ein vergessenes Phänomen der Weimarer Zeit, Zolltexte, (1997), 26, 11–17.
Bei den Recherchen zu diesem Beitrag erhielt ich wichtige Hilfen von zahlreichen Wissenschaftlerinnen. Danken möchte ich unter anderem Dr. Beate Kosmala und Dr. Schopp-mann vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Dr. Marlis Buchholz und Dr. Hans-Dieter Schmid vom Historischen Seminar der Universität Hannover, Dr. Peter Fibich, Institut für Grünplanung und Gartenarchitektur der Universität Hannover, Wolfgang Immenhausen, Liebermann-Gesellschaft in Berlin, Dr. Peter Schulze, Stadtarchiv Hannover, Wilfried Wiedemann, Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen, Prof. Dr. Gert Gröning, Fachbereich Architektur, Universität der Künste Berlin, sowie Ulrike Plappert, Bremen. Sie halfen mit Informationen und stellten Materialien zur Verfügung, die mir so nicht zugänglich gewesen wären. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin stellte mir die von ihr herausgegebene Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin 1933 bis 1945 zur Verfügung. In diesem Zusammenhang sei besonders Hans-Rainer Sandvoß gedankt.
Siehe dazu u.a. Wolschke-Bulmahn/Gröning 1988: 47f. (siehe Fußnote 4); Uwe Schneider, Hermann Muthesius und die Reformdiskussion in der Gartenarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts, Grüne Reihe — Quellen und Forschungen zur Gartenkunst, Band 21, Wemersche Verlagsgesellschaft, Worms 2000.
Hans Friedrich Pohlenz, Ein Wasserscheiben-Brunnen, Die Gartenschönheit, 8 (1927), 159.
Heinz Wichmann, Ein Wohngarten, Die Gartenschönheit, 5 (1924), 171.
Fritz Wilhelm Schönfeld, Kritische Betrachtungen über drei Hausgärten (Pohlenz — Hubotter - Valentien), Die Gartenkunst, 39 (1926), 42.
plante Hübotter für den Reichsführer SS Heinrich Himmler den Sachsenhain bei Verden an der Aller und wendete dabei eine durchaus ‘Blut-und-Boden“-orientierte Ästhetik an (siehe dazu Joachim Wolschke-Bulmahn, Findlinge, Landschaftsgestaltung und die völkische Suche nach nationaler Identität im frühen 20. Jahrhundert, Schaumburger Landschaft (Hg.), Steine und Nationalsozialismus. Dokumentation des 4. Werkstattgespräches von steinzeichen steinbergen,Kleine Reihe, 2000, 1, 14–26). Zehn Jahre später erarbeitete Hübotter Pläne für die landschaftsarchitektonische Gestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen, die an eben die Opfer von Himmlers SS erinnern sollte. Auch dort waren die angewandten landschaftsästhetischen Ausdrucksformen ähnlich (siehe dazu Joachim WolschkeBulmahn, Zur landschaftsarchitektonischen Gestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Die Gartenkunst, 7 (I 995), 2, 325–340).
Otto Valentien, Neuzeitliche Gartengestaltung, Die Gartenkunst, 43 (1930).
Die Gartenkunst,49 (1936), 40–44.
Hans Hasler, Deutsche Gartenkunst. Entwicklung, Form und Inhalt des deutschen Gartens, Eugen-Ulmer-Verlag, Stuttgart, 1939, 15.
Willy Lange, Meine Anschauungen über die Gartengestaltung unserer Zeit, Die Gartenkunst, 7 (1905), 7, 114.
Meinen Studenten gegenüber sprach ich einmal über die Gartenarchitektur jener Zeit als etwa eines Geschehens der `inneren Emigration“` (Herta Hammerbacher, Brief vom 3. Januar 1980 an Joachim Wolschke; siehe zu Hammerbacher Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Der 100. Geburtstag von Herta Hammerbacher. Ein Anlass zum Nachdenken, Stadt und Grün,2001, 1, 35–39).
Wolf Gruner, Judenverfolgung in Berlin 1933–1945. Eine Chronologie der Behördenmaßnahmen in der Reichshaupstadt, Stiftung Topographie des Terrors, Edition Hertrich, Berlin, 1996, 6.
Beate Meyer und Hermann Simon (Hg.), Juden in Berlin 1938–1945, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in der Stiftung ‘Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“, Mai bis August 2000, Philo Verlagsgesellschaft mbH, Berlin, 2000, 99.
Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 — 1941,Band 1, Aufbau-Verlag, Berlin, 1995, 11. Auflage, 1999, 409
Zur nationalsozialistischen Gesetzgebung siehe ausführlich Gesetze des NS-Staates. Dokumente eines Unrechtsystems,zusammengestellt von Uwe Brodersen, mit einer Einführung herausgegeben von Ingo von Münch, Ferdinand Schöningh, 1968, 2. erweiterte Auflage, Paderborn/München/Wien/Zürich, 1982; siehe auch Kai Henning und Josef Kestler, Die Rechtsstellung der Juden, in: E.-W. Bockenförde (Hg.), Staatsrecht und Staatsrechts-lehre im Dritten Reich,C. F. Müller Juristischer Verlag, Heidelberg, 1985, 191–211.
Vgl. Regina Bruss, Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus, Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, herausgegeben von Wilhelm Lührs, Band 49, Selbstverlag des Staatsarchivs der Freien Hansestadt Bremen, Bremen, 1983, 113.
Klemperer 1999, 527f.; In Einträgen im Juni 1940 heißt es: „Morgens kommt Frau Voß in unser Schlafzimmer und auf den dazugehörigen Balkon“ (534); und am 29. Juni 1940: „Wir haben einen Blumenkasten für den Balkon und ein paar Blumentöpfe gekauft” (535).
Hans-Dieter Schmid, Zur Sozialstruktur des organisierten Widerstands der Arbeiterschaft in Hannover, in: Frank Bajohr (Hg.), Norddeutschland im Nationalsozialismus, Forum Zeitgeschichte, herausgegeben von der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg, Band 1, Ergebnisse-Verlag, Hamburg, 1993, 139.
Solvejg Höppner, Leipziger Jugendliche im antifaschistischen Widerstand 1933/34 — die “Zelle Zentrum”, in: Hans-Dieter Schmid (Hg.), Zwei Städte unter denn Hakenkreuz. Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 1933 - /945, Kulturinformation Nr. 23, herausgegeben von der Landeshauptstadt Hannover, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig, 1994, 127f.
Yishaq Schwersenz, Die versteckte Gruppe: ein jüdischer Lehrer erinnert sich an Deutschland,Wichern-Verlag, Berlin, 1988, 3. überarbeitete Auflage, 1994, 114.
Herta Hammerbacher, Eine Entgegnung, Bauwelt, 68 (1977), 28, 964.
Herausgegeben vorn Landesverband Berlin der Gartenfreunde e.V., Verlag W. Wächter GmbH, Berlin, 2001: 142ff.
Heinrich-Wilhelm Wörmann, Widerstand in Charlottenburg, Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin (Hg.), Heft 5 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von1933 bis 1945, Felgentreff amp; Goebel GmbH, Berlin, 1991, 222.
Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee,Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin (Hg.), Heft 12 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von1933 bis 1945, Druckhaus Am Treptower Park GmbH, Berlin, 2000, 198, 202, 228.
Heinrich-Wilhelm Wörmann, Widerstand in Köpenick und Treptow, Band 9 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945, Druckhaus Am Treptower Park GmbH, Berlin, 1995, 228.
Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in einem Arbeiterbezirk, Heft 1 der Schriftenreiehe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945, Felgentreff amp; Goebel GmbH, Berlin, 1983, 59.
Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Friedrichshain und Lichtenberg, Band 11 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945, Schulz amp; Schulz GmbH, Berlin, 1998, 103.
Akte Veit, Susanne, Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung, TU Berlin (aus: Leo-Baeck-Institute Archives, New York, Collection: Veit, Suse).
Rosenthal 1980, 63; siehe zur Bedeutung des Kleingartens für Rosenthal und zur Situation in den Bombennächten auch die Schilderung bei Michael Schäbitz, “Wir waren Ausgestoßene im eigenen Vaterland.” Überleben in der NS-Zeit. Das Beispiel Hans Rosenthal, in: Meyer/Simon 2000, 284f.; siehe ähnlich Ein starkes Stück Berlin,2001, 142ff.
Michael Degen, Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin, Ullstein-Verlag, München, 2003, 83.
Uwe Dietrich Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Tübinger Schriften zur Sozial-und Zeitgeschichte,Band 1, herausgegeben von Gerhard Schulz, Droste Verlag, Düsseldorf, 1972, 194.
Siehe z.B. die Schilderung von Irmgard Amith, deren Familie 1938 gezwungen wurde, das eigene Haus in Düsseldorf zu verkaufen, und die berichtet, dass sie sich seit diesem Jahr auch nicht mehr auf die Bänke im Park in Düsseldorf (es ist unklar, ob Parks in Düsseldorf generell oder ein bestimmter Park in der Nachbarschaft ihrer Wohnung) setzen durften (vgl. Hans-Peter Görgen, Dokumentation zur Geschichte der Stadt Düsseldorf im “Dritten Reich” 1935–1945. Quellensammlung, Pädagogisches Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf, 1983, 281f.
Vorbermerkung zu Sylvia Kabus, Zwischen Rose und Lindenbaum. Die Stadt versagte im Dritten Reich ihren jüdischen Bürgern Erholung im Rosental, Leipziger Blätter, 2003, 42, 45.
Brief E. Müller vom 27.August 1937 an Bürgermeister Haake, zit. nach Kabus, Zwischen Rose und Lindenbaum..., 2003, 45f.; Kabus präsentiert zahlreiche andere Beispiele aus Leipzig für entsprechende Diffamierungen der jüdischen Bevölkerung.
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Wolschke-Bulmahn, J. (2003). „Freiheit in Grenzen“?. In: Lamnek, S., Tinnefeld, MT. (eds) Privatheit, Garten und politische Kultur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97600-0_10
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