Zusammenfassung
Fritz Erler darf mit einem Ereignis vorgestellt werden, das nicht besonders wichtig ist, aber ein sehr spezifisches Licht auf diesen Politiker wirft. Zu Beginn der 50er Jahre herrschte in Bonn Aufregung über die Kosten der Unterbringung der obersten Bundesorgane, die wohl vor der Entscheidung des Bundestages für Bonn als vorläufige Bundeshauptstadt niedriger dargestellt wurden, als sie dann de facto waren. Der listige „Bonnifacius“ Hermann Wandersleb* und seine Mannschaft waren Meister in den Rechenkünsten der Addition und Subtraktion, wobei diese Operationen stets unter dem Blickwinkel jener seinerzeit noch nicht getroffenen Bundeshauptstadt-Entscheidung vor sich gingen. Kurz und gut, der Souverän in Gestalt des Bundestages verordnete eine genaue Bestandsaufnahme dieser Kosten und setzte einen Untersuchungsausschuss „zur Überprüfung der im Raume Bonn vergebenen Aufträge“ ein; Fritz Erler wurde stellvertretender Vorsitzender dieses Ausschusses. Es war für alle Beteiligten keine leichte Aufgabe. Improvisation hieß bei der Unterbringung der obersten Bundesbehörden in der rheinischen Mittelstadt Bonn, die aus allen Nähten zu platzen drohte, das Zauberwort, und die Aktenlage war dementsprechend, sagen wir einmal, unübersichtlich. Eines Tages kam Erler mit einem dicken Aktenbündel an, das er akribisch ausgewertet hatte, wie er meinte, und trug das Ergebnis der gespannt lauschenden Corona vor. Auf der Regierungsseite des Ausschusses begann man sorgenvoll die Köpfe zusammenzustecken und zu tuscheln. Nach einigem Hin und Her meldete sich ein Mitglied der Wandersieb-Seilschaft zu Wort, und der Mann machte seine Sache gut. Es stellte sich nämlich heraus, dass Erler von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen war, bei dem jedenfalls partiellen Wirrwarr in Planung, Voranschlägen und Rechnungen nicht weiter verwunderlich. Erlers Reaktion: „Herr Vorsitzender, ich bitte um Entschuldigung, ich habe mich geirrt. Die Sache ist erledigt.“ Ein so bereitwilliges Eingeständnis eines Irrtums kommt im Hohen Hause nicht sehr oft vor. Noblesse und Fairness — wie sie aus dieser kleinen Begebenheit sprechen — waren wohl die tragenden Charakterzüge Fritz Erlers. Ein ungnädiges Schicksal hat ihn viel zu früh abberufen; er hätte wie nur wenige ein gewichtiges Wort in den großen Ausein-andersetzungen der 70er Jahre mitsprechen können. Politische Statur, Urteilsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen machten ihn für Ämter wie die des Außen- und Verteidungsministers geeignet; leadership, Führungstalent war ihm angeboren. Nicht nur bei seinen politischen Freunden war er hoch angesehen; auch er zählt zu den Schöpfern der Wehrverfassung.
So feiert ihn! Denn was dem Mann das Leben Nur halb erteilt, soll ganz die Nachwelt geben.
Goethe
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Ferdinand, H. (2002). Preußisches Ethos: Fritz Erler 1913–1967. In: Ferdinand, H. (eds) Reden, die die Republik bewegten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97558-4_19
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