Zusammenfassung
Sigmund Freud, der große Theoretiker des beginnenden 20. Jahrhunderts, sah die Geschlechtsidentität noch fest in der Biologie verwurzelt. Dabei war er der Überzeugung, dass die anatomische Struktur von Jungen wie von Mädchen ursprünglich eine männliche ist und die Klitoris ein verkümmertes männliches Organ. Freud hält auch die Behauptung für vertretbar, die Libido (die Energie des Sexualtriebes) „sei regelmäßig und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme. ...“ (1905, S. 120). So verwundert auch nicht, dass Freud seine für ihn so zentrale Theorie vom Ödipus-Komplex nur am Knaben und seine Kastrationsangst festmachen kann und für das Mädchen nichts als die Annahme eines „Penisneides“ und für die Frau eines „Männlichkeitskomplexes“ verbleiben. Nimmt man die Freud’ schen Annahmen zusammen, so kennzeichnet die männliche Entwicklung den „normalen“, auf einem stabilen biologischen Fundament fußenden psychosexuellen Werdegang, während der weiblichen Entwicklung immer der Verdacht der Abweichung und der Komplikation anhaftet. Von daher steht für Freud außer Zweifel, dass die weibliche psychosexuelle Entwicklung letztlich problematischer verläuft und es erstaunt nicht, dass er mehrfach ausdrücklich zugesteht, dass ihm Zeit seines Lebens die Psyche der Frau ein Rätsel geblieben ist.
„Deiner Mutter Sohn? Das mag wohl sein; und deines Vaters Schatte; auf die Art ist der Sohn des Weibes der Schatte des Mannes; es ist oft so, in der Tat, aber nicht viel von des Vaters Kraft.“
(Fallstaff in William Shakespeares, König Heinrich der Vierte, 2. Teil, 3. Aufzug, 2. Szene)
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Literatur
Bei Hans Bosse (1994) kann man am Beispiel der Sepik in Papua Neuguinea nachlesen, welche Verunsicherungen es für Jugendliche aus solchen Gesellschaften mit sich bringt, wenn durch einen Industrialisierungs- und Modernisierungsschub die Institution des Männlichkeitsrituals wegfällt und zudem die in ihrer Gesellschaft traditionellen Geschlechtertrennungen aufgehoben werden.
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© 2001 Leske + Budrich, Opladen
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Brandes, H. (2001). Ein Mann werden: Zur Problematik männlicher Identitätsfindung. In: Der männliche Habitus. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97541-6_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97541-6_7
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-3257-7
Online ISBN: 978-3-322-97541-6
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